Wirtschaft/Karriere

Branchen finden keine Fachkräfte: Drei Betroffene erzählen, was falsch läuft

Annemarie Kainzbauer ist 14 Jahre alt, als sie ihre Ausbildung an der Gastgewerbefachschule (Gafa) in Wien beginnt. Sie will Köchin werden, vor allem die Süßspeisen haben es ihr angetan: „Ich hatte immer eine Faszination für Desserts, und die wollte ich unbedingt in der Praxis ausleben.“

Zeitintensive Ausbildung

Die Ausbildung macht Kainzbauer zunächst Spaß. Auch an den straffen Zeitplan gewöhnt sie sich schnell. „Ich hatte mit 15,16 bereits eine 40-Stunden-Woche. Das war schon hart, aber ich habe viel gelernt.“ Statt Freunde treffen und schwimmen gehen, ist für die Gafa-Schülerin selbst in den Sommerferien Arbeit angesagt. Zwei dreimonatige Praktika in unterschiedlichen Gastronomiebetrieben sind während der Ausbildung für die Schülerinnen und Schüler vorgeschrieben. Kainzbauer schlägt sich durch die zeitintensive Ausbildung durch. Sie hängt sogar noch eine einjährige Patisserie-Meisterklasse an und absolviert zusätzlich die Konditormeisterprüfung.

Bewerbung, Probetag, Zusage

Danach geht alles schnell: Bewerbung, Vorstellungsgespräch, Probetag, Zusage. „Ein Restaurant hat mir sogar schon während des Probetages eine Anstellung zugesagt“, erzählt die gelernte Köchin. Eineinhalb Jahre ist sie beim Motto am Fluss in Wien für die Desserts zuständig: „Eineinhalb Jahre, das ist für Gastro-Verhältnisse echt lang“, scherzt sie. Doch Kainzbauer hat noch andere Pläne. Im Winter 2020/21 möchte sie auf „Saison“ gehen. Saison, erklärt sie, heißt in der Gastronomie arbeiten in der Wintersaison in einem Skiort: „Du verdienst gut – aber du hackelst dafür auch richtig rein.“

Und dann kam Corona

Corona macht Kainzbauer einen Strich durch die Rechnung. Den Job in einem angesehenen Hotel im Skiort Obertauern, tritt sie nie an. Stattdessen nimmt sie eine Stelle in einem teuren Lokal in Wien an. Nach einer Woche wirft sie das Handtuch: „Ich habe jeden Tag 15 Stunden gearbeitet. Ich bin bereit zu arbeiten, aber 15 Stunden – das war mir echt zu viel.“

Ein Mangel quer durch alle Branchen

Annemarie Kainzbauers Geschichte ist kein Einzelfall. Ende Mai dieses Jahres waren allein dem AMS mehr als 11.000 offene Stellen in der Gastronomie gemeldet. Aber auch in anderen Branchen herrscht ein außerordentlicher Mangel an Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Der Stellenmonitor des ÖVP-Wirtschaftsbunds zählt österreichweit mehr als 281.000 offene Stellen. Der Arbeitsmarkt brummt – und das trotz hoher Inflation, steigender Energiepreise und des Ukraine-Kriegs. Die Geschwindigkeit, in der sich Österreichs Arbeitsmarkt von den Folgen der Pandemie wieder erholt hat, haben wohl viele unterschätzt.

Betriebe müssen zusperrren

Nun müssen Wirtshäuser zusperren und Betriebe Aufträge ablehnen, weil schlichtweg die Arbeitskräfte fehlen. Und erst jetzt, wo man im Lieblingsrestaurant plötzlich stundenlang aufs Essen wartet und die Nummer des Installateurs ständig besetzt ist, merkt man, wie wichtig diese Arbeitskräfte sind, damit die Wirtschaft überhaupt funktioniert und unser Alltag reibungslos abläuft. Doch die Erkenntnis kommt spät. Viele Beschäftigte haben sich bereits beruflich umorientiert oder stecken mitten in der Ausbildung. Laut AMS-Chef Johannes Kopf sind derzeit von rund 311.000 Arbeitssuchenden 70.000 in Schulung.

Nicht unter diesen Bedingungen

Auch Annemarie Kainzbauer hat umgesattelt. Sie hat gerade ihre Matura nachgeholt und möchte im kommenden Jahr „Soziale Arbeit “ studieren. Ob sie je wieder in die Gastro zurückkommen wird? „Ich möchte es nicht ausschließen. Aber nicht unter den aktuellen Bedingungen. Der Leistungsdruck, der in vielen Küchen herrscht in Kombination mit den zu langen Arbeitszeiten – da gehen viele daran kaputt. Wenn, dann würde ich mich gerne selbstständig mit einem kleinen Café machen.“ Derzeit kocht und bäckt sie nur für Familie und Freunde, sagt Kainzbauer, und genießt es.

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Auch im Handwerk herrscht Knappheit an allen Ecken und Enden. 3.951 offene Stellen  allein für Installateure und Installateurinnen waren Ende Juni beim AMS-Jobportal gemeldet. Alexander Kernstock, 35 Jahre, ist ausgebildeter Installateur und führt seit September 2021 den Betrieb seines Vaters „Kernstock Installationen“ in Wien fort.  Schon als Kind hat er sich für das Handwerk begeistert und brennt nach wie vor für den Job.  

KURIER: Was gefällt Ihnen am Beruf des Installateurs?


Alexander Kernstock: Es ist schön, wenn man wohin geht und Leuten hilft, neue Dinge schafft und am Ende auch ein Ergebnis sieht. Außerdem ist die Branche im ständigen Wandel, es gibt neue Technologien und man ist an vorderster Front dabei. Das finde ich faszinierend.


Was müsste sich ändern, dass mehr Menschen den Berufsweg einschlagen?


Kernstock: Ich glaube, die Kommunikation nach außen muss sich ändern.  Handwerk hat in den letzten Jahrzehnten  an Reputation verloren.  Dabei ist das Handwerk super. Wenn man  handwerklich geschickt ist, hat man eine sichere Zukunft vor sich.  

Wie schwer ist es derzeit Arbeitskräfte zu finden – und diese auch zu halten?


Kernstock: Ich habe Gott sei Dank gerade zwei neue Mitarbeiter gefunden.  Aber: jemanden zu finden ist schwer, die guten Leute sind ja meistens bereits in Firmen. Ich habe auch einen Mitarbeiter, der bereits zwölf  Jahre hier ist. Er bekommt Wertschätzung und fühlt sich hier wohl – warum sollte er wechseln? 

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Der Fachkräftemangel schlägt auch in einer Branche zu, in der man es nicht unbedingt vermutet hätte. Steuerberatungsunternehmen suchen händeringend nach Nachwuchs und Mitarbeitern. Kornelia Wolf, 38 Jahre, ist seit 18 Jahren Steuerberaterin und Teil der Geschäftsführung bei  APP in Wien. Nach Abschluss der Handelsakademie war für sie vor allem eines wichtig: Finanzielle Unabhängigkeit. Den Zahlen ist sie bis heute treu geblieben.   

KURIER: Wieso wollen so wenig junge Menschen ihren Beruf machen?  


Kornelia Wolf: Buchhaltung hat immer noch ein verstaubtes Image. Das stimmt aber nicht. Gerade in der Steuerberatungsbranche hat man ein sehr breites Spektrum, man lernt irrsinnig viele Firmen kennen. Man kann in viele Branchen hineinschnuppern. Man hat viele Klienten, die froh sind,  einen zu haben. Das macht es  interessant, spannend und abwechslungsreich.

Suchen Sie aktuell Arbeitskräfte?


Wolf: Wir suchen in allen Bereichen: Buchhaltung, Personalverrechnung, Bilanzierung. Wir suchen nicht dann, wenn wir schon dringend jemanden brauchen.  Wir  nehmen auf, wenn wir jemand Guten finden. Der Markt ist eng, man findet die Mitarbeiter nicht, wenn man sie braucht.

Was tun Sie, um die besten Talente für sich zu gewinnen?


Wolf: Unsere Homepage zielt nur auf die Gewinnung neuer Mitarbeiter ab. Genau so ist es mit unserem Social-Media-Auftritt. Man muss heute auf sich aufmerksam machen. 

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Die Gastronomie ist vom Personalmangel besonders betroffen. Laut dem Jobbarometer des ÖVP Wirtschaftsbundes sind inklusive Tourismus mit Ende Mai 40.000 Jobs offen. Durch Rand- und Wochenenddienste, Saisonarbeit, mangelnde Bezahlung und die Unsicherheit während der Coronapandemie haben sich zahlreiche Arbeitskräfte beruflich umorientiert.  Annemarie Kainzbauer, 22 Jahre alt, ist gelernte Köchin und Konditorin. Vergangenes Jahr hat sie ihren Job in der Gastro aufgegeben.      

KURIER: Warum haben Sie sich mit 14 Jahren für die Ausbildung entschieden?


Annemarie Kainzbauer: Ich hatte immer eine Faszination für Desserts und ich wollte viel Praxis haben. In der Gastgewerbefachschule waren bestimmt fünfzig bis sechzig Prozent der Stunden Praxisunterricht, das war sehr cool.

Gab es ernüchternde Erkenntnisse im Joballtag?

Kainzbauer: Viele Gäste schätzen nicht wert, was für eine Arbeit hinter jedem einzelnen Gericht steckt. Man bekommt wenig zurück von den Gästen, das finde ich sehr schade.

Was müsste sich an den Arbeitsbedingungen in der Gastronomie ändern?

Kainzbauer: Die Arbeitszeiten müssten geregelter sein, die Teams beständiger und ja , auch das Gehalt könnte besser sein.