Zukunft Windkraft: Wie schaffen wir die Energiewende, wenn der Ausbau hinkt?
Von Ornella Wächter
Von der angenehmen Brise, die unten am Fundament des Windrads weht, ist auf 140 Metern Höhe keine Rede mehr. Der Wind töst pfeifend durch die Luke, die Rene Rezsetar öffnet, um auf das Dach der Gondel zu kommen. Sein Kollege Jürgen Pleil ist bereits oben.
Der Ausblick: atemberaubend. Doch davon lässt sich der Techniker nicht ablenken. Er sichert sich zuerst mit einem Karabiner an einem am Dach fixierten Bohrhaken. Die Böen fegen eisig über die winzige Plattform. Bei solchen Bedingungen Messgeräte zu kontrollieren, ist kein leichter Job. Jeder Griff muss sitzen.
Dass Rezsetar in solchen Höhen schwindelfrei arbeiten kann, habe er erst bei seiner Bewerbung herausgefunden, erzählt der Techniker, der sich um die Wartung und Störungsbehebung der Windräder kümmert. „Jeder der hier arbeiten will, muss es schaffen, über die Leiter im Turm hinauf zu klettern. Körperliche Fitness ist bei diesem Job sehr wichtig.“
Körperliche Fitness
Die Vorbereitungen für einen Aufstieg auf ein Windrad ähneln jenen für einen Klettersteig. Zwar müssen die Techniker nicht jedes Mal die Leiter hinauf klettern, sondern nutzen üblicherweise einen winzigen Fahrstuhl im Inneren des Turms.
Trotzdem sie sind immer ausgestattet mit Helm, Klettergurt, Schraubkarabinern, Abseilgeräten und Seil. „Wenn sich einer da oben verletzt, kommt kein Notarzt rauf. Wir müssen darauf vertrauen, dass uns der Kollege auch sicher abseilen kann. Wir gehen auch immer zu zweit in eine Anlage.“
Rene Rezsetar ist Teamleiter der Servicetechniker der Windkraft Simonsfeld AG mit Sitz in Ernstbrunn in Niederösterreich. Die Region mit ihren sanften Hügellandschaften beschert zuverlässig guten Wind. Mit 89 Anlagen in Österreich, die Strom für 125.000 Haushalte in der Region produzieren, gehört das Unternehmen zu den größten Windstrom-Erzeugern im Land.
Florierende Branche
Wurden die ersten Pioniere, die vor 25 Jahren ihre Messgeräte aus den Autofenstern hielten, um die Windstärke zu messen, noch belächelt, gehört Windenergie heute zu einer florierenden Branche. Rund 1,3 Millionen Menschen arbeiten weltweit im Windenergiesektor, allein in Österreich hat die Branche rund 5.000 Arbeitsplätze geschaffen.
2020 erwirtschafteten Windenergiebetreiber, Zulieferbetriebe und Dienstleistungsfirmen rund 950 Millionen Euro. „In den vergangenen Jahren ist hierzulande eine vielfältige Zulieferindustrie entstanden“, sagt Martin Jaksch-Fliegenschnee von der IG Windkraft. „Derzeit stellen mehr als 190 Firmen Materialien oder Komponenten für Anlagen her, das meiste davon für den Export.“ Darunter: Generatoren, Material für Rotorblätter, Stahl für Windtürme, Bremsscheiben oder Steuerungssoftware.
"Stütze in der Energieaufbringung"
„Man hat gesehen, dass wir eine wichtige Stütze in der Energieaufbringung sind. Heute produziert eine Windkraftanlage das 15-fache von jenen Anlagen, die man vor 20 Jahren aufgestellt hat“, sagt Markus Winter, technischer Geschäftsführer der Windkraft Simonsfeld AG. „Bei den aktuell hohen Energiepreisen sieht man auch, dass mehr Windenergie die Strompreise senken könnte.“
Nach wie vor wird der Sektor stark subventioniert. „Ohne Förderungen aber hätten wir nie die Technologien entwickeln können. Mittlerweile sind die Kosten stark gesunken, unsere Anlagen werden immer effizienter, die Kosten der Stromerzeugung immer günstiger“, sagt Michael Trcka, Finanzvorstand der WEB Windenergie, die 249 Windkraftanlagen im In- und Ausland betreibt.
Zustimmung zur Windkraft steigt
Aus Sicht der Betreiber ist die anfängliche Skepsis in der Bevölkerung zurückgegangen. Man erhalte viel positives Feedback von Gemeinden, die nun einen Windpark in der Nachbarschaft haben, so Winter. „In der Gemeinde Poysdorf in Niederösterreich stehen wir mittlerweile bei der vierten Ausbaustufe. Wenn sich die Anrainer selbst ein Bild machen können, bauen sich anfängliche Vorurteile ab.“
Windstrom habe sich bewährt, ergänzt Jaksch-Fliegenschnee von der IG-Windkraft. „Immer wenn es eine hohe Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom gibt, sinken die Strompreise.“ In Zukunft werde es darauf ankommen, wie gut eine Region mit erneuerbarem Strom versorgt sei, um als Industriestandorten attraktiv zu sein, glaubt der Experte.
