"Sich den Euro weg zu wünschen löst keine Probleme"
Als Chef des Europäischen Fiskalrates schaut Niels Thygesen der EU-Kommission auf die Finger. Der dänische Wirtschaftsprofessor überprüft zusammen mit seinem vierköpfigen unabhängigen Expertengremium, ob die Kommission die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in den EU-Staaten ausreichend überwacht.
KURIER: Sie mahnen, das aktuelle Wachstum in der
Eurozone besser zu nutzen. Nutzen wofür? Was erwartet die 19 Staaten der Eurozone?
Niels Thygesen: Wir erwarten keinen dramatischen Abschwung wie vor zehn Jahren. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Konjunktur abkühlen wird. Es wird Unsicherheiten geben, wir brauchen nur an den Handel zu denken – aber das wird wohl erst nach 2019 passieren. Wir hatten zuletzt ein robustes Wachstum von mehr als zwei Prozent in der Eurozone. In dieser Zeit sollte man Finanzpolster aufbauen und sich den langfristigen Trend bei den öffentlichen Ausgaben ansehen und Reserven aufbauen für den Abschwung, der kommen wird.
Würde das bedeuten, Kürzungsprogramme anzusetzen?
Wenn die Wirtschaft wächst, wachsen auch die Einnahmen im Budget, und damit können ja auch die Ausgaben größer werden. Aber die Ausgaben sollen nicht höher sein als das Wachstum. Ich sage nicht, dass man einen radikaler Wechsel vollziehen soll, sondern schmale,vorsichtige Änderungen.
Stimmen Sie mit der Kritik der EU-Rechnungshofes überein, wonach die EU-Kommission zu lax vorgeht bei der Kontrolle des Stabilitätspaktes?
Die Flexibilität gegenüber den hoch verschuldeten Euro-Staaten war notwendig, als es noch kaum eine Erholung des Wirtschaftswachstums gab. Aber seit 2017 ist das nicht mehr der Fall. Und nicht nur die Kommission, auch die Regierungen wollen jeden Vorteil nützen, der sich ihnen bietet. Deswegen haben wir diese fiskalpolitischen Regeln, weil Regierungen Geld ausgeben wollen. Und manchmal geben sie mehr aus als sie haben. Aus politischer Perspektive kann ich das sehr gut verstehen, aber das kann die Wirtschaft destabilisieren.Wenn die Zeiten besser werden, muss man den Regeln des Stabilitätspaktes strenger folgen.
Was würde das für hoch verschuldete
Italien bedeuten. Die Regierung in Rom hat doch gerade das Gegenteil angedacht – die Staatsausgaben erhöhen?
Wir wissen noch nicht, was passieren wird. Es gab auch beruhigende Signale vom Finanzminister, der versichert hat, dass Italien sich nicht weiter verschulden wird. Bisher hat Italien die Drei-Prozent-Neuverschuldungsregel beachtet, aber wegen seines hohen Schuldenstandes ist es sehr verwundbar angesichts der Marktentwicklungen.
Ist Italien mit seinem Schuldenberg eine Gefahr für die gesamte Eurozone?
Italien hat sich verpflichtet, den Maastricht-Vertrag einzuhalten – das heißt einen Höchstschuldenstand von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung. Derzeit steht man aber bei 132 Prozent. Was gefährlich wäre, ist die Idee, dass das Staatsdefizit wieder steigen könnte. Aber in Italien handelt es sich eher um ein Struktur-Problem, um ein seit Langem zu niedriges Wachstum. Vielleicht kann eine neue
Regierung neue, nützliche Ideen durchbringen, in einem System, dem es bisher nicht gelungen ist, Reformen umzusetzen.
Was bedeutet es auf europäischer Ebene, sich auf weniger gute Zeiten vorzubereiten?
Wir sehen die Notwendigkeit für mehr gemeinsame Initiativen zur Stabilisierung, wie etwa letztlich für die Bankenunion und die Einlagensicherung. Denn man sollte aus der vergangenen Krise die Lehre ziehen, dass größere Ereignisse nicht alleine national oder von der
Europäischen Zentralbank gelöst werden können. Die europäische Fiskalpolitik muss mehr auf einem gemeinsamen Niveau agieren. 2008, da gab es nichts, kein Sicherheitsnetz, kein Stabilisierungsfaktor. Das müssen wir alles für das nächste Mal parat haben. Das wird das Element der Risiko-Teilung sein und es sollte zusammenhängen mit transparenteren Regeln.
Aber momentan geht es in Richtung Reformen der Eurozone doch kaum voran.
Es gibt eine gewisse Blockade zwischen jenen Staaten, die darauf beharren, dass mehr Risiko geteilt werden muss und jenen, die Risiko vermeiden wollen. Dabei könnte das durchaus in parallelen Schritten passieren, und das alles auf Basis der existierenden, guten Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und gewisser Stabilitätsmechanismen.
Warum war es früher möglich, eine Währungsunion und den Euro zu gründen, während heute schon die Bemühungen für eine Bankenunion feststecken?
Als die Währungsunion gegründet wurde, stand die Bankenunion nicht auf der Agenda. Damals hat alles noch viel mehr auf nationaler Ebene stattgefunden. Man hat also unterschätzt, welchen Impuls der Euro der finanziellen Integration geben würde – und auch der finanziellen Instabilität. Das wurden während der Finanzkrise offensichtlich. Wir brauchen etwas, das den Ländern hilft, bevor die Staaten vom internationalen Finanzmarkt abgeschnitten werden. Der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM kommt ja erst zum Einsatz, wenn die Staaten schon keinen Zugang mehr haben. Aber ein Instrument, das schon davor ansetzt, würde den Aufprall mildern und mehr Vertrauen ins System schaffen.
Österreich und Dänemark gehören zu den finanzpolitisch vorsichtigen Ländern. Wie wären sie dazu zu bewegen, mehr Risikoteilung einzugehen?
Man hat gute nationale Regeln und könnte diese als Basis für gemeinschaftliche Einrichtungen nützen, etwa für die Bankenunion. Es ist schon richtig, dass zuerst das Risiko reduziert werden muss, bevor man gemeinschaftliche Initiativen setzt. Aber einmal den Schritt gesetzt, sollte man die Gemeinschafts-Projekte weiter entwickeln. Auch in meinem Land wird das von Politikern oft zu eng und zu kurzfristig gesehen.
Kann die Eurozone ohne diese großen Reformen überleben?
Sie hat eine große Krise überlebt, mit nachhaltigen Folgen. Aber was wir auch gesehen haben, speziell mit Blick auf Italien: Sich den Euro wegzuwünschen, löst keine Probleme. Der Euro wird überleben, aber er könnte widerstandsfähiger werden, wenn man mehr von diesen Schritten umsetzen würde. Aber man sollte die Kapazität für Innovationen nicht unterschätzen, wie wir während der Krise gesehen haben.
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Wie sehen Sie das persönlich?
Ich bin schon lange dabei, vielleicht ist das der Grund für meinen Optimismus. Ich habe schon Schlimmeres gesehen. Die Eurozone ist „work in progress“.
Zur Person: Niels Thygesen
Sich zur Ruhe zu setzen ist für den scharfsichtigen früheren Professor für internationale Wirtschaftswissenschaften an der Uni Kopenhagen keine Option. Als Chef des Europäischen Fiskalausschusses agiert der 83-jährige ehemalige Berater der dänischen Regierung und der OECD nun als eine Art „Wächter“ über die „Wächter“, nämlich über die EU-Kommission. Der Wirtschaftsexperte wird Mitte September auf Einladung der Regierung in Wien im Parlament über seine Tätigkeit referieren.