Wirtschaft/Karriere

Machtkampf, Missgunst und Moneten

Ein Bereichsleiter im Handel sollte eine Präsentation für Investoren zusammenstellen. Brav besorgte er sich die nötigen Zahlen von den Controllern. Nur: "Parallel dazu baute sich der Vorstand seine eigene Story, mit Zahlen, die er irgendwo aufgeschnappt hatte", erzählt er. Man traf einander zur Abstimmung. Blöd, dass die Zahlen so gar nicht zusammenpassten. Die Lösung lag nah: "Da ein Vorstand ,seine Zahlen‘ nicht einfach so über Bord wirft, einigten wir uns einfach auf den Durchschnitt." Und fertig war die Präsentation.

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Das Buch "Mad Business", aus dem obige Anekdote stammt, lässt sprachlos zurück. In den Vorstandsetagen, so scheint es, herrscht egomanisches Chaos. Da werden Zahlen für den Machterhalt frisiert, da wird gemauert, geblendet und gelogen, dass sich die Konzernbalken biegen (siehe Interview ).

Diese fünf Fehler in den Führungsetagen schwächen den Unternehmenserfolg massiv:

Niete landet oben

Jeder vierte Vorstand in Deutschland ist eine Fehlbesetzung. Zu diesem Ergebnis kam die Personalberatung Rochus Mummert 2014 in einer Studie. Demnach nehmen sich Aufsichtsräte zu wenig Zeit, um die richtige Person für eine Vorstandsfunktion zu finden. Oft passe der Kandidat nicht zur Unternehmenskultur. Für Österreich sei die Lage nicht ganz so dramatisch, beruhigt Claudia Daeubner, die internationale Top-Manager coacht. "Die Aufsichtsräte sind vorsichtig geworden, sie haben mittlerweile eine größere Haftung", sagt sie.

Spiegel, nein danke

Selbstreflexion gehört nicht gerade zu den Stärken der Alpha-Tiere in den oberen Etagen. Der Grund: "Top-Manager bekommen selten ehrliches Feedback von der nächsten Ebene. Kritik wird meist hinter vorgehaltener Hand geübt", sagt Claudia Daeubner. Zu wenig Feedback führe zu noch weniger Selbstreflexion. Und damit zu folgendem Phänomen: "Aus den Stärken, mit denen man Karriere gemacht hat, werden Schwächen." So hatte man als High Potential Charisma, Überzeugungskraft, Brillanz, ein exzellentes Auftreten. Ganz oben angekommen, geht die Selbstreflexion flöten und die tollen Eigenschaften verwandeln sich in Selbstzentriertheit. "Man entwickelt ein überzogenes Ego und beginnt, die Meinung der anderen gering zu schätzen", so Daeubner.

Ego vor Firma

Im Zentrum des Egomanismus ist das eigene Fortkommen oberste Prämisse. Dann geht es darum, die Machtposition zu sichern, die Lorbeeren und im besten Fall fette Boni zu kassieren. Dann wird laut "Mad Business" schon mal der Lift für den Oberboss reserviert – und 2000 Mitarbeiter dürfen über die Stiege in die Kantine trotten. "Ein Vorstand muss immer das Gesamtwohl des Unternehmens zum Ziel haben", sagt Daeubner. Sonst könne es zu fatalen Fehlentscheidungen bei Fusionen kommen.

Silos statt Teamarbeit

Marketing gegen Finanzen, Vertrieb gegen Produktion: Vorstände, die lieber mauern, statt miteinander zu diskutieren – das kommt laut Michael Schmitz, Managementberater und Autor des neuen Buchs "Teamcoaching", häufig vor. Schließlich geht es ums Budget. Teamfähigkeit sei für viele Vorstände wichtig, aber bitteschön erst ab der nächsten Führungsebene. "Doch gewisse Entscheidungen müssen die Vorstände gemeinsam treffen, als Team", sagt Schmitz. Nicht selten würde der Vorstandsvorsitzende kraft seiner Funktion glauben, alles besser wissen zu müssen – und echte Diskussionskultur unterbinden. "Die Offenheit von Vorständen, sich von anderen etwas sagen zu lassen, ist in Deutschland und den USA größer als in Österreich", resümiert Schmitz.

Kippen die Konflikte von der Sach- auf die Beziehungsebene, bedeutet das fürs Unternehmen nicht selten Gefahr in Verzug: "Man muss unbedingt die Beziehungen klären", sagt Claudia Daeubner – wenn nötig über externe Spezialisten. Sonst setzt sich das Gegeneinander in der Chefetage in die unteren Ebenen fort, sogenannte Silos entstehen – verfeindete Abteilungen. Eine große Bremse für den Unternehmenserfolg.

Meetings falsch genutzt

Besprechungen sollen Ergebnisse bringen. Klingt logisch, ist aber nicht immer so. Stehen strittige Themen auf der Agenda, sollten diese tunlichst zum Schluss drankommen. "Sonst hat man gleich ein schlechtes Verhandlungsklima", sagt Daeubner. Das Buch "Mad Business" berichtet auch von Blendemanövern von Managern, die sich mit geschönten oder gar erfundenen Zahlen möglichst glanzvoll präsentieren. Laut Claudia Daeubner bringt auch das andere Extrem einen Nachteil – nämlich, wenn man das Meeting so gar nicht als Bühne nutzt. "Man kann sich als Manager vor dem Chef durchaus einen Vorteil verschaffen, wenn man sich vorbereitet und eloquent präsentiert." Und auch das sei zu selten der Fall.

Manipulierer, Blender, Egomanen: Der ehemalige internationale Manager und heutige Start-up-Unternehmer Joerg Bartussek gewährt mit Oliver Weyergraf im Buch „Mad Business“ Einblick in die Vorstandsetagen der Konzerne. Die beiden führten mit drei Dutzend Topmanagern (ein Viertel CEOs) großer Konzerne Interviews.

KURIER: Haben Sie Ihre Konzern-Erfahrungen so ernüchtert, dass Sie das Buch schreiben mussten?
Joerg Bartussek: Ich war zehn Jahre in Konzernen und muss sagen: Es ist nicht meine Welt. Du beginnst dich über das Management zu wundern. Jeder für sich ist ein kluges Bürschchen oder Frau. Treten sie im Rudel auf, fragt man sich: Wie gibt es das, dass wirklich kluge Menschen wirklich dumme Entscheidungen treffen?

Was läuft in den Chefetagen falsch?
Da passieren Dinge, die sind albtraumhaft. Die Vorstandsetagen sind Arenen der Alphatiere. Wenn du da oben angekommen bist, hast du ein unglaubliches Ego. Das sind Irre, die sich ihre Namensschilder in Gold meißeln und sich ein Pissoir von Philippe Starck ins Büro stellen. Dass man den Unternehmenszweck über die persönliche Agenda stellt, ist relativ selten. Oft geht die eigene Karriere vor das Firmenwohl. Wir haben auch einige Middelhoff-artige Geschichten gehört, über Korruption.

Im Buch erzählen Sie vom karrieregeilen, berechnenden und manipulativen Egomanen und Manager Paul Hecht – ein Prototyp?
Die Figur ist überzeichnet, aber alles, was ihm passiert, ist unseren Gesprächspartnern passiert. Wie beispielsweise im Fall von Hechts Kollegin, die vom Chef praktisch im Lift vergewaltigt wurde. 30 Prozent unserer befragten Führungskräfte waren Frauen – und jede einzelne hat uns von sexueller Belästigung erzählt. Das sind Bereichsleiterinnen, die Budgets von 500 Millionen Euro verwalten. Eine CMO (Marketingchefin, Anm.) wurde vom CEO belästigt, wollte nicht mehr im selben Raum wie er sein. Wenn CMO und CEO nicht zusammenarbeiten können, um Gottes Willen – davon hängen 300.000 Mitarbeiter ab.

Welche Rolle spielt die Konzernstruktur?
Ich habe ein Budget von 150 Millionen Euro verwaltet, was könnte man damit nicht alles erreichen? Trotzdem kriege ich heute mit meinem Start-up in einer Woche mehr hin als in einem Jahr im Konzern. In Vorstandsetagen führen 30, 40 Leute ein Heer von Hunderttausenden weltweit. Wie sie interagieren, so ist auch die Firma gebaut. Wenn du siehst, wie hinter den Glasfassaden auf Basis welcher Wahnsinnsdinge Entscheidungen getroffen werden, die millionenfache Auswirkungen haben, da greifst du dir an den Kopf. Im Buch bringen wir das Beispiel einer Innovationsabteilung, 3000 Leute sitzen im 70er-Jahre-Bau, jeder in seinem Kämmerlein – und dann kommt nix raus. Wenn diese Firmen so groß sind, sind sie nicht mehr von innen veränderbar. Entweder du arrangierst dich oder du gehst.


Paul Hecht schmeißt seine tolle Projektmanagerin raus ...
... weil sein Projekt schiefgegangen ist. Irgendwer muss den Kopf hinhalten, und das ist sicher nicht er. Viele Manager haben Angst vorm Scheitern – denn dann sind sie ihren Ruf, ihren Status, die hundert Mitarbeiter, den Dienstwagen los. Viele sehen aber nicht: Das ist nur geborgte Macht.

Paul Hecht blendet bei seiner Präsentation sogar mit erfundenen Zahlen, um gut rüberzukommen.
Meetings sind dazu da, die eigene Reputation zu stärken, du kannst vor dem Chef auftrumpfen. Blenden tun auch andere, die Frage ist, wofür setzt man es ein – das sind nicht immer die hehrsten Ziele. Dem Investmentbanker ist meist scheißegal, ob die Bank im Quartal 19 oder 20 Millionen Gewinn macht. Wichtig ist, was auf sein Konto kommt.

Sind Boni nicht auch sinnvoll, um Manager zumindest indirekt für den Firmenerfolg zu motivieren?
Ja, wenn auch umgekehrt gelten würde: Halbierst du den Umsatz, kriegst du halbes Gehalt. Das wird bei uns nicht gemacht, in den USA sehr wohl. Dann gibt es statt dem Eckbüro nur mehr ein kleines Zimmer.