Windenergie ist nicht nur als Wirtschaftsfaktor relevant. Sie spielt auch eine Schlüsselrolle in der Energiewende. In spätestens acht Jahren will sich Österreich zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgen können.
Um das Ziel zu erreichen, müsste sich die Stromerzeugung aus Windenergie gegenüber 2020 um mehr als das Doppelte steigern. Den Rahmen für den Ausbau gibt das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) vor. Zwei neue Förderinstrumente sollen dafür sorgen, dass alle Technologien – Wind, Wasser und Photovoltaik – gleichzeitig subventioniert und ausgebaut werden. Doch der Ausbau lahmt.
In der Warteschleife
Zwar sollen bis Ende 2022 weitere 106 Windkraftanlagen ans Netz gehen, mit insgesamt 427 Megawatt Leistung. Doch im Grunde handelt es sich hier um den Abbau von Projekten, die sich seit Jahren in der Warteschleife befinden. Um die Ziele bis 2030 zu erreichen, müssten Berechnungen zufolge pro Jahr mindestens 400 Megawatt in die Netze eingespeist werden. Aufgrund langwieriger Genehmigungsverfahren sei das aber kaum machbar, heißt es aus der Windbranche.
„Man braucht einen langen Atem“, so WEB-Vorstand Trcka. „Selbst Anlagen, die genehmigt sind und eine Umweltverträglichkeitsprüfung haben, hängen oft Jahre fest, da die Förderungen gedeckelt sind. Ist das Kontingent erschöpft, muss man auf das nächste Jahr warten.“ Auch der Fachkräftemangel mache der Branche zu schaffen. Projektentwickler, Elektro-Techniker, Mechatroniker, Zeichner, IT-Experten – „wir suchen in jedem Bereich“, so Winter.
Ein weiteres Problem sind fehlenden Flächen. Denn der Ausbau wird nicht nur durch die Modernisierung alter Anlagen zu schaffen sein. Es braucht mehr Windräder – was bedeutet, dass sich auch das Landschaftsbild verändert. „Das macht es in Österreich unpopulär, neue Windparks zu bauen, sagt Sebastian Wehrle, vom Institut für Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der Universität für Bodenkultur Wien. „Das Ausweisen der Zonen für Windkraft ist Ländersache, in vielen Bundesländern fehlt hier aber der politische Wille.“
So kommt es, dass in Tirol oder Salzburg bislang kein einziges Windrad steht, während in Niederösterreich und im Burgenland der Ausbau in den vergangenen Jahren stärker vorangetrieben wurde. Doch mittlerweile tritt auch Niederösterreich auf die Bremse. „Außerhalb der bestehenden und geplanten Flächen dürfen keine Windräder mehr gebaut werden“, so Wehrle.
Lückenhaftes Regelwerk
Dem Geschäftsführer des Umweltdachverbands, Gerald Pfiffinger, ist das EAG-Regelwerk zu lückenhaft. „Es verfolgt nur den Ausbau von Erneuerbarer Energie, ein umfassendes Energiesparprogramm fehlt. Aber um die Wirtschaft bis 2040 komplett klimaneutral zu machen, müssen weitere Sektoren wie Wärmebereitstellung oder Mobilität elektrifiziert werden. Der Bedarf an Strom wird dadurch weiter steigen.“
Das Ziel könne nicht nur der reine Ausbau sein. „Das allein wird uns keinen Schritt näher zu einer Energiewende bringen.“ Zudem werde die Natur im EAG nicht berücksichtigt. „Wir sind für den Ausbau der Windkraft – wir brauchen aber naturverträgliche Lösungen. Aktuell vermissen wir einheitliche Naturschutzkriterien bei der Zonierung der benötigten Flächen.“
Windkraftanlagen würden derzeit rund zwei Kilometer von Siedlungen entfernt errichtet, Naturräume verbaut und damit Lebensraum von Tieren. Für bestimmte Vögel können Windräder bestandsgefährdend sein, da sie Lebensraum verlieren oder durch Rotorblätter umkommen, so Pfiffinger. „Wir gehen bereits große Kompromisse ein. Solange der Bestand seltener Vogelarten nicht gefährdet wird, können Anlagen auch gebaut werden.“
Viele Naturschützer aber würden fürchten, dass irgendwann die naturverträglichen Potenziale ausgeschöpft seien und man durch versäumtes Einsparen noch nicht klimaneutral sei. „Aber es geht auch um den Erhalt der Naturräume als Lebensgrundlage für uns Menschen.“ Es bräuchte verpflichtende Planungsinstrumente für Gemeinden in Form eines Landschaftsplanes, sowie eine genauere Definition schützenswerter Landschaftsbilder.
Techniker Rene Rezsetar lässt sich von den Diskussionen rund um die Windkraft nicht beirren. Für ihn ist es ein Job mit Zukunft. „Der Bereich entwickelt sich ständig weiter, zudem leiste ich einen Beitrag für den Klimaschutz.“