Wirtschaft

Siemens-Chef Löscher: Vom Winde verweht

Das SparprogrammSiemens 2014“ hat sich Peter Löscher sicher anders vorgestellt. Das Paket, das rund 10.000 der rund 370.000 Jobs kosten sollte, sah vor, dass der Betriebsgewinn des Elektrokonzerns im Geschäftsjahr 2013/’14 zwölf Prozent des Umsatzes erreicht. Nicht explizit genannter Teil des Plans war auch, dass er unter Löscher als Konzernchef umgesetzt wird.

Beide Ziele sind inzwischen Geschichte: Am Donnerstag der Vorwoche verkündete Siemens, dass der Konzern das Ergebnisziel 2014 nicht erreicht. Das Eingeständnis war gleichzeitig das Aus für Peter Löscher an der Konzernspitze: Das Präsidium des Aufsichtsrats beschloss am Wochenende die vorzeitige Ablöse des 56-jährigen gebürtigen Kärntners. Offiziell absegnen soll dies am Mittwoch der Gesamt-Aufsichtsrat, der auch den derzeitigen Finanzchef des Konzerns, den Bayern Joe Kaeser, zu Löschers Nachfolger küren soll (siehe unten).

Pannenserie

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Die zweite Gewinnwarnung innerhalb von nur drei Monaten – im Mai musste Löscher das Verfehlen der Gewinnziele für das bis Ende September laufende aktuelle Geschäftsjahr 2013 bekannt geben – ist freilich nur der unmittelbare Auslöser für Löschers vorzeitige Ablöse. Der wahre Grund für sein Scheitern ist – so Beobachter – eine Reihe von Fehleinschätzungen und auch Pannen des Konzernchefs.

Vor allem im Energie-Bereich: Probleme mit Umspannplattformen für Offshore-Windparks vor der deutschen Ostsee-Küste verursachten Siemens Verluste von mehr als 500 Millionen Euro. Eine Panne bei Onshore-Windrädern in den USA – ein Flügel brach ab – führte dazu, dass alle baugleichen Anlagen überprüft werden müssen. Was nicht nur Image, sondern auch rund 100 Millionen Euro kostete.

Der Einstieg in die Solarsparte verschlang mehr als eine Milliarde Euro. Die zugekauften Unternehmen im Solarbereich erwiesen sich wegen des Preisverfalls in Folge der weit billigeren chinesischen Konkurrenz als unverkäuflich, Siemens musste den Bereich schließen. Parallel zu den Pannen bei Alternativ-Energien leidet das Siemens-Geschäft mit herkömmlichen Kraftwerken. In Europa ist wegen der derzeit hohen Gaspreise praktisch kein Gaskraftwerk zu verkaufen. Vor allem das von Wien aus gesteuerte Geschäft in Osteuropa leidet.

Zug verpasst

Auch in der für den Konzern wichtigen Verkehrssparte hat Siemens Probleme. So werden etwa die ICE-Hochgeschwindigkeitszüge für die deutsche Bahn trotz der neuerlichen Zusage Löschers mit mittlerweile zweijähriger Verspätung erst 2014 ausgeliefert. Und der Liefertermin für die ersten zehn Züge durch den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal wackelt ebenfalls.

Offen ist, ob Löscher seiner vorzeitigen Demontage – sein Vorstandsvertrag läuft noch bis 2017 – zustimmt oder sich feuern lässt. Eine einvernehmliche Trennung könnte Siemens immerhin rund neun Millionen Euro kosten. Der Vertrag der zweiten Österreicherin im Vorstand, Brigitte Ederer, läuft noch bis 2015. Ederer kündigte zuletzt an, bis dahin im Vorstand bleiben zu wollen.

Er ist niemand, der gerne im Hintergrund steht, jetzt steht er auf der Karriereleiter ganz oben: Der 56-jährige Joe Kaeser (eigentlich Josef Käser) soll auf Wunsch des Aufsichtsrates am Mittwoch das Zepter beim deutschen Elektronikkonzern in die Hand nehmen. Der gebürtige Niederbayer wird sich da nicht lange bitten lassen. Im Gegenteil: Insider vermuten, der Finanzvorstand habe seinem Chef gar ein Bein gestellt, um ihn loszuwerden. Faktum ist, dass Kaeser mit seiner völlig überraschenden Gewinnwarnung am vergangenen Donnerstag nicht nur den Aktienkurs auf Talfahrt schickte, sondern auch den angezählten Löscher in Bedrängnis brachte. Dieser steht derzeit ohne Pressesprecher da, weil seine Neuerwerbung erst im September den Job antritt.

