Übernachten im Gassenlokal
Von Nicole Thurn
Eine graue Wand. Unscheinbar. Bröckelig. Auffällig ist nur die silbermetallene Sicherheitstür mit Pincode-Tastatur. Sieht ein bisschen nach Geheimdienst aus. Aber: Dahinter verbirgt sich ein Hotelzimmer – hipp durchgestylt als Kontrapunkt zur nackten Außenwand des Gebäudes. Hier, in der Favoritenstraße 17, übernachten Wien-Touristen mit Blick auf die Gasse – und doch durch spezielles Glas und Schallschutz vor Lärm und neugierigen Blicken geschützt.
Das Konzept stammt von den „Urbanauts“: Theresia Obermayr, Jonathan Lutter und Christian Knapp haben an der TU Wien Architektur studiert. Kennengelernt haben sie einander nicht etwa am Campus. „Sondern auf einer Städtebauexkursion in Kolumbien“, lacht Obermayr. Auf dem Amazonas saßen sie gemeinsam im Boot. Und tun das metaphorisch gesehen bis heute.
Im Atelier zusammengetan
Zurück in Wien suchten sich die drei ein Atelier. Rasch konzentrierten sie sich auf die Stadtentwicklung. „Viele Städte haben das Problem, dass Lokale leer stehen, ganze Straßen aussterben“, sagt Lutter. Bald – vor fast vier Jahren – entstand die Idee zu „Urbanauts“: Man nehme ein leer stehendes Gassenlokal, renoviere es zu einem stylishen Hotelzimmer und vermiete es an experimentierfreudige Touristen. Und werte so die Umgebung auf.
Im Juli 2011 wurde das erste Street Loft auf 25 Quadratmetern eröffnet: Das Trio fand das schon lange leer stehende Lokal im vierten Bezirk, eine ehemalige Schneiderei. Und so steht heute noch neben der Tür zu lesen: „Die Schneiderin“. Der Gast bucht im Internet, erhält den Pincode und kann damit um 120 Euro pro Nacht pro Zimmer im Street Loft einchecken. Die Urbanauts empfehlen ihren Gästen ihre „Fellows“ in der Nähe: Zum Frühstücken geht’s ins Café Goldegg, zum Lunch ins Opocensky, zum Dinner ins Aromat. Ein Hotel in der Horizontale. Auf Wunsch schneidern die Gebrüder Stitch dem Reisenden die Jeans auf den Leib, bei „Mon Corps“ gibt’s Wellness und für Fitness sorgt das Vienna City Boot Camp, alle vermerkt im „Urbanauts“-Stadtplan. Alles freiwillig, versteht sich. Im Package inbegriffen sind zwei Fahrräder, per Upgrade gibt’s die Vespa dazu.
Leben wie Studenten
Finanziert haben die drei Umbau und Einrichtung aus ihren anderen Projekten: „Dafür haben wir ein Jahr länger wie Studenten weitergelebt“, erzählt Obermayr. „Die Überstunden haben wir nicht gezählt“, lacht Lutter. Auch ihr Büro haben die drei in der „Schneiderin“ angesiedelt. „Arbeiten im Grätzel ist ganz anders, als wenn man im dritten Stock sitzt“, meint Obermayr. „Wir kennen unsere Nachbarn, viele kommen vorbei.“
Das Trio plant heuer noch drei Street Lofts. „Wir sind auf der Suche nach Gassenlokalen“, sagt Lutter. 2013 sollen es zehn sein.
"Wir wollen die Stadt verändern"
Wieso das Ganze? Lutter: Wieso nicht? Weil der Leerstand von Gassenlokalen in Wien enorm ist. Knapp: Weil’s Spaß macht. Obermayr: Ja, weil’s Spaß macht.
Die größte Stütze war? Knapp: Wir untereinander. Obermayr: Der Jonny und der Christian. Lutter: Die Leidenschaft für das Projekt.
Das größte Hindernis? Obermayr: die Gassenlokal-Akquise. Knapp: Die alten Denkmuster aufzubrechen, was die Nutzung der Gassenlokale betrifft. Die Eigentümer und die Stadt Wien zu überzeugen.
Wo hättet ihr gern mehr Unterstützung gehabt? Lutter: Ganz am Anfang bei der Finanzierung des Projekts. Knapp: Dass die Stadt Wien das Thema Gassenlokale generell mehr aufgreift. Lutter: Aber wir wurden vom aws gefördert. Auch der Wien Tourismus hat uns unterstützt – vor allem mit Pressekontakten.
Ein Rat für junge Selbstständige?Obermayr: Einfach loslegen. Knapp: Stay cool as a fool. Sich Neugierde und Albernheit bewahren. Lutter: Durchhaltevermögen, mit anderen kooperieren.
Wo soll’s hingehen? Obermayr: Langsam wachsen, auf sicheren Beinen weitergehen. Lutter: Es soll ein großes Projekt werden. Wir wollen die Stadt verändern.