Wirtschaft/Karriere

Eine Arbeitswelt voll von Vorurteilen

Wenn Sie den Fetzen runter geben, dann schauen wir uns das an" – soll ein Personalvermittler zu einer jungen Muslima kürzlich gesagt haben. Sie ließ das nicht auf sich sitzen, ging zur Gleichbehandlungsanwaltschaft in Wien. Die stellte schnell fest, dass Diskriminierung aufgrund der Religion vorliegt. Denn das Gesetz spricht in Österreich eindeutig: "Niemand darf aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Orientierung in Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden." Die Businesswelt aber ist wenig frei von Vorurteilen, wie das Beispiel oben zeigt. Grenzenlos will der Markt heute sein, die Gedanken sind aber oft begrenzt.

Gül? Leider nein.

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Würde Manuel Bräuhofer nicht Bräuhofer heißen, sondern Güven, sein Leben wäre vielleicht anders verlaufen. Eine Ahnung, die sein Vater hatte, ein Türke, der den Nachnamen der Frau annahm. Bräuhofer hat sich trotzdem – oder gerade deswegen – der Diversität verschrieben: Er ist Geschäftsführer von Brainworker, einer Diversity Marketing-Agentur und gemeinsam mit factor-D Consulting Mitinitiator der fair.versity Austria, einer einzigartigen Karrieremesse. "Ob es Migranten am Arbeitsmarkt schwer haben? Ja. Die Benachteiligung ist fast schon strukturell, fast in Stein gemeißelt", sagt er.

Schon der falsche Name entscheidet über eine Einladung oder eine Abfuhr zum Jobinterview. Das belegte auch eine Studie vom Institut für Höhere Studien (IHS) und der Universität Linz: Führt jede dritte Bewerbung (37 Prozent) von Österreichern zu einer Einladung zum Jobinterview, ist das bei serbischen Bewerbern bei 28,2 Prozent die Folge, bei chinesischen zu 27,1 Prozent, bei türkischen Bewerbern zu 25,3 Prozent und bei nigerianischen überhaupt nur zu 18, 7 Prozent.

Als die Studie Ende 2013 veröffentlicht wurde, war die Öffentlichkeit empört. Doch hat sich seither etwas getan? Wenig bis gar nichts. Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass Migrationshintergrund die Suche nach einem Ausbildungsplatz erschwert. Was auch an der zunehmend fremdenfeindlichen Stimmung liegt, an Demonstrationen, an der allgemeinen Dämonisierung des Islam.

Unbewusste Vorurteile

Nicht immer aber läuft Diskriminierung offen und bewusst ab. "Häufig ist Diskriminierung nicht einmal Absicht, sondern läuft über unbewusste Vorurteile, die aufgrund von Zeitdruck nicht reflektiert werden können ab", meint Manuel Bräuhofer. Gerade Recruiter hätten oft großen Zeitdruck, würden eine Flut von Bewerbungen bekommen. "Sie sieben zuerst nach Qualifikation aus, dann kommen die Vorurteile zu Tage: Bewerber mit Migrationshintergrund können nicht ordentlich Deutsch. Sie einzustellen bedeute viel Bürokratie etc." Eine Lösung für das Problem könnten anonymisierte Lebensläufe sein. Dazu gab es bereits Pilotprojekte, die jedoch sehr bald gescheitert sind. Zumal: Spätestens beim ersten Kennenlernen zeigt sich die Herkunft des Bewerbers.

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Die Frage, "Welche Grundauffassung von Migranten haben wir?" stellt die 32-jährige Meri Disoski, Geschäftsführerin des Vereins Wirtschaft für Integration. "Jemand, der in der dritten Generation in Österreich ist, aber nicht Huber heißt, wird trotzdem als Migrant wahrgenommen. Wann ist man also ein Migrant und wann nicht?" Wir würden mit unterschiedlichen veralteten Begrifflichkeiten operieren, die Vorurteile bedienen. Die müsse man auflösen.

Bildung extrem

Die Realität ist: Zugewanderte sind in den höchsten und niedrigsten Bildungsschichten überproportional vertreten. Fakt ist, dass 18 Prozent einen akademischen Abschluss haben. Das trifft auf 16 Prozent der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund zu. Doch die meisten dieser zugewanderten Akademiker stammen aus der Schweiz und den EU-Ländern. Auch sie sind Migranten.

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Realität ist, dass Bildung in Österreich nach wie vor vererbt wird – auf Menschen mit Migrationshintergrund trifft das noch in stärkerem Ausmaß zu. "Was hier passiert, ist eine Selbstbenachteiligung aufgrund des Bildungsstands. Es liegt nicht im Selbstverständnis eines Jugendlichen aus einer niedrig qualifizierten Familie, ein Studium zu beginnen", sagt Kenan Güngör, wie er sich selbst bezeichnet: deutschsprachiger Europäer mit kurdisch-türkischen Wurzeln (siehe Interview unten). Viele Initiativen und Organisationen, eigene Netzwerke, Messen, Awards arbeiten mittlerweile daran, diese Schere zu schließen, mehr Chancengleichheit zu schaffen.

Chancengleichheit in der Firmenwelt ist ebenso noch fern, in Klein- und mittleren Betrieben in Österreich kommt das Thema Vielfalt gerade erst auf. Der Schreck, die Sorge vor zusätzlicher Bürokratie oder neuen Ansprüchen, etwa einen Raum zum Beten bereitstellen zu müssen, sitzt aber oft noch zu tief, um sich zu öffnen. Dabei ist Vielfalt in der globalen Business-Welt eine ökonomische Notwendigkeit geworden.

"Diversität ist kein Charitymodell sondern eine knallharte Business-Strategie", sagt Manuel Bräuhofer. Sonst drohe ein eingeschränkter Zugriff auf Fach- und Führungskräfte und die vielfältigen internationalen Talente. Die Innovationskraft und Kreativität sei vermindert, ebenso wie die Leistungsfähigkeit und die Motivation. Insgesamt sind die Marktchancen von homogenen Unternehmen daher schlechter.

Willkommen Fremder

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Große internationale Firmen haben das erkannt und wollen die besten Köpfe, ganz egal woher die kommen. Was zählt ist die Qualifikation. Bei Infineon Technologies Österreich etwa hat sich die Nationenvielfalt des Unternehmens in den vergangenen zehn Jahren nahezu verdoppelt. Jeder dritte personelle Neueintritt kommt aus dem Ausland. Vorstandsvorsitzende Sabine Herlitschka sagt: "In Diversität sehen wir ein unschätzbares Potenzial. Je mehr unterschiedliche Köpfe an den herausfordernden Aufgaben arbeiten, desto vielseitiger und kreativer sind die Lösungsansätze." Die Herausforderung sieht sie darin, eine Willkommens-Kultur in Österreich zu etablieren, die eine Atmosphäre schafft, in der sich ausländische Fachkräfte wohlfühlen.

Die Amerikanerin Vera Budway-Strobach hat sich in Österreich nie unwohl gefühlt. Sie arbeitet seit Juli 2013 als Diversity Managerin in der Erste Bank Group. "Wir sind eine kleine UNO-City, die Kollegen in der Holding kommen von überall her", sagt sie. Workshops und Kurse wie "Working successfully in an Austrian Business Environment" sollen Kollegen aus dem Ausland helfen, sich in der österreichischen Business-Welt zurechtzufinden. Probleme wegen den unterschiedlichen Kulturen gibt es nicht, sagt sie. "Es gibt Unterschiede, etwa, wie man Feedback gibt und es annimmt, wie direkt man ist, welchen Stellenwert Hierarchien haben", sagt sie. Zu kommunizieren sei oberstes Prinzip.

Genau das ist auch der Anfang, um Vorurteile aufzulösen: Miteinander reden.

KURIER: Vor welchen Barrieren stehen Migranten am Arbeitsmarkt?
Kenan Güngör:
Erstens ist es eine Frage der Bildung, zweitens des Zugangs, drittens des Aufstiegs und viertens eine Frage der Benachteiligung und Diskriminierung. Ähnlich wie in Österreich der 50er Jahre wo ein Arbeiterkind meist ein Arbeiterkind blieb, haben wir eine graduelle Verfestigung der Bildungschancen – im Besonderen bei bildungsschwachen Migrantenfamilien. Was dazu kommt ist eine Selbstbenachteiligung: Es liegt nicht im Selbstverständnis eines Jugendlichen aus einer niedrig qualifizierten Familie, ein Studium zu beginnen.

Studien zeigen, dass Menschen mit Migrationshintergrund schon anhand des Namens diskriminiert werden.
Jugendlichen wird ein Leben lang versprochen, dass ihnen mit guter Schulbildung alle Türen offen stehen. Dann bewerben sie sich und erkennen, dass doch ein Unterschied gemacht wird. Das führt zu einer tiefen Zurückweisung und Kränkung. Sie fühlen sich betrogen.

Wie kann man dem entgegenwirken – anonymisierte Lebensläufe?
Anonymisierte CVs finde ich gut, wenn sie durchgehend eingesetzt werden. Wir dürfen nicht vergessen, das wir auch eine zunehmend ästhetisierte Gesellschaft sind: Gerade in der Vorselektion sieht man in Bewerbungsunterlagen die Gesichter kurz an und weniger attraktive Menschen oder solche mit anderer Hautfarbe, ausländischen Namen oder Kopftuch können schnell ausgesiebt werden. Man muss bei der Vorselektion genauer sein und nur Kriterien heranziehen, die die Qualifikation betreffen. Die Kritik an anonymisierten Lebensläufen ist, dass sich Menschen in der Bewerbung ihrer Individualität und Personalität geraubt fühlen. Eine Alternative ist das Mehraugenprinzip, wo ein heterogenes Team den Auswahlprozess führt.


Wurden Organisationen in den vergangenen Jahren diverser?

Zum Teil ja, sehr oft ist es aber noch symbolisch und marketingmäßig. Aber Diversität ist kein karitativer Akt, sondern eine professionelle Erfordernis in einer vielfältigen Gesellschaft. Manche Organisationen – insbesondere öffentliche – hatten lange Zeit kaum Migranten als Mitarbeiter, außer in den Hilfsarbeiten. Sie haben aber in den vergangenen Jahren gemerkt, dass sie sie brauchen. Sie merken, dass ihre Strukturen nicht auf die pluraler werdende Gesellschaft eingestellt sind und sie dadurch zunehmend unfähiger werden, adäquat und professionell ihren Job zu machen.

Vor welchen Problemen stehen Unternehmen häufig?
Unternehmen haben eine widersprüchliche Aufgabe: Sie müssen einerseits Diversität reduzieren, indem sie Strukturen, standardisierte und formale Abläufe schaffen, damit sie funktionieren. Andererseits müssen sie Diversität zulassen, um zu bestehen, um Kreativität und Innovation Raum zu lassen. Wichtig ist, dass man dieses Thema nicht naiv angeht: Nicht nur Barrieren beseitigt, sondern Strategien findet, wie Leute in die Organisation geholt werden und wie sie sich und die Organisation weiterentwickeln können.