Ukraine und Russland liefern fast ein Drittel des Weizens weltweit
Russland und die Ukraine liefern gemeinsam fast ein Drittel des weltweit gehandelten Weizens. Das zeigen von der APA ausgewertete Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) aus dem Jahr 2020. Demnach kommen allein 18,1 Millionen Tonnen und damit ein Zehntel des weltweit gehandelten Weizens aus der Ukraine. Der russische Überfall hat die Getreidepreise bereits massiv ansteigen lassen. Zeitweise sogar auf über 400 Euro pro Tonne.
Russland weltweit größter Weizenexporteur
Die Ukraine hat 2020 zwar nur drei Prozent des weltweiten Weizens angebaut. Weil nur ein Bruchteil davon im eigenen Land verbraucht wurde, kamen aber 10,4 Prozent aller Getreideexporte aus der Ukraine. Sie liegt damit auf Platz 5 hinter Russland, der Europäischen Union, den USA und Kanada.
Der Ukraine-Krieg droht einer Studie zufolge die Versorgung afrikanischer Staaten mit Getreide für die Lebensmittelproduktion deutlich zu verschlechtern. "Handelswege sind gekappt, Infrastruktur zerstört und alle verbleibenden Produktionskräfte dürften auf eine Kriegswirtschaft ausgerichtet werden", sagte Handelsforscher Hendrik Mahlkow vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) am Freitag.
In Tunesien würden die gesamten Weizenimporte dauerhaft um mehr als 15 Prozent zurückgehen, die Importe von übrigem Getreide um fast 25 Prozent. Ägypten würde über 17 Prozent weniger Weizen und um knapp 19 Prozent weniger sonstiges Getreide Mais oder Hirse importieren können, Südafrika um 7 Prozent weniger Weizen und über 16 Prozent weniger sonstiges Getreide. Auch Länder wie Kamerun, Algerien, Libyen, Äthiopien, Kenia, Uganda, Marokko und Mosambik müssen mit Einbußen rechnen.
"Die Ukraine ist als Getreidelieferant auch langfristig nicht zu ersetzen", fasste Mahlkow die Untersuchung zusammen. "Ihr Ausfall verschlechtert Afrikas Versorgung und treibt auch die Preise in die Höhe." Allein in Tunesien drohe langfristig eine Verteuerung um etwa ein Viertel bei einigen Getreidesorten.
Eine Möglichkeit, das Weltmarktangebot an Getreide kurzfristig zu erhöhen, wäre der Verzicht auf den Anbau von Biobenzin. Stattdessen könnten die Böden für Brotgetreide genutzt werden. "Alleine in Deutschland betrifft dies drei Prozent aller landwirtschaftlichen Nutzflächen", sagte Mahlkow. "Allerdings muss so eine Entscheidung schnell erfolgen, denn die Aussaat beginnt in den kommenden Wochen."
Kriegsgegner Russland ist mit 37,2 Millionen Tonnen der weltweit größte Weizenexporteur - mit einem Anteil von fast 22 Prozent. Knapp dahinter folgt die Europäische Union mit knapp 36 Millionen Tonnen (21 Prozent des Weltmarkts). Der EU-interne Handel zwischen den 27 Mitgliedsländern ist in diesen Zahlen nicht enthalten. Die USA und Kanada liefern mit je 26,1 Millionen Tonnen bzw. 15 Prozent des Welthandels.
Asiatische und Afrikanische Staaten auf Export angewiesen
Auf die Weizenexporte angewiesen sind vor allem große asiatische und afrikanische Staaten: Indonesien (10,3 Millionen Tonnen), die Türkei (9,7) sowie Ägypten (9,0) und China (8,2 Millionen Tonnen). China hat bereits Anfang Februar eine Erleichterung der russischen Getreideimporte angekündigt. Denn China ist zwar der weltweit größte Weizenproduzent, kommt aber trotzdem nicht ohne Importe aus.
Auch Österreich ist auf Importe angewiesen: 2020 waren es 1,2 Millionen Tonnen. Umgekehrt hat Österreich aber auch 1,7 Millionen Tonnen Weizen selbst angebaut und davon 620.000 Tonnen exportiert.
Experte: Derart schnellen Weizenpreis-Anstieg "noch nie erlebt"
Der langjährige Wifo-Agrarökonom Franz Sinabell hat bereits einige Krisen auf den Getreidemärkten beobachtet. "Einen so raschen Preisanstieg in so wenigen Tagen habe ich noch nie erlebt", so Sinabell. Durch den Ukraine-Krieg ist der Weizenpreis von rund 290 Euro je Tonne auf einen Rekordwert von über 400 Euro hochgeschnellt.
