Wirtschaft

Trend zu mehr Scheinfirmen "ist alarmierend"

Zwischen 50 und 100 Fälle von Scheinfirmen werden pro Jahr in Österreich aufgedeckt. Die neuesten Zahlen sind für das Finanzministerium und die Finanzpolizei aber alarmierend. Allein im ersten Halbjahr 2021 gab es nämlich bereits 55 bestätigte Fälle solcher Scheinfirmen, 63 Verdachtsfällen wird außerdem aktuell nachgegangen. "Wir stellen fest, dass die Intensität, mit der Scheinunternehmen auftreten, deutlich zunimmt", erklärt Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpolizei. Das sei "alarmierend". Von den 55 bestätigten Fällen betreffen 46 allein das Bundesland Wien. In erster Linie gehe es um Personalbereitsteller am Bau, erklärte dazu Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP).

Auffällig ist, dass der Trend zu einer neuen, ausgeklügelteren Art von Scheinfirmen geht. "Momentan werden Scheinrechnungen ausgestellt, die auch tatsächlich bezahlt werden. Das Geld wird transferiert, im Anschluss daran sofort behoben und sozusagen im Plastiksackerl wieder zurückgeführt", erklärt Lehner. Er nennt das Schwarzgeld im großen Stil, um etwa Bestechungsgeld oder schwarz Löhne zu zahlen. Möglich sei das durch ein dichteres Netzwerk unter den Scheinfirmen.

Das Finanzministerium will daher auch mit neuen Methoden diesen Firmen gegenwirken. Daher wird eine eigene Soko eingerichtet, die unter der Leitung des Amts für Betrugsbekämpfung steht. Die vom Finanzministerium eingerichtete Soko werde keinen eigenen Personalstand haben, sondern werde "fallspezifisch aus den jeweiligen Ermittlern" zusammengezogen, so Lehner.

Neue Art

Der Unterschied zu früheren Scheinfirmen? "Die klassische Scheinfirma, die früher am Markt war, hatte eine nicht existierende Adresse mit einem nicht existierenden Geschäftsführer, das war leicht zu detektieren", so der Chef der Finanzpolizei. Mittlerweile gebe es eben eine Minimalstruktur mit Dienstnehmern, die für die erste Zeit ordnungsgemäß angemeldet und entlohnt werden. "Über die werden Millionen abgewickelt, die die paar Arbeitnehmer nicht leisten konnten. Die Scheinfirma ist daher ein Puffer für weitere Scheinfirmen." 

Die Zunahme an Fällen dürfte laut Lehner an zwei Faktoren liegen. Zum einen gab es so gut wie keinen Lockdown in der Bauwirtschaft. Der daraus resultierende Bauboom verstärke die Tendenz zu Scheinfirmen. "Es besteht Bedarf an sehr vielen Dienstnehmern, die man günstig einkaufen können muss." Außerdem sei man "durchaus erfolgreich" in der Bekämpfung der Scheinfirmen gewesen - und zwar durch eine Kooperation mit der Österreichischen Gesundheitskasse. Überall, wo viele Arbeitnehmer gleichzeitig angemeldet wurden, wurde geprüft und so Scheinfirmen entdeckt.

Vehikel

"Scheinfirmen dienen als Vehikel für Sozial- und Steuerbetrug", betonte auch Finanzminister Blümel. "Betrug kennt keinen Lockdown", sagte Blümel angesichts der gestiegenen Zahlen im ersten Halbjahr dieses Jahres. Die Firmen würden je nach Größe einen Umsatz zwischen 200.000 Euro bis 30 Millionen Euro in Form von Überweisungen im Netz abwickeln, um eben fiktive Rechnungen zu begleichen. Der öffentlichen Hand würden jährlich rund eine halbe Milliarde Euro an Steuern wegen Abgabenhinterziehung und Scheinunternehmen entgehen, beruft sich Blümel auf eine IHS-Studie aus dem Jahr 2016 zu der Thematik. Betroffen seien laut der Studie auch zwischen 12.800 und 29.600 Arbeitnehmer, die bei vermeintlichen Scheinfirmen beschäftigt sind.

Reaktionen

Rückenwind bekommt das angekündigte stärkere Vorgehen gehen Scheinfirmen von der Wirtschaftskammer Österreich, Bundessparte Gewerbe und Handwerk. Scheinunternehmen führen zu Schwarzgeldkarusellen und müssen im Interesse und zum Schutz aller redlich agierenden Unternehmen strikt geahndet werden“, so Spartenobfrau Renate Scheichelbauer-Schuster in einer Aussendung. Scheinunternehmen würden großen Schaden verursachen: Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung und Zuschläge für die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse sowie Entgeltansprüche von Arbeitnehmern würden fehlen. Sie fordert ein besonders Augenmerk der neu eingerichteten Soko auf Scheinunternehmen von ausländischen Unternehmen mit Inlandsbezug, es also eine Tathandlung im Ausland gibt, in Österreich aber Auswirkungen feststellbar sind - etwa beim Herüberarbeiten aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat nach Österreich von nicht gemeldeten Arbeitnehmern. 

Gänzlich anders sieht die Ankündigung hingegen NEOS-Sozial- und Wirtschaftssprecher Gerald Loacker. "Der Ministerialentwurf zum Lohn- und Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz, der am Donnerstag in den Ausschuss kommt, erschwert Scheinfirmen ihre kriminellen Machenschaften nicht, er erleichtert sie", so Loacker seinerseits in einer Aussendung. Er stößt sich an einer Deckelung der Strafen bei Meldeverstößen von 20.000 Euro pro Anlassfall. Außerdem fehle die Risikoüberprüfung, die bei privaten Lösungen bereits zum Einsatz komme. Und es gebe keine Möglichkeit, Daten europaweit auszutauschen. Die NEOS fordern daher eine "europäische Sozialversicherungsnummer", so Loacker.