Wirtschaft/Karriere

Selbstständigkeit am Land: Drei Kreative erzählen

Eine Autofahrt von Wien nach Kirchberg am Wagram und weiter bis nach Engelmannsbrunn dauert eine gute Stunde. Auf öffentlichem Weg muss man U-Bahn, Zug und Bus benutzen – oder aber man geht die letzten 2,8 Kilometer zu Fuß und kommt damit auf fast eineinhalb Stunden. Für die meisten Stadtbewohner und urban sozialisierten Menschen eine kleine Weltreise.

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„Raus aus der Stadt, raus aus dem Gewurl, hinein ins Nirgendwo. Wenn man von Kirchberg nach Engelmannsbrunn fährt, glaubt man erst, da kommt nichts mehr“, sagt Dieter Fritz und grinst.

Doch es kommt viel. Die Region Wagram ist bekannt für ihre vielen Winzer, die ihren Wein auch in ferne Länder exportieren, für ihre malerischen Weinterrassen, ist mit seinen Pilger- und Radwegen in der Donau-Flusslandschaft auch beliebtes Ausflugsziel.

In diesem kleinen Winzer-Mekka hat sich Werbegrafiker Dieter Fritz selbstständig gemacht. Angst, keine Aufträge zu bekommen, musste er als Einheimischer nicht haben. „Das war das Ausschlaggebende für mich. Engelmannsbrunn war ein komplettes Vakuum“, erzählt der Grafiker.

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Mit 20 verließ Fritz seinen Heimatort, kam in der Welt herum, später nach Wien, um irgendwann zu bemerken, dass die Stadt eigentlich nichts für ihn ist. Seine Agentur Struktiv richtete er in einer ehemaligen Mühle ein, die renoviert wurde und eine großzügige Glasfassade bekam. Das war vor 15 Jahren.

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Mundpropaganda ersetzt Kundenakquise

Anfangs hatten die Winzer, Handwerker und Gewerbetreibende der Region nicht viel mit Kommunikationsauftritten und Werbung am Hut. Man kannte schlicht den Bedarf danach nicht. Begriffe wie Design und Corporate Identity klangen für die Ohren hier sehr abstrakt und lebensfern. Es sei viel Aufklärung und Überzeugungsarbeit nötig gewesen, so Fritz.

Sein erster Auftrag war dann die Neugestaltung der Flaschen-Etiketten eines Winzers. Das brachte die Kugel ins Rollen. Denn Kunden-Akquise hatte Dieter Fritz seither nicht nötig. Er profitiert vom „Jeder-kennt-jeden-Prinzip“: Seine Auftraggeber kommen hauptsächlich aus der Region, die Qualität seiner Arbeit verbreitet sich über Mundpropaganda.

Netzwerken am Land geht schneller

Dieter Fritz ist nicht der einzige Kreative hier. Der Architekt Laurenz Vogel und die Journalistin Sonja Planeta wollten ebenfalls nicht länger drei Stunden am Tag mit Pendeln verbringen. Auch sie beschlossen, ihren Wohnsitz im Grünen zum Arbeitsplatz zu machen. Laurenz Vogel bezog in Kirchberg ein altes Geschäftslokal und machte daraus sein Architektur-Büro.

Sonja Planeta wohnt ein paar Kilometer weiter in einem alten Bauernhof in Feuersbrunn. „Meine Spezialisierung auf Kulinarik, Wein und Genuss kommt mir hier zugute. Ich entdecke die Region beruflich und schreibe viel über die Anbieter hier in der Umgebung.“ Viel Konkurrenz müsse sie hier in Wagram nicht fürchten und das in der Medienbranche so essenzielle Vernetzen gehe hier wie von selbst.

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Lange Mitarbeitersuche

Schwierig gestaltet sich allerdings die Mitarbeitersuche. In den Ortschaften rund um Kirchberg und Engelmannsbrunn, würden die meisten nach Wien fahren, um zu arbeiten, erzählt der Architekt. „Ohne Bereitschaft zur Überbezahlung würde ich keine guten Leute finden.“

Junge Kreative zieht es zuhauf in die Stadt, sie suchen urbanen Lifestyle anstatt ländlich geprägten Lebensstil. Jobinserate laufen oft Monate, mit nur wenigen Interessenten. Für eine Freelancerin suchte Dieter Fritz fast vier Monate. Arbeiten am Land? Scheint nicht für alle das Attraktivste zu sein.

Die drei bleiben damit vorerst unangefochten das kreative Trio der Gemeinde. Sie nehmen gemeinsam Aufträge an, hecken Pläne aus, ergänzen sich. Ihr Portfolio reicht von der Gestaltung des Marktplatzes in Kirchberg, über die grafische und redaktionelle Gestaltung eines Regionalmagazins bis hin zur Sanierung alter Gebäude. Ihr Wirken hat die Ortschaft geprägt.

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„Mir liegt viel daran, dass ich mich hier einbringen kann. Mittlerweile werde ich auf der Straße schon um Rat gefragt, obwohl ich in manchen Themen gar nicht vom Fach bin“ erzählt Laurenz Vogel.

Der Architekt stammt wie Dieter Fritz aus der Gemeinde. Sein erstes Projekt: der Entwurf für ein Weingut in Feuersbrunn. „Das ist auch unser Vorteil. Viele kommen zu uns, weil sie sagen „das ist einer von uns, kein Wiener.“

Die bisher größte Wirkung ihres Schaffens hatte der Entwurf des Kreisverkehrs in Engelmannsbrunn. Ansässige nennen ihn bereits „unseren Kreisverkehr“ und manche fahren sogar eine extra Runde, erzählen sie – nicht ohne Stolz.

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Allerdings, ergänzt der Grafiker, dürfe man auch kein Projekt in den Sand setzen – das würde man lang spüren. Dass sich Berufliches und Privates am Land schnell vermischen, weil Kunden hier auch Nachbarn sein können, jeder jeden kennt, störe trotzdem keinen, im Gegenteil. „Das bedeutet Qualität.“