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Der (un-)beschränkte Zugang zur Bildung

Die Luft ist schlecht und die Beine schmerzen vom Stehen. Die guten Plätz sind schon längst weg, viele kauern deshalb auf dem Boden, eingequetscht zwischen Dutzenden Fremden lehnen andere an der Wand. Glückliche ergatterten noch einen Stuhl aus einem anderen Raum und platzieren ihn hinter die Sitzreihen. Sehen kann man von dort aus zwar nichts, aber immer noch besser, als vor der offenen Türe zu hocken.

Jährlich strömen Tausende Studienanfänger an Österreichs Universitäten, aber was sie dort vorfinden, ist für viele frustrierend. Manche Studienfächer sind dermaßen überlaufen, dass ein Abschluss in der Regelstudienzeit kaum möglich ist. 57,4 Prozent aller Studierenden belegen nur 20 Studienrichtungen – von insgesamt 160 zur Auswahl stehenden. Hörsäle und Seminarräume platzen somit aus allen Nähten, Professoren kommen mit dem Korrigieren der Studienarbeiten nicht nach und schaffen es nicht, ihre eigenen Forschungsvorhaben zeitgerecht umzusetzen. Die Grenzen des Machbaren sind für manche Unis schon seit Jahren überschritten. Deshalb fordern Uni-Rektoren, entweder das Budget für Hochschulen zu erhöhen oder die Möglichkeit, Studienplätze beschränken zu können.

Uni-Zugang beschränken

Letzteres soll nun eintreten. Denn die Regierung kündigte an, bis Sommer ein Konzept zur sogenannten Studienplatzfinanzierung zu erstellen und ab 2019 einzuführen. Ziel sei es, erklärte Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) im Parlament, die Qualität der Studien zu steigern, indem eine bessere Relation zwischen Studierenden und Lehrenden geschaffen wird – in Massenfächern beträgt sie derzeit 1:300. Durch eine bessere Betreuung soll die Absolventenzahl erhöht und die Abbrecherquote reduziert werden, die in einigen Fächern bei bis zu 75 Prozent liegt.

https://images.kurier.at/46-90101693.jpg/248.865.819 KURIER/Gerhard Deutsch Streitgespräch, Lucia GRABETZ, ÖH Vorsitzende, Oli… Streitgespräch, Lucia GRABETZ, ÖH Vorsitzende, Oliver VITOUCH, uniko-Präsident, im KURIER-Haus

Oliver Vitouch, Präsident der Universitätenkonferenz (uniko), lobt das Vorhaben und hofft in Absprache mit der Regierung, der Uni-Tristesse vergangener Jahre endgültig den Garaus machen zu können. Für Lucia Grabetz, Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH), ist die ganze Diskussion allerdings "extrem ärgerlich und falsch". Statt wirklich in Bildung zu investieren, werden Eliten gefördert und Arbeiterkinder ausgeschlossen, echauffiert sie sich.

Die Studienplatzfinanzierung ist ein Finanzierungsmodell für Universitäten, das bereits in der Schweiz, Großbritannien, den Niederlanden, Australien, Schweden oder Finnland in unterschiedlichsten Formen eingeführt wurde. In der Regel finanziert der Staat eine gewisse Anzahl von Studienplätzen, die durch Vereinbarungen zwischen Regierung und den Unis festgelegt wurde. Die Dotierung pro Studienplatz hängt mit der Fächergruppe zusammen. So kostet ein Studienplatz in Jus vermutlich weniger als einer in Medizin, wo die Laborausstattung teuer ist. Unbekannt ist das System in Österreich nicht. Fachhochschulen haben die Studienplatzfinanzierung schon lange verwirklicht. Nur an den öffentlichen Unis scheitert die Umsetzung seit mehr als einem Jahrzehnt, weil damit der freie Uni-Zugang weiter beschränkt wird. Theoretisch bräuchte es keine Schranken. Wenn aber unbegrenzt viele Studenten ein Studium beginnen können, würden die Kosten explodieren. Die Studienplatzfinanzierung ist also nur mit Begrenzungen machbar.

Für viele Sozialdemokraten wären Beschränkungen früher nicht in Frage gekommen, der freie Hochschulzugang galt als eine Art "heilige Kuh" der SPÖ. Unter Kanzler Bruno Kreisky wurde 1972 allen Studierenden der gebührenfreie Zugang zu allen Universitäten und Kunsthochschulen ermöglicht. Die Anfängerzahlen stiegen stetig und rasant an, selbst Arbeiterfamilien konnten sich das Studium nun leisten. Damals war man auf die Hochschulreform stolz, heute scheinen sich die Roten unter Parteichef Christian Kern von der "sozialdemokratischen Errungenschaft" langsam zu verabschieden.

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Rektorenchef Vitouch empfindet diese rote Abkehr aber keineswegs als Rückschritt. Die Öffnung der Unis sei in den Siebzigerjahren zwar "goldrichtig" gewesen und hätte ihren Zweck erfüllt, aber angesichts mangelnder Ressourcen heute nicht mehr zeitgemäß. Ohnehin sei der freie Hochschulzugang nur noch eine "Illusion", weil einige Fächer seit Jahren zugangsbeschränkt sind.

Nichts Neues

Tatsächlich sind Platzbeschränkungen nicht neu. Samt Aufnahmeprüfungen gibt es sie in Medizin, Veterinärmedizin, Psychologie, Publizistik, Wirtschaftswissenschaften, Architektur, Informatik, Biologie und Pharmazie. Jus könnte als nächstes dran sein. Konkrete Berechnungen, wie viele Plätze künftig wegfallen, gibt es noch nicht; mehrere Varianten werden diskutiert. Eine davon stammt von Vitouch selbst, der vorgeschlagen hat, zu den aktuellen Absolventenzahlen "20 bis 40 Prozent" dazuzurechnen. Das würde aber eine drastische Reduktion in Jus bedeuten – mehr als zwei Drittel der Anfängerplätze würden gestrichen.

https://images.kurier.at/46-89836883.jpg/244.297.239 … Kampf um jeden Cent

Gegen diesen Plan kämpft die ÖH. Grabetz befürchtet, dass vor allem Interessierte aus sozial schwächeren Elternhäusern durch die Zugangsbeschränkungen benachteiligt werden. "Die Vorbereitungskosten für Aufnahmetests sind enorm. Kinder aus Akademikerhaushalten können sich das eher leisten als Kinder aus Arbeiterfamilien", moniert die sie. Zudem verletze die Regierung die Europäische Menschenrechtskonvention, wenn sie fahrlässig zulässt, "dass nicht alle Kinder dieselbe Chance bekommen". Grabetz verstehe zwar, dass Rektoren wie Vitouch (Universität Klagenfurt) das Beste aus den verfügbaren Ressourcen machen wollen. Aber anstatt für weitere Bildungshürden zu sein, wäre es wichtiger, dass man gemeinsam um jeden Cent für bessere Studienbedingungen kämpft, sagt sie. "Daher bin ich für jeden Verbündeten dankbar."

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