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Das Siemens-Urgestein Kaeser gilt für viele bereits seit längerer Zeit als „heimlicher Chef“, der mit launigen Äußerungen und exaktem Faktenwissen bei Pressekonferenzen dem farblosen Löscher stets die Show stahl. Fast sein gesamtes Berufsleben verbrachte der studierte Betriebswirt im Konzern und kennt ihn daher in - und auswendig. Seit einem, für eine Siemens-Karriere üblichen, USA-Aufenthalt hat er Vor- und Zunamen „amerikanisiert“. 2006 zog Kaeser als oberster Zahlenhüter in den Siemens-Vorstand ein. Neben Medizintechnik-Chef Requardt ist er der einzige Vorstand, der den Korruptionsskandal bei Siemens ohne Schrammen überstand, obwohl er in dieser Zeit Bereichsvorstand war.

Als Finanzchef gelang Kaeser auch ein besonderer Coup: Er verschaffte Siemens eine eigene Banklizenz, um dem Elektronikkonzern im Ernstfall einen direkten Zugang zum Geld der Zentralbanken zu sichern.

In Österreich könnten die Siemens-Mitarbeiter beim Sparprogramm glimpflicher als ursprünglich befürchtet davonkommen. Statt der erwarteten, fast 1000 Mitarbeiter dürften nur knapp 500 abgebaut werden, weniger als 100 davon durch Kündigungen. Zentralbetriebsratschef Friedrich Hagl will die Zahl gegenüber dem KURIER nicht bestätigen, aber: „Wir haben in Verhandlungen viel erreicht. Die meisten Mitarbeiter verlassen Siemens mit einem Sozialplan und Sonderabfertigungen, gehen in Altersteilzeit oder fallen unter eine interne Regelung.“

Der Siemens-Anlagenbau – die ehemalige VA Tech – leidet genauso unter Auftragsmangel wie der Energiesektor. Bei Kraftwerken hofft Österreich auf die zusätzliche Kompetenz für kleine Gaskraftwerke unter 50 Megawatt, für die es noch einen Markt gibt.

Zur Diskussion um Führungsqualität und Strategieschwächen an der Konzernspitze hält sich Hagl bedeckt. Allerdings fordert er vom Zentralvorstand in München, dass dieser ein Konzept für den gesamten Konzern entwickelt und umsetzt: „Derzeit schaut jeder Bereichsvorstand unter dem Druck von Ertragsmargen nur darauf, dass seine Sparte gut wegkommt. Es ist ihm egal, was mit den anderen passiert. Das haben die Siemensianer nicht verdient.“

Bilanz

Siemens setzte im abgelaufenen Geschäftsjahr mit 370.000 Mitarbeitern weltweit 78,3 Milliarden Euro um. Für heuer wird ein leichtes Minus erwartet.

Gewinnwarnung

Wegen zahlreicher Projektpannen musste das Gewinnziel für das laufende Geschäftsjahr – zwischen 4,5 bis 5 Milliarden Euro – nach unten korrigiert werden. Der Aktienkurs rutschte um sechs Prozent auf 78,62 Euro ab. Am kommenden Donnerstag werden die Zahlen für das dritte Quartal präsentiert.

Sparprogramm

Das umstrittene Milliarden-Sparprogramm „Siemens 2014“ sieht den Abbau von rund 10.000 Stellen und die Aufgabe unrentabler Geschäftsbereiche vor. Selbst das China-Geschäft steht auf den Prüfstand.

Mitbewerb

Während Siemens schrumpft und um eine Strategie ringt, rechnet Rivale General Electric (GE) heuer mit einem Gewinnwachstum. Auch die Schweizer ABB ist auf Wachstumskurs und geht fleißig auf Einkaufstour.