Wie eine Getreideernte in der Ukraine in Zeiten des Kriegs stattfinden soll, ist ungewiss. "Im besten Fall" könnten sich die Ukrainer heuer "selbst ernähren, wenn es so weitergeht", erwartet Sinabell. Ein mögliches Szenario sei auch, dass die Ukraine selbst Getreide-Hilfslieferungen brauche.
Russland will Export einschränken
Russland wird Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew zufolge seine Exportverpflichtungen im Agrarsektor erfüllen, hieß es am Donnerstag. Die russische Nachrichtenagentur Interfax hatte zuvor gemeldet, dass Russland den Export von Weizen von 15. März bis Ende August einschränken will.
Für eine Lieferung im Mai kostet die Tonne Weizen an der Warenterminbörse Euronext in Paris zuletzt rund 368,50 Euro und für Dezember 307,5 Euro. Der Markt erwarte im Laufe des Jahres einen Preisrückgang, so Sinabell.
"Konzertierte Maßnahmen"
Weltweit blicken Politiker mit Besorgnis auf die hohen Getreidepreise. Teures Brot hat in der Vergangenheit zu politischen Unruhen, etwa in Nordafrika geführt. Der Wifo-Agrarökonom kann sich vorstellen, dass es auf Ebene der G7-Länder in nächster Zeit "konzertierte Maßnahmen" geben könnte, um die Versorgungslage zu stabilisieren. Auch die EU könnte über die UNO Getreidelieferungen nach Afrika finanzieren, so der Experte.
Sinabell rechnet für die Getreidebauern trotz hoher Weizenpreise mit "einem nicht so guten Jahr". Die Vorteile würden durch die ebenfalls stark gestiegenen Inputkosten, etwa für Dünger und Diesel, wieder aufgefressen. In Österreich könnten Betriebe mineralische oder synthetische Düngemittel teilweise durch Stallmist ersetzen. Andere Länder sind in ihrer Landwirtschaft sehr stark auf industrielle Düngemittel angewiesen.
Steigende Preise für Futtermittel
Weißrussland und Russland zählen zu den größten Düngemittelproduzenten weltweit. Russland setzt nach Angaben von Industrieminister Denis Manturow vorübergehend den Export von Dünger aus. Die hohen Preise für Futtermittel (u.a. Mais, Getreide, Soja) belasten weltweit auch die Schweinebauern.
Selbstversorgungsgrad in Österreich bei 88 Prozent
In den nächsten Monaten erwartet der Wiener Agrarökonom einen Rückgang der Weizenpreise auf den Terminmärkten, aber ein weiterhin hohes Preisniveau. Dies werde aber nur dann eintreten, solange die Weizenexporte von Russland und der Ukraine "nicht völlig zum Erliegen" kommen.
Die österreichischen Bauern können die Getreidenachfrage hierzulande relativ gut abdecken. Der Selbstversorgungsgrad bei Getreide lag in Österreich zuletzt bei rund 88 Prozent.
Aktuell sei genügend Getreide vorhanden
Die Leipnik-Lundenburger-Tochter GoodMills (u.a. Fini's Feinstes und Farina) mit Sitz in Wien ist mit 25 Mühlen in 7 Ländern nach eigenen Angaben das größte Mühlenunternehmen in Zentral- und Osteuropa. "Zum aktuellen Zeitpunkt können wir zudem sagen, dass in allen Ländern, in denen GoodMills operativ tätig ist, ausreichend Getreide am Markt vorhanden ist, um die Produktion in den Mühlen aufrechtzuerhalten", so GoodMills-Chef Leonhard Gollegger.
"Der Mehlpreis ist bei bestehenden Verträgen gesichert, bei neuen wird es zu Angleichungen an den steigenden Weltmarktpreis bei Weizen kommen."
Auswirkungen auf Lebensmittelindustrie sei spürbar
Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Russland-Sanktionen belasten auch die heimische Lebensmittelindustrie. Man spüre die Auswirkungen auf Energie- und Lebensmittelpreise, die Energieversorgung, Lieferungen und Lieferketten, hieß es kürzlich vom WKÖ-Fachverband der Lebensmittelindustrie.
"Aktuell ist die Lebensmittelversorgung in Österreich nicht bedroht", sagte Landwirtschaftsminister Elisabeth Köstinger am Donnerstag laut Parlamentskorrespondenz im Landwirtschaftsausschuss. Es gehe weniger um die Verfügbarkeit, sondern um die Entwicklung der Preise.
Um schnell reagieren zu können, habe man einen Einsatzstab zur Lebensmittelversorgung in ihrem Ressort eingerichtet. Eine zusätzliche Herausforderung sind laut der Ministerin die drohenden Versorgungsengpässe in Nordafrika und dem Nahen Osten. Die meisten Fragen müsse man aber auf europäischer Ebene gelöst werden, so Köstinger.