Wirtschaft

TTIP-Aufreger Klagsrechte: Reform oder Nebelgranate?

Um das Freihandelsabkommen (TTIP) mit den USA zu retten, schlägt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström Verbesserungen für die umstrittenen Schiedsgerichte vor. Diese privaten Schlichtungsinstitutionen sollen Konflikte zwischen Konzernen, die sich in ihren Eigentumsrechten beschnitten sehen, und Regierungen beilegen. Damit werde jedoch die demokratische Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt und eine Konzernjustiz ermöglicht, befürchten TTIP-Kritiker.

Jetzt hat Brüssel auf die massive Kritik vor allem aus Österreich und Deutschland reagiert und Reformvorschläge vorgelegt. Sie teile die Ansicht, dass die traditionellen Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS) zu viel Spielraum für Missbrauch böten und nicht transparent genug seien, so Malmström. Ihre Empfehlungen:

- Keine Paralleljustiz: Wer klagen will, soll sich entscheiden müssen: entweder vor dem Schiedsgericht oder vor der nationalen Justiz. Die Schiedsgerichte sollten künftig eher wie traditionelle Gerichte funktionieren. Deshalb soll ein Einspruch gegen Urteile möglich werden - bisher ist das meist ausgeschlossen oder stark eingegrenzt. Es soll überdies eine fixe Liste von Schiedsrichtern geben, diese sollen nicht mehr wie bisher in mehreren Verfahren als Anwalt oder Richter auftreten können und müssen bestimmte Qualifikationen vorweisen.

- Recht auf Regulierung: Den Staaten soll ausdrücklich das Recht eingeräumt werden, legitime Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zu treffen ("right to regulate") - und zwar nicht im eher unverbindlichen Vorwort der Abkommen, sondern durch einen eigenen Artikel.

- Klarere Definitionen: In der Vergangenheit hätten schwammige Formulierungen wie das Versprechen eines "stabilen Geschäftsumfeldes" zu Klagen regelrecht eingeladen, räumte Malmström ein. Eine enger definierte Festlegung, was eine "faire und gerechte Behandlung" für Konzerne bedeutet, soll Klagsfluten künftig eindämmen helfen. Künftig müsse in jedem Fall der Verlierer die Kosten tragen - das soll Klagen auf Verdacht verhindern.

- Mehr Transparenz: Bisher musste der Steuerzahler bei für die Staaten verloren gegangen Prozessen zwar die Zeche zahlen. Informationen erhielt er zu den Klagen aber nur in seltenen Fällen. Künftig sollen alle Dokumente und Prozesse öffentlich sein.

Gleichzeitig regt die Kommissarin an, dass die EU sich für den langfristigen Aufbau eines ständigen internationalen Investitionsgerichtshofes einsetzen sollte. Dieser könnte die herkömmlichen privaten Schiedsgerichte auf lange Sicht komplett ablösen. Die nun vorgelegten Reformvorschläge garantierten, dass Staaten Investoren nur dann Entschädigungszahlungen leisten müssten, wenn diese unfair behandelt worden seien.

Unversöhnliche Positionen

Für die Kritiker gehen die Reformen nicht weit genug - oder verschlimmern die Lage sogar noch. "Das ist eine Nebelgranate, die die EU-Kommission wirft, um die Sozialdemokraten für TTIP zu gewinnen", sagt Pia Eberhardt von der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) zum KURIER. Sie wirft der Kommission Irreführung und Lügen vor: Die Klagsspielräume würden nicht enger definiert, sondern sogar noch ausgeweitet. Im EU-Kanada-Abkommen CETA finde sich erstmals die Formulierung, dass die "legitimen Erwartungen" von Unternehmen zu berücksichtigen seien. Damit könne alles und jedes gemeint sein.

Auslegungssache

Dem widerspricht der Schiedsgerichtsexperte Moritz Keller von der Kanzlei Freshfields, die sowohl Staaten als auch Investoren vertritt, im Gespräch mit dem KURIER. Diese zusätzlichen Feststellungen hätte es seiner Meinung nach gar nicht gebraucht, schließlich gebe es bereits ein gut dokumentiertes Archiv von Schiedssprüchen: "Schiedsgerichte haben wiederholt betont, dass Staaten grundsätzlich das Recht haben, Themen im Sinn des Gemeinwohls zu definieren und zu regulieren." Klarstellungen bei einzelnen Schutzstandards dürften hingegen alle begrüßen.

Sinnvoll wäre ein einheitlicher Gerichtshof für alle Schiedsverfahren allemal - schließlich gibt es einen Wildwuchs von 3000 zwischenstaatlichen Abkommen, der seit den 1950ern entstanden ist. Ein erster Schritt wäre ein einheitlicher Berufungsmechanismus für alle bestehenden Verträge.

Schon das sei allerdings unwahrscheinlich, sagt Experte Moritz Keller: "Dies würde ein multilaterales Abkommen voraussetzen. Ein Versuch für ein solches Abkommen ist schon einmal 1959 u.a. unter Beteiligung des damaligen Deutsche-Bank-Chef Hermann Abs unternommen worden." Auf internationaler Ebene konnte man sich aber nie einigen. Ein solches Abkommen dürfte somit auch weiterhin bestenfalls ein Langfristziel bleiben.

Widerstand gegen "Paralleljustiz"

Die vor allem von Großkonzernen verlangten Investitionsschutz-Regeln gelten als einer der Hauptgründe für den großen Widerstand in Europa gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen. Die Schiedsgerichte werden von Gegnern als eine Art unangreifbare Paralleljustiz kritisiert, über die Unternehmen Schadenersatz zulasten der Steuerzahler erstreiten, nationale Gesetze aushebeln oder eine Senkung von Verbraucher- und Umweltstandards durchsetzen können.

Über ihre neuen Vorschläge will Handelskommissarin Malmström bereits an diesem Mittwoch mit Europaabgeordneten diskutieren. Am Donnerstag ist dann eine weitere Runde bei einem Treffen der EU-Handelsminister geplant. Auf Grundlage dieser Gespräche soll dann eine endgültige EU-Position für die Verhandlungen mit den USA erarbeitet werden.