Wirtschaft/Karriere

Firmenübergabe: Familie verpflichtet – nicht immer

147 Jahre. So lange verkaufte die Familie Hilpert in ihrem Spielwarengeschäft hinter dem Stephansdom in Wien Spielzeug. Carl hat es 1872 eröffnet, Alexander wird es 2019 schließen. Das wurde vor wenigen Tagen bekannt. Die hohen Mieten und ein Geschäftsmodell, das vom Internet sukzessive überholt wird, machen ihm seit zehn Jahren zu schaffen. Den Laden weiterzuführen, zahle sich nicht mehr aus.

Alexander Hilpert wird ihn also nicht an seine Kinder – sie wären die 4. Generation – übergeben. Auch an sonst keinen, selbst für interessierte Konkurrenten gehe die Rechnung mit dem Spielzeug nicht auf. „Unter diesen Umständen wäre eine Übernahme innerhalb der Familie auch nicht sinnvoll. Ich habe meinen beiden Kindern aber auch nie Druck gemacht, eines Tages zu übernehmen. Natürlich haben sie früher in den Sommermonaten im Betrieb ihre Erfahrungen gemacht.

„Eine leise Wehmut ist damit schon verbunden. Alle drei Geschäftsführer sind 50 Jahre im Betrieb gestanden – mein Großvater und Vater, bis sie 71 waren."

Alexander Hilpert

„Ich bin noch älter – und es hat uns allen auch viel Spaß gemacht," sagt Alexander Hilpert. „Aber jetzt habe ich endlich Zeit, mich stärker der Familie zu widmen.“

Jedes 10. Familienunternehmen steht vor einer Übergabe

Familienunternehmen sind, jedes für sich, ein eigener Kosmos in der Wirtschaftsgalaxie. Sie funktionieren nach eigenen Regeln, haben tiefe Wurzeln und lange Traditionen und sie überleben nur, weil jüngere Familienmitglieder bereit sind, das Geschäft der Alten weiterführen. Auf diesen jungen Schultern lastet viel Verantwortung: Allein in Österreich sind die 157.000 Familienunternehmen Arbeitgeber für 1,8 Millionen Beschäftigte.

Laut der KMU Forschung Austria, befindet sich jedes 10. Familienunternehmen hierzulande in der sogenannten Phase vor der Übergabe. Diese Übergabe bringt beide Generationen – jung und alt – aber in den Zwiespalt: Die Alten wollen die Jungen zum Weiterführen bewegen, gleichzeitig tun sie sich schwer, loszulassen.

Laut Family Business Survey 2018 der Beratung PwC, hat ein Drittel der Unternehmen, die demnächst abgeben möchten, die Nachfolgegeneration noch nicht in die Unternehmensübergabe miteinbezogen. Bei den Jungen wiederum schleichen sich oft Pflichtgefühle ein, die eigenen Karrierewünsche werden hintangestellt.

Wie können Familienbetriebe weiterbestehen?

Familie verpflichtet eben. Manchmal aber ist gar kein Nachwuchs da, oder er lehnt dankend ab. Wie können Familienbetriebe dann weiter bestehen? Diese Frage bekommt Morten Bennedsen, Professor für Family Business an der renommierten Wirtschaftshochschule Insead in Fontainebleau, Frankreich, häufig gestellt.

Jährlich hat er es mit bis zu 200 Menschen zu tun, die sich in seinem MBA-Lehrgang der Entscheidung annähern: Gehen oder bleiben? Und wenn bleiben: Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Übernahme? Bennedsen sagt, das Übernehmen eines Geschäftes sei heute etwas Besonderes.

Morten Bennedsen, Professor für Family Business

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„Vor 40 Jahren wurde es von einem erwartet, heute haben die Jungen so viele andere Möglichkeiten. Eltern haben es sehr schwer, sie zu überzeugen, dass ausgerechnet ihr Business das attraktivste für sie ist.“ Die Jungen wollten sich selbst verwirklichen und sich nicht – so, wie ihre Eltern oft, – im Familienunternehmen zerreiben.

