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Schlau genug fürs große Geld?

Wir Menschen steuern die Zukunft nicht, weil wir die Stärksten oder die Schnellsten sind, sondern weil wir die Schlausten sind", sagt Buchautor James Barrat. Das ist nicht neu, aber brisanter denn je zuvor. Denn wie lange noch wird der Mensch diese Position halten können und was passiert, wenn nicht? Das fragt nicht nur Barrat in seinem Buch "Künstliche Intelligenz". Das fragen auch die Intelligentesten der Gegenwart, wie Stephen Hawking (IQ 160) oder Bill Gates (IQ 160). Im schlechtesten Fall wird die Menschheit von der Maschinenintelligenz vernichtet, sagen Pessimisten.

Intelligenz ist das Thema unserer Zeit. Nicht nur die aktuelle Debatte um die künstliche Intelligenz zeigt das. Auch Gehirntraining-Apps und Serien wie "Sherlock Holmes" (IQ ca. 190) oder "The Big Bang Theory" (IQ des Nerds Sheldon Lee Cooper: 187), nehmen das Thema auf.

Wir bewundern Nerds und Überflieger, wären gern alle hochintelligent. Doch wie hat sich der Umgang mit Wissen verändert? Machen uns Technologie und Informationsflut gar dümmer? Was ist Intelligenz heute überhaupt?

Kühlung des Körpers

Die alten Ägypter hielten das Gehirn für so unwichtig, dass sie es vor der Mumifizierung durch die Nasenlöcher rauszogen. Aristoteles hielt das Gehirn für das Kühlsystem des Körpers. Jahrhundertelang wurde geforscht, Tausenden Tieren wurden Nägel in Köpfe geschlagen, bis man die Intelligenz im Hirn verortete.

Das Gehirn wiegt ca. 1400 g – der „normale“ IQ liegt zwischen 85 und 115. Albert Einsteins Gehirn wog ca. 1230 g – sein IQ lag bei geschätzten 160.


Erst 1912 erfand der Hamburger Psychologe William Stern den Intelligenz-Quotienten. Howard Gardner entwickelte in den 1980er-Jahren die Theorie der multiplen Intelligenzen – etwa die analytische, die musische oder die soziale Intelligenz. 1995 schrieb David Goleman ein Buch über emotionale Intelligenz, das ihm die Welt aus den Händen riss, weil für Goleman emotionale Intelligenz eine Voraussetzung für beruflichen Erfolg war. Da fühlte sich die Welt wieder gerecht an. Denn wenn der Aufstieg emotionale Intelligenz braucht, hat irgendwie jeder eine Chance – unabhängig vom IQ. Wie wichtig die emotionale Intelligenz ist, zeigen Studien immer wieder. Teams – reale wie virtuell – arbeiten laut einer MIT-Studie dann am besten, wenn Mitglieder viel miteinander kommunizieren, sich alle gleich einbringen und gut darin sind, Emotionen der anderen einzuschätzen. Der IQ des Einzelnen ist dabei recht unwichtig.

Immer g’scheiter?

Der IQ hat sich in den vergangenen Jahren in den entwickelten Industrieländern auch nicht stark verändert. Wir sind nicht intelligenter geworden, "jedenfalls nicht entwicklungsneurobiologisch. Wir haben die gleichen Gehirne im Kopf wie die Menschen vor hundert Jahren", sagt der Hirnforscher Jürgen Sandkühler, Chef des Center for Brain Research der Medizinischen Universität Wien.

Doch wir würden unser Gehirn heute anders benutzen, wegen der neuen Anforderungen an das Denken: Multitasking, die Informationsflut, Vernetztheit und hohe Geschwindigkeit – all das gehört heute für die meisten Menschen zum Joballtag. "Die beiden Basisanforderungen, die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und die Arbeitsgedächtnisfähigkeit, gewinnen weiter an Bedeutung. Weil Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr verarbeiten und schnellere Schlussfolgerungen ziehen müssen", sagt der Psychologe Aljoscha Neubauer.

In der linken Gehirnhälfte werden sprachliche und analytische Prozesse verarbeitet, rechts dagegen sitzen Fähigkeiten wie Orientierung und Kreativität.


Eben diese Fähigkeiten nehmen im Alter ab, denn die Intelligenz in uns verändert sich: Schon mit 18 ist der Höhepunkt der fluiden Intelligenz erreicht, sagt die Hirnforschung – also jene Intelligenz, die uns weitgehend angeboren ist, die eine schnelle Auffassungsgabe und ein gutes Gedächtnis hervorbringt. Dafür springt eine andere Intelligenz ein: die kristalline, die dafür zuständig ist, das vorher erlernte Wissen abzurufen, zu verknüpfen und zur Problemlösung anzuwenden. Sie nimmt mit dem Alter zu.

Jürgen Sandkühler sieht das alles und die hohe Geschwindigkeit der Arbeitswelt gelassen. Er rät zu Zeitmanagement: "Man braucht Erfahrung, wann man welche Aufgabe am besten erledigt." Menschen, die in der Früh konzentriert sind, sollen dann komplexe Aufgaben lösen. Wer nach dem Mittagessen einen Einbruch hat, soll diese Zeit für soziale Kontakte nützen. "Wenn man sich selbst kennt, kann man seine Leistung optimieren."

Digitale Demenz

Der falsche Zugang ist, nichts mehr zu lernen, sondern Google alles Wissen zu überlassen. Das macht laut Zynikern wie Manfred Spitzer, Autor von "Digitale Demenz", sogar viel dümmer.

Aljoscha Neubauer bestätigt, dass Informationen heute oberflächlicher verarbeitet werden und beim Wissen weniger in die Tiefe gegangen wird. Dass das Internet das Gedächtnis ersetzen kann, hält er dennoch für verfehlt. "Denn Wissen und Expertise sind in Zeiten hoher Komplexität von großer Bedeutung. Die Bewertung von Information wird wichtiger." Weil Experten, etwa Ärzte, ihr Fach weiterhin aus dem Effeff beherrschen müssen. "Wer will sich von einem Arzt operieren lassen, der zehn Minuten googeln muss, wie er die OP durchführen muss?", fragt Neubauer.

Die Länge aller Nervenfasern im Gehirn beträgt 5,8 Mio. km – das entspricht dem 145-fachen Erdumfang.


Noch scheitert die Wissenschaft daran, dass Roboter komplexe Aufgaben des Menschen übernehmen können. Denn bis heute ist das Gehirn nicht zur Gänze erforscht und daher nicht auf Computerchips zu übertragen. "Die schiere Komplexität des Gehirns macht es unmöglich, es als Ganzes zu erfassen", sagt Hirnforscher Jürgen Sandkühler. Auch wenn im schweizerischen Lausanne eben daran mit großem Eifer und einer Milliarde Euro Budget gearbeitet wird: Im "Human Brain Project" versuchen Wissenschaftler, das gesamte menschliche Gehirn in einem Rechner abzubilden. Google probiert mehr oder weniger dasselbe mit "Deepmind" – ein Start-up, das der Konzern vor einem Jahr kaufte. Nur wenig dringt darüber nach außen.

Ob Roboter jemals auch menschenähnliche emotionale und soziale Intelligenz entwickeln werden, ist schwer zu beantworten. Angesichts der Komplexität des Gehirns ist das aber nicht (bald) zu erwarten.

Man stelle sich eine Welt vor, voll von Robotern ohne emotionale Intelligenz, mit Genies an den Schalthebeln, wie Sheldon Lee Cooper oder Mark Zuckerberg oder Steve Jobs – alle genial, aber nicht für ihre sozialen Kompetenzen bekannt. Jürgen Sandkühler sagt: "Eine Zeit, in der Menschen ihre soziale Intelligenz nicht mehr nutzen, wäre furchtbar." Diese ureigene Fähigkeit des Menschen ist jedenfalls ausbaufähig.

Diese sechs Menschen sind definitiv gescheit genug, um mitzuspielen:

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Gunter Dueck lehrte zuerst Mathematik an der Hochschule, machte danach als Chief Technology Officer IBM schlauer. Im Ruhestand ist er Querdenker, hält Vorträge und schreibt Beiträge und Bücher. Zuletzt: „Schwarmdumm. So blöd sind wir nur gemeinsam.“

KURIER: Sie sagen, dass wir im Team verblöden. In welchen Situationen im Unternehmensalltag haben Sie das bemerkt?
Gunter Dueck: Das beste Beispiel sind Meetings – dort laufen immer wieder dieselben Muster des Wahnsinns ab. In Meetings sollten Lösungen für Probleme gefunden werden. Doch meist sitzen dort Menschen, die untereinander zerstritten sind und unterschiedliche Interessen und Ziele haben. In der Regel sind alle unvorbereitet. Sie rennen von Meeting zu Meeting, davor schnell aufs Klo, holen sich einen Kaffee und kommen zu spät. Vernünftige Teamarbeit braucht Vorbereitung. Die Menschen sind schlichtweg nicht gut genug in Teamarbeit, um die Schwarmintelligenz zu erzeugen.

Was kann man gegen die Schwarmdummheit tun?
Das Problem ist, wir haben diese Schwarmdummheit bereits hingenommen. Bertolt Brecht sagte: „Unsichtbar wird die Dummheit, wenn sie genügend große Ausmaße angenommen hat.“ Dumme Menschen wissen nicht, dass sie dumm sind. Man kann es ihnen kaum erklären. Und so ist es mit Schwarmdummheit wohl auch. Also muss man sie erst einmal sichtbar machen.

Wie kann man das machen?
Versuchen Sie es einmal damit: „Ich sehe das Problem der Schwarmdummheit, wir sollten über eine Lösung nachdenken.“ Die Antwort wird sein: „Versuche doch, das im Meeting vorzubringen. Mach eine Präsentation. Aber mach nicht alles schlecht, wir sind nämlich im Grunde eine sehr intelligente Firma!“ Ich will sagen: Es ist ein langer Weg. Zudem sind die meisten Menschen so sehr mit dem Tagesgeschehen beschäftigt, dass sie keine Lust haben, alle Prozesse zu verstehen. Auch das würde die Schwarmdummheit deutlich senken.

Brauchen wir Entschleunigung, um intelligenter zusammenarbeiten zu können?
Sagen Sie bloß nicht Entschleunigung, das klingt für Manager nach Faulenzen. Es geht um die goldene Mitte. Aber es fehlt die Kenntnis des richtigen Maßes: Wie viel Stress brauche ich, welches Maß an Kaffee, an Meetings, an Liebe, an Sorgsamkeit. Was ich sagen will, ist, dass die Menschen so überlastet sind und ihren eigenen Zielen nachhasten, dass sie in eine Situation reingeraten, in der sie vom Tagesalltag gefressen werden. Man kann sagen, sie werden zu Street Smarts, kämpfen im Betrieb ums Überleben und wurschteln sich irgendwie durch.

Hat noch irgendjemand den Überblick?
Unter den Street Smarts gibt es Dschungelkönige. Die schieben Arbeit weg, indem jemand die Arbeit im Meeting aufgedrückt bekommt. Bei großen Problemen, wie z. B. Innovation, ernennt man mal einen Vice President – fertig, der muss es machen. Ich nenne das VPisierung: Man gibt einem Jungaufstrebenden eine Bewährungschance, dann probiert er fast als Einzelperson, das ganze Unternehmen umzudrehen, meldet immerfort Erfolge und versucht, schnell wegbefördert zu werden. Oder Firmen hoffen auf das Allheilmittel des Jahres. Mal rettet man mit der Cloud die Welt, dann folgt der Gang nach China, dann kommt Big Data. Immer sind die schwarmdummen Unternehmen auf der Suche nach dem einen einzigen profitträchtigen Stellhebel. Jeder vermeintliche Wunderhebel wird aktionistisch gedrückt. Dann wartet man ein halbes Jahr, ob der Gewinn wirklich steigt – wenigstens ist dann Zeit gewonnen.