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Siegreiche Woche der Schülervertreterin

Am Montag hat Kolmann selbst Matura. Donnerstagabend im MuseumsQuartier. Conny Kolmann hat um ein Treffen an diesem schulfreien Feiertag gebeten: "Fehlstunden kann ich mir so kurz vor der Matura nicht erlauben." Sie trägt Jeans und T-Shirt und dazu ihre "Lieblingsschuhe" – alte Converse, die schon mehr Löcher haben als vom Hersteller vorgesehen. Ihre Mutter mag’s nicht, wenn sie die trägt, erzählt sie – und lacht. Sie bestellt Soda-Zitron und wirkt entspannt. Wie war die schriftliche Matura? "Hat schon gepasst", sagt sie.

Ende April wurde sie 19. Von der stellvertretenden Schulsprecherin stieg die Wienerin übers Schülerparlament in die Landesschülervertretung auf. Im Herbst 2011 wurde sie mit 20:25 Stimmen zur Bundesschulsprecherin gewählt. Für die Schülervertretung gab sie sogar den Sport auf: Kolmann war mehrfache Staatsmeisterin im Rudern.

Ursprünglich belächelt, positionierte sie sich als Fighterin für eine Verschiebung der Zentralmatura. Zuletzt startete die Bundesschülervertretung sogar eine parlamentarische Bürgerinitiative dagegen.

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KURIER: Sie sitzen entspannt beim Interview, haben am Mittwoch auf Ö1 im "Journal Panorama" diskutiert und vergangene Woche in "Am Punkt" auf ATV. Maturieren Sie so nebenbei?

Conny Kolmann: Nein, ich hab’ den ganzen Tag gelernt (schmunzelt) . Der Montag wird hart, ich habe alle fünf mündlichen Prüfungen an einem Tag, wir fangen um 7.15 an und werden bis 19 Uhr brauchen. (Kolmann maturiert an der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik in der Wiener Kenyongasse mit Zusatzausbildung Hort und hat daher fünf mündliche Maturafächer, Anm.)

Wie hat sich das Jahr als Bundesschulsprecherin auf Ihre Noten ausgewirkt?

Ich hatte viele Fehlstunden, habe aber trotzdem relativ gute Noten: einen Vierer, sonst nur Einser und Zweier.

Verraten Sie, worin den Vierer?

Musik. Ich bin nicht wirklich gut im Singen.

Vergangenen Montag saßen Sie neben Bildungsministerin Claudia Schmied und ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon auf dem Podium jener Pressekonferenz, bei der die Verschiebung der Zentralmatura bekannt gegeben wurde. War das ein Triumph?

Ja! Am Anfang hab’ ich es gar nicht gepackt (sie lacht) . Wenn mir vor einem halben Jahr jemand erzählt hätte, dass die Zentral­matura verschoben wird, hätte ich gesagt: "Nie im Leben! Wir fahren da gegen eine Betonwand." Und jetzt ist die Betonwand gebrochen.

Am nächsten Tag war zu lesen: "Blamage" und "Debakel für die Ministerin". Ist es das?

Ich werte es nicht als Debakel, sondern als Eingeständnis, dass der Zeitplan zu straff war.

Musste die Ministerin reagieren, weil der Leiter der Arbeitsgruppe Mathematik das Handtuch geworfen hat? Oder ist es wirklich ein Erfolg der Bundesschülervertretung?

Es ist ein großer Erfolg der Schülervertretung in ganz Österreich, weil wir durch die Bürgerinitiative viel Druck gemacht haben.

Für eine Behandlung der Bürgerinitiative im Parlament hätten Sie 500 Stimmen gebraucht. Wie viele haben Sie gesammelt?

500 hatten wir an einem Tag. Jetzt sind es knapp 15.000. Obwohl man erst ab dem vollendeten 16. Lebensjahr unterschreiben darf.

Sie hatten Eltern- und Lehrervertreter als Verbündete. Bremsen die Lehrer, weil sie fürchten, dass sie mit der Zentralmatura selbst auf dem Prüfstand stehen?

Das glaube ich nicht. Die Verordnung war tatsächlich erst vor zwei Wochen fix, und das halte ich für eine Frechheit. Wie sollten sie die Schüler vorbereiten, ohne einen gesetzlichen und organisatorischen Rahmen zu haben? Ohne zu wissen, wie sie in Mathematik benoten sollen? Oder in den Fremdsprachen: Wenn bei Schularbeiten immer ein Wörterbuch verwendet werden darf, und dann stellt sich heraus, bei der Matura geht das nicht, ist das so, als würde man sich mit Volleyball­training auf ein Fußballmatch vorbereiten.

Wir diskutieren Zentralmatura, Schulautonomie, Lehrerdienstrecht. Aber muss sich Schule nicht grundsätzlich wandeln?

Die Art der Wissensvermittlung, das Lernen muss sich ändern. Derzeit ist jeder Laptop und jedes Handy intelligenter als mein Lehrer, der vorne steht. Ich kann alles jederzeit nachschauen. Schule sollte vermitteln, wie man recherchiert, sich Wissen aneignet, auch, wie man miteinander umgeht, zusammenarbeitet, wie man neue Medien sinnvoll nutzt, Inhalte kritisch hinterfragt ... All das muss auch in die Lehrerausbildung einfließen. Die Lehrperson der Zukunft sollte ein Wegbegleiter sein, der individuell stärkt.

Für wen lernt man?

Fürs Leben. Aber das erfährt man ziemlich spät, in meinem Fall vor der Matura (grinst) .

Und wodurch?

Ich habe jetzt beim Lernen gemerkt, dass ich mir vieles mitnehme aus der Schule. Aber wenn der Stress da ist, lernt man oft nur kurzfristig für den Test oder die Schularbeit. Sinnlos, da ist nach zwei Wochen alles weg. Auch da muss sich noch vieles ändern ...

Und die Bildungsministerin meint, sie wäre die Richtige dafür. Im ZiB2-Interview sagte sie diese Woche, sie bliebe gern noch eine Legislaturperiode, weil sie bestens eingearbeitet sei. – Würden Sie das befürworten?

Kommt drauf an, ob etwas Besseres nachkommt (schmunzelt) . Die größte Schwäche der Ministerin ist, dass sie zu stur an manche Projekte herangeht. Für sie ist es wichtig, Dinge durchzupeitschen, ohne zu schauen, ob es im Sinne der Schüler und Lehrer ist.

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Was würden Sie als Allererstes tun, wenn Sie morgen Bildungsministerin wären?

Ich würde den Schulpartnern mehr Gehör verschaffen, indem ich einen Bundesschulgemeinschaftsausschuss einrichte. Und dann würde ich eine Schule besuchen.

Kommentatoren attestieren Ihnen, dass Sie in Ihrer Rolle "gewachsen" sind ...

Das freut mich. Ich bin tatsächlich erwachsen geworden in dem Jahr.

Anfangs wurden Sie belächelt. Wie war das?

Der Anfang war schwer. Sowohl bei der Ministerin als auch bei den Medien musste ich mir den Respekt erst erarbeiten. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht ernst genommen werde