„Manche Firmen sterben, weil das Geschäftsmodell nicht mehr zeitgemäß ist. Noch mehr aber sterben, weil innerhalb der Familie falsche Entscheidungen getroffen wurden.“
 

Morten Bennedsen, Insead-Professor

„Eine natürliche Entscheidung, das Familienbusiness zu übernehmen, ist es also nicht.“ Andererseits kann gerade dieser Weg ein aussichtsreicher sein: „Man kann auch schneller Karriere machen, als woanders. Man kennt sich gut in der Materie aus, hat ein breites Netzwerk, finanziellen Rückhalt“, sagt Bennedsen. Nicht selten passiere es, dass die Jungen aus diesem Erbe ein eigenes Business machen – ein Gewinn für alle. „Eine Firma zu übernehmen ist nur dann gesund, wenn es beide Seiten wirklich wollen.“

Fünf Voraussetzungen für eine glatte Übergabe

Firmen in Familienhand funktionieren weltweit. In Deutschland etwa schafften zuletzt die 500 größten Familienunternehmen mehr Arbeitsplätze als Dax-Konzerne, wie eine aktuelle Studie zeigt. Soll dieser Wirtschaftsmotor weiter brummen, braucht es laut PwC fünf Grundvoraussetzungen: 1. Der Nachfolger sollte vor der Übernahme auch in anderen Firmen Erfahrung gesammelt haben. 2. Der scheidende Unternehmer sollte konkrete Pläne für die Zeit „nach ihm“ haben.

3. Mit dem Nachfolger sollte Konsens über die mittelfristige Strategie herrschen. 4. Von der Spitze unabhängige Strukturen stellen sicher, dass durch die Übergabe nicht alles ins Wanken gerät. Und zuletzt: Externe Beiräte wachen über die Arbeit des Nachfolgers. „Manche Unternehmen sterben aus, weil das Geschäftsmodell nicht mehr zeitgemäß ist. Noch mehr aber sterben, weil innerhalb der Familie falsche strategische Entscheidungen getroffen wurden“, so Bennedsen.

Über 1.000 Betriebe suchen nach externen Nachfolger

Aktuell inserieren 1.155 Betriebe auf der Nachfolgebörse der WKO, „Familienunternehmen nur dann, wenn sie keinen Nachfolger innerhalb der Familie finden“, sagt Claudia Rosenberger von der Nachfolgebörse Wien. Wie es mit solchen Firmen weitergeht? „Manche suchen die Nachfolge im Kreise ihrer langjährigen Mitarbeiter, manche überlegen an die Konkurrenz oder Kunden abzugeben.“

Das passiert gar nicht mal so selten. Geht der Betrieb nicht an die Kinder, kommen Externe ans Ruder. „Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten sind natürlich an die Familie gewöhnt, “ sagt Rosenberger, was eine Übergabe ebenfalls vor Herausforderungen stellt.

Wie das alles in der Praxis, in der heimischen Wirtschaft, aussieht? Sehr individuell: Der KURIER hat mit Unternehmensgründern und ihren Nachfolgern gesprochen.

Fischer’s Harley Davidson: „Lehr- und Wanderjahre“, dann Übernahme

„Man sagt: die erste Generation baut einen Betrieb auf, die zweite aus und die dritte fährt ihn an die Wand. Mein Sohn wäre so gesehen der Crasher gewesen, aber das hat bei uns ausgesetzt“, sagt Ferdinand Fischer und lacht. Bequem sitzt der Senior Chef von Fischer’s Harley-Davidson Wien auf dem Ledersessel – mit Sonnenbrille, große Silberringen an den Fingern, schwarzer Lederjacke und orangem Schal. Ganz in den Farben der amerikanischen Motorradmarke.

Ferdinand Fischer: "Ich bin seit drei Jahren aus dem Schneider."

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Sein Vater hatte 1957 das Geschäft gegründet, er selber habe früh im Betrieb gearbeitet, erzählt er. Bereits mit 20 Jahren musste er aufgrund des frühen Todes des Vaters die Leitung übernehmen. Mit den Jahren entwickelte sich der Familienbetrieb zum ältesten und größten Harley-Davidson-Händler in Österreich. Natürlich habe er gehofft, dass auch sein Sohn Johannes sich interessiere, gibt Fischer zu.

