Nicht mehr fremd: Fünf Zuwanderer geben ihre Tipps
Als die berühmte, damals in Ägypten lebende syrische Sängerin Asmahaan in den 50er-Jahren Wien besuchte, verfasste sie ein Lied über die Stadt. Es beginnt so: „Nächte des Glücks in Wien, ein Hauch von Paradies“. Adam Tarab (am Cover) ist mit diesem Lied aufgewachsen. Adam sagt, Österreich sei das Paradies.
Mit Hürden. Wir haben ihn und vier weitere Migranten zu ihrer Bildung, ihrer Arbeit und ihrem Leben befragt. Ihre fünf wichtigsten Ratschläge:
Deutsch lernen
Die fünf Zuwanderer in diesem Artikel haben uns ihre Geschichten auf Deutsch erzählt. Und alle sagten: „Das Wichtigste ist, Deutsch zu sprechen.“ Die meisten von ihnen sind Autodidakten. So wie Gülsen Sürücü. Sie kam 1989 im Alter von 16 Jahren nach Österreich. Ihr Mann arbeitete bereits hier in einer Autogalerie. Er sagte: „Wenn du hier arbeiten willst, musst du Deutsch lernen.“ Und sie lernten gemeinsam. Zu Hause. Sürücü bewarb sich, nachdem sie einige Begriffe und Sätze beherrschte, bei der Gebäudereinigung REIWAG. Drei Tage später hatte sie den Job. Sie sagt, sie lernt noch täglich dazu. Indem sie Kontakt mit Kunden hat, neue Wörter in Lexika nachschlägt und auf Deutsch fernsieht. Sie rät jedem, einen Deutschkurs zu besuchen.
INFO: Auf www.sprachportal.integrationsfonds.at gibt’s Infos zu Deutschkursen in der Nähe. Speziell für Mütter von Kindern, die in den Kindergarten oder die Schule besuchen, gibt es den Kurs „Mama lernt Deutsch“. Das Projekt „HIPPY“ unterstützt Eltern dabei, ihre Kinder zu fördern.
Arbeit suchen
59 Prozent der Migrantinnen sind erwerbstätig (70 Prozent der Inländerinnen). Bei Frauen aus der Türkei liegt der Anteil nur bei 43 Prozent. Gebäudereinigerin Gülden Sürücü versteht das nicht. Sie meint: „Die Frauen verpassen viel. Es macht Spaß und es ist wichtig, eigenes Geld zu verdienen.“
In ihrem Heimatland Nigeria schloss Joana Adesuwa Reiterer das Studium Polymertechnologie ab. 2003 kam sie nach Österreich. Angetrieben vom eigenen Schicksal gründete sie 2006 den Verein Exit, wo verschleppte Frauen aufgefangen werden. Die Buchautorin baut gerade ein neues Schmuck-Unternehmen auf. Denn es würde nicht reichen, die Frauen zu beraten. Man müsse ihnen die Möglichkeit geben, zu arbeiten. Aber: „Heute gibt es wenig Arbeit.“ Sie rät anderen Zuwanderern daher, sich mit einem kleinen Business selbstständig zu machen. Es sei nicht so schwierig, wenn man die Spielregeln, die Kultur beachte. Zum Beispiel: „In Nigeria fragst du: Wie viel willst du zahlen? Hier in Österreich stellst du ein Angebot. In Nigeria schreibt niemand einen Businessplan. Hier brauchst du ein richtiges Konzept.“ Ein Kurs alleine würde oft nicht reichen. „Migranten brauchen mehr Mentoring.“
INFO:Unterstützung gibt’s beim Gründerservice der WKO (auch Englisch), bei Mingo (in der Muttersprache). Das Mentoring für Migranten unter www.integrationsfonds.at unterstützt bei Jobsuche, Dokumenten und Netzwerken – bis Mitte September können sich Migranten fürs Mentoring anmelden.
Kultur beachten
Adam Tarab beendete sein Wirtschaftsstudium in Kairo, kam Mitte der 1990er nach Österreich, um an der Uni Deutsch zu lernen. Er baut gerade ein Business auf, das österreichische Unternehmen bei der Expansion in arabische Länder unterstützt. Derzeit ist er Taxifahrer. Er sagt: „Österreich ist sehr beliebt in der arabischen Welt. Es ist sicher, wir trinken das beste Wasser, jeder bekommt die Chance zu studieren.“ Und stellt die Frage, die ihn beschäftigt, seit er hier ist : „Wieso können wir das nicht gemeinsam genießen?“
Vielleicht weil wir einander oft fremd sind, die Kultur des anderen nicht verstehen. In Österreich laufen die Dinge anders als in Ägypten, der Türkei oder Nigeria. Aber unterschiedliche Sitten müssen nicht tiefe Gräben bedeuten. „Wie man in den Wald hineinruft, so kommt es zurück. Bist du nett, ist man nett zu dir“, sagt Adam Tarab. Joana Reiterer rät: „Man muss authentisch sein, darf die Kultur des Landes aber nicht ignorieren.“ Und betont, wie wichtig es ist, Netzwerke aufzubauen: „Geht zu Konferenzen und Netzwerktreffen. Auch wenn ihr die einzigen Afrikaner seid. Das kann ein Vorteil sein.“
INFO:Über Kurse zu heimischen Sitten, Politik und Geschichte gibt’s Infos auf www.migrant.at. Spezielle Kultur-Kurse für Frauen sind unter www.lefoe.at zu finden.
Abschlüsse nostrifizieren
Die 29-jährige Englisch-Professorin und Gerichtsdolmetscherin Aleksandra Boskovic lebt in der Republika Srpska. Doch sie will zu ihren Cousins nach Wien, um hier als Lehrerin zu arbeiten. Ihr Studium aus Bosnien-Herzegowina hat sie im März vom Wissenschaftsministerium anerkennen lassen. Aufgrund eines bilateralen Abkommens war die Nostrifizierung vereinfacht: Keine Wiederholung von Prüfungen, kurze Wartezeit.
Aber Boskovic gehört zur Minderheit: Nur jeder dritte Akademiker aus dem Ausland lässt seinen Abschluss anerkennen. Und auch das ist kein Garant für eine Beschäftigung. Boskovic sucht noch immer einen Job. „Es ist sehr schwierig, wenn man sich aus dem Ausland bewirbt und niemanden kennt. Man braucht gute Kontakte“, sagt sie. Sie würde auch als Putzfrau arbeiten. Migranten arbeiten oft unter ihrer Qualifikation. Studien zeigen, dass die berufliche Stellung von Migranten am österreichischen Arbeitsmarkt selbst bei gleichen Bildungsabschlüssen deutlich schlechter ist als von Inländern.
INFO:Ob der Abschluss in Österreich anerkannt wird, bewertet das NARIC kostenlos. www.nostrifizierung.at.
Rot-Weiß-Rot-Card
1500 Menschen kamen 2012 als Schlüsselkräfte mit der Rot-Weiß-Rot-Card nach Österreich. Seit der Einführung Mitte 2011 sind es 3800. Viel weniger als die 8000, die am heimischen Arbeitsmarkt benötigt werden. Stefan Lazarevski war einer der Ersten, der die Rot-Weiß-Rot-Card in Anspruch genommen hat. Nach Österreich kam er mit einer Studenten-Aufenthaltsbewilligung. Weil er neben der Uni arbeiten wollte, musste er die Karte beantragen. „Beim obligatorischen Test bekommt man Punkte für Deutsch, Fremdsprachen, Ausbildung und berufliche Qualifikation“, sagt er. Zusätzlich zum guten Abschneiden beim Test ist eine fixe Jobzusage in Österreich erforderlich.
INFO:Unter www.migration.gv.at gibt es alle Informationen und Formulare zur Rot-Weiß-Rot-Card.
2011 legte der Staatssekretär für Integration, Sebastian Kurz, erstmals 20 Maßnahmen vor, die die Integration von in Österreich lebenden Menschen mit Migrationshintergrund verbessern sollten. 2013 erscheint der von einem unabhängigen Expertenrat erstellte Bericht zum dritten Mal und beleuchtet alle Lebensbereiche der Migranten.
Denn die Notwendigkeit, Integration voranzutreiben, besteht. Alleine letztes Jahr wanderten 140.000 Menschen nach Österreich ein, 96.000 wanderten aus. Knapp 44.000 blieben. Insgesamt lebten im Vorjahr 1,58 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich. Das sind 19 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Laut Bericht hat sich die Stimmung im Land gegenüber den Zuwanderern verbessert. Waren vor zwei Jahren noch 18 Prozent der Österreicher der Meinung, Integration funktioniere schlecht, sind es heuer nur mehr neun Prozent. Eine gute Eingliederung sei primär im Beruf wichtig: Im Job werden die Deutschkenntnisse verbessert und neue soziale Kontakte geknüpft. Vor allem zugewanderte Frauen sollen – wieder – in den Arbeitsmarkt geführt werden.
Denn bei zugewanderten Frauen liegt die Erwerbsquote bei 59 Prozent – 70 Prozent sind es bei Inländerinnen. Eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Card soll den – am heimischen Arbeitsmarkt besonders begehrten – Schlüsselkräften aus Drittstaaten den Einstieg in das Berufsleben in Österreich erleichtern.
Anlässlich des Anfang August präsentierten Integrationsberichts lohnt sich auch aus österreichischer Sicht ein Blick über den Tellerrand, nicht zuletzt um neue Anstöße und Perspektiven für die eigene Politik zu bekommen: Ein neuer Bericht des kanadischen Instituts für Immigrationspolitik hat die Daten internationaler Studien zur Arbeitsmarktintegration in Europa gesammelt und bietet so einen guten Überblick über die häufigsten Problemfelder im Zusammenhang mit Migrationspolitik und Arbeitsmarkt. Außerdem präsentiert der Bericht Lösungsvorschläge für den Abbau von bürokratischen und anderen Hürden bei der Anerkennung von ausländischen Qualifikationen. Ein Vergleich.
Ins eigene Fleisch geschnitten
Fakt ist - immer noch: Österreich (und vielen anderen europäischen Ländern) entgeht durch langwierige Anerkennungsprozesse bzw. schlichte Nicht-Anerkennung von Qualifikationen eine große Zahl an qualifizierten Arbeitskräften, die für den heimischen Arbeitsmarkt dringend gebraucht würden.
Zukunftspläne nur Luftschlösser
Der aktuelle Integrationsbericht listet die Erfolge der letzten Jahre in diesem Bereich (Netzwerk Anerkennung und Gutachten zur vereinfachten Anerkennung akademischer Qualifikationen), und blickt bei geplanten Maßnahmen auch über nationale Grenzen nach Deutschland oder den Niederlanden, wo ein Berufsausweis für Ingenieurberufe die Anerkennung im Ausland überflüssig macht. Ob dieser Ansatz auch in Österreich Zukunft hat, wird gerade in Pilotprojekten getestet. Zumindest traditionelle Berufsgruppen sollen bald davon profitieren.
Komplexität als Hauptproblem
Der internationale Bericht sieht die "hohe Komplexität des Anerkennungsprozesses und die große Zahl involvierter Stellen" als Hauptproblem, die es für Regierungen schwierig mache, eine "konsistente Umsetzung der Verfahren zu garantieren". Die im Bericht vorgeschlagene Lösungsstrategie stimmt in hohem Maß mit den in Österreich bereits initiierten Maßnahmen überein: Die Zuständigkeit soll "gestrafft" werden, d.h. Beratung und Anerkennung sollen unter ein Dach gebracht werden. Mit den zentralen Anlaufstellen für Migranten in Wien, Linz, Graz und Innsbruck, welche nicht nur bei der Anerkennung formell erworbener Qualifikationen im Ausland helfen, sondern auch beratend zur Seite stehen, wird eine effektive Integrationsmaßnahme bereits umgesetzt.
Ein Punkt aus dem internationalen Bericht findet im österreichischen Pendant allerdings keine Erwähnung: Die Tatsache, dass einige - qualifizierte - Migranten Unterstützung zur Schließung eventueller Ausbildungslücken bzw. zum Sammeln von Berufserfahrung im Zielland benötigen. Diese Programme erzeugten zwar neue Kosten, seien aber für eine zukunftsgerichtete Integrationspolitik essentiell, so der Bericht.
Unsichtbare Kompetenzen
In einem weiteren Punkt auf der langen Liste möglicher Integrationsmaßnahmen für qualifizierte Migranten gilt Österreich mit seinem Konzept wiederum als innovativ: So genanntes informelles oder non-fomales Wissen, das während der Berufsausübung im Heimatland erworben wird, ist meist nicht schriftlich dokumentiert und bleibt so für potenzielle Arbietgeber "unsichtbar". Mit Kompetenz-Checks und der Anrechnung von Arbeitszeugnissen schlägt der Expertenrat neuartige Methoden vor, um Migranten den Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern. Österreich hat hier auch ein Vorzeige-Projekt initiiert: "Du kannst was!", eine Kooperation von WKO und Arbeiterkammer, soll Menschen ohne Berufasabschluss die Möglichkeit bieten, ihre praktischen Fähigkeiten für einen Lehrabschluss anrechnen zu lassen.
Schlüsselkompetenz Sprache
Dass Sprachkompetenz bei Arbeitssuche und Jobausübung im Gastland nicht nur notwendig, sondern essentiell ist, zeigen mehrere internationale Studien, sowie auch der österreichische Bericht. Besonders bei immigrierten Fachkräften steht die Sprachförderung ganz oben auf der Liste, da hier vor allem das Know-how der Fachvokabeln für die Berufsausübung notwendig ist. Deutschland hat hier z.B. mit einem Angebot an Pre- bzw. Post-Migrationssprachkursen reagiert. Sprache gilt nach wie vor als das größte Hindernis für Migranten beim Eintritt in einen neuen Arbeitsmarkt.
Wie geht es weiter?
Im Vergleich mit den empfohlenen Maßnahmen des internationalen Berichts hat Österreich bereits einiges geschafft, bzw. Initiativen gesetzt, die in den nächsten Jahren greifen sollen. Ein Beispiel ist die erwähnte Anerkennung informeller Kompetenzen am Zielarbeitsmarkt. Eine Empfehlung, die jedoch auch in Österreich noch nicht ausreichend umgesetzt wird, ist Mentoring bzw. spezielle Ausbildungsprogramme zur Schließung von Kompetenzlücken bei Migranten. Ein entscheidender Faktor sind die Kosten solcher Programme. Ob die österreichische Regierung dafür zukünftig Geld in die Hand nehmen und die sogenannte "Gehirnverschwendung" bekämpfen wird, entscheidet sich wohl erst nach der Wahl Ende September.