Wirtschaft

Schiefes Selbstbild: Kein Reicher fühlt sich reich

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Österreich gewaltig, sie hat sich aber seit 2010 zumindest nicht vergrößert. So lässt sich die Vermögensstudie deuten, die die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) am Montagabend präsentierte.

Die ärmeren 50 Prozent

Fakt ist: Der Wohlstand ist extrem ungleich verteilt. Die ärmere Hälfte der heimischen Haushalte besitzt nur 3,2 Prozent des Nettovermögens – dabei sind Bares und Wertpapiere, Sachwerte wie Autos, Schmuck oder Immobilienbesitz zusammengezählt und die Schulden abgezogen.

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Am untersten Ende, bei den letzten 10 Prozent, ist gar kein Nettovermögen da: Sie sind mit durchschnittlich 11.600 Euro überschuldet.

Die (Super-)Reichen

Konträr dazu das obere Ende: Die reichsten 10 Prozent der Haushalte verfügen netto über durchschnittlich 1,44 Millionen Euro – ihnen gehören somit 56 Prozent des gesamten Kuchens. Dem reichsten Hundertstel können gut 25 Prozent des Vermögens zugeordnet werden.

Übertrieben sei das sicher nicht, betont Studienautor Martin Schürz, im Gegenteil: "Die reichsten Menschen sind untererfasst – dafür werden wir wieder kritisiert werden." Ingrid Flick oder Dietrich Mateschitz waren wohl nicht vertreten: Der vermögendste Haushalt der Studie kam auf einige Dutzend Millionen.

"Typischer" Österreicher

Pickt man einen fiktiven Haushalt raus, der exakt in der Mitte liegt (Median), dann verfügt dieser über 85.900 Euro – gegenüber der Erhebung vor vier Jahren ein Plus von 9500 Euro. Der Zuwachs ist primär den gestiegenen Immobilienpreisen zu verdanken, freilich besitzt nur knapp die Hälfte der Österreicher ein Eigenheim.

Fehlurteile

Auffällig ist die völlig verquere Selbsteinschätzung: "Keiner in Österreich fühlt sich reich", kommentierte Schürz. Kein einziger der 300 reichsten Haushalte ordnete sich richtig ein: "Alle glauben, sie sind in der Mitte." Ein einziger Befragter fühlte sich superreich – ohne es wirklich zu sein.

Wenig Veränderung

Was hat sich seit 2010 getan? Dazu lasse sich keine statistisch relevante Aussage treffen, warnte Schürz. Gemessen am "Gini-Wert" wäre die Vermögensverteilung einen Hauch gleicher geworden. Beträgt diese Kennzahl 0, hätten alle gleich viel; beträgt sie 1, besäße einer das ganze Vermögen. In Österreich liegt der Wert mit 0,73 im internationalen Spitzenfeld, die Vermögen sind also sehr ungleich verteilt. Im Vergleich zur letzten Erhebung (0,76) ist der Gini aber gesunken.

Und Deutschland?

Verglichen mit den Nachbarn verläuft die Kurve bei uns etwas weniger steil, die mittleren Vermögen sind eine Spur ausgewogener verteilt. Das sei relativ, sagt Schürz: Das Nettovermögen der zweitreichsten zehn Prozent Haushalte ist in Österreich um das 521-fache höher als das der zweitärmsten zehn Prozent.

Als die OeNB die Studie 2012 erstmals publizierte, war die Aufregung groß: Sie platzte in die Debatte über Erbschafts- und Vermögenssteuern. Zudem ergab der EU-Vergleich, dass die Durchschnittsvermögen in Südeuropa (Zypern, Spanien, Italien, sogar Griechenland) höher sind als in Deutschland oder Österreich. Erklärung: Dort leben mehr Menschen in einem Haushalt, das Eigenheim ist öfter in Familienbesitz. Und die Menschen sparen mehr für die Pensionssorge an, weil die Sozialnetze weniger eng geschnürt sind. Neue europaweite Daten sollen Ende 2016 kommen.

Zur Vermögensstudie

Die „Befragung über Haushaltsfinanzen und Konsum“ (englisch Household Finance and Consumers Survey, kurz: HFCS) wird für die Euroländer seit 2010 im Drei-Jahres-Takt durchgeführt. In Österreich wurden von Juni 2014 bis Februar 2015 knapp 3000 Haushalte von Interviewern besucht und befragt. Die Studie definiert das Brutto-Vermögen dabei sehr breit: Sachwerte wie Autos, Immobilien, Gold, Antiquitäten oder Schmuck, Unternehmensanteile sowie Finanzvermögen (Bares, Konto, Sparbuch, Aktien, Anleihen, Bausparverträge, Lebensversicherungen) zählen dazu. Abgezogen werden davon die Schulden des Haushalts – so ergibt sich das Nettovermögen.