Unter Druck gesetzt habe er ihn aber nie. Vielmehr schickte der Vater seinen Sohn auf „Lehr- und Wanderjahre“, damit dieser Erfahrungen sammeln konnte. Nach Stationen  bei Start-ups sowie im  Großhandelsunternehmen kehrte er zurück in den familiären Betrieb.

Seit drei Jahren wird die Firma auf der Triester-Straße nun von Johannes Fischer geführt.

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„Das erste Jahr war überwältigend“, erinnert sich der Junior-Chef. „Es war wahnsinnig viel zu tun,  nichts kann einen darauf vorbereiten – auch ein Studium in Unternehmensführung nicht. Die Realität schaut anders aus.“ Johannes Fischer, blond, kein Silber oder Leder, sitzt seinem Vater gegenüber.

Die Unternehmensanteile wurden ihm schon 2010 überschrieben (da begann er gerade sein Master-Studium), 2013 leitete er gemeinsam mit seinem Vater den Betrieb, ab 2016 dann allein.

Was ihn zurückgeholt hat? „Das Feeling. Das gab es nur bei uns. Wir machen hier nicht Dienst nach Vorschrift,  hier geht’s ums Herz.“ Dass die Übergabe so gut funktioniert habe, liege daran, dass Johannes  nie Druck verspürt hat. „Ich muss nicht in die Fußstapfen meines Vaters treten, ich kann meine eigene Spur machen.“

Hans Staud: „Übergabe erfolgte fließend“

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„Was andere in zwei bis drei Generationen aufbauen, habe ich in einer geschafft“, sagt Hans Staud über seinen Betrieb: Mit 21 sei er in den väterlichen Obst- und Gemüsehandel eingestiegen, um sich dann nach der Übernahme 1971 auf die Veredelung von Gemüse und Früchten unter der Marke „Staud’s“ zu spezialisieren.

Er hätte sich schon gewünscht, erzählt der 71-Jährige, sein Lebenswerk an eigene Kinder weiterzugeben. Doch da er selber keine hatte, nahm er 2015 die beiden langjährigen Mitarbeiter Stefan Schauer und Jürgen Hagenauer mit in die Chefetage. „Die Idee von Staud’s wird in uns weiterleben“, so Schauer.  

Johannes Gutmann: Mitarbeiter führen „interimsmäßig“

Ernsthaft darüber nachgedacht, wie sein Lebenswerk einmal weitergeführt werden sollte, hat der Gründer von Sonnentor, Johannes Gutmann, erst so richtig, als 1999 das erste Mal eine Million Euro in ein Bauprojekt investiert wurden. „Da wurde mir bewusst, wie viel Arbeitsplätze ich eigentlich verantworte.“ Aus dem kleinen Bio-Händler für Kräuter und Tees ist heute ein international agierendes Unternehmen geworden, allein in Österreich werden über 300 Mitarbeiter beschäftigt.

Geschäftsführung im Quartett

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Vor einiger Zeit entschied sich der Gründer, mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu wollen und gab die Geschäftsleitung an drei seiner längsten Mitarbeiter ab (im Bild), dazu wurden drei Prokuristen installiert. Johannes Gutmann selbst bleibt Stratege und  das Gesicht zur Marke. „Natürlich wäre es schön, wenn ich mein Wissen an meine Kinder weitergeben könnte, aber da kann man sich auch verspekulieren, daran hänge ich keine Sicherheit.“

Er betrachte die jetzige Situation der Geschäftsleitung „interimsmäßig“ für die nächsten Jahrzehnte, um zu sehen, wie sich das Unternehmen weiter entwickle. Eine seiner Töchter aus erster Ehe aber wird im Juli als Mitarbeiterin einsteigen und im Sozialbereich Projekte unterstützen. Was seine drei Kinder aus zweiter Ehe einmal machen werden, könne er bei ihren  acht und viereinhalb Jahren noch nicht sagen: „Wenn sie alt genug sind und mitmachen möchten, dann dürfen sie –  aber sie müssen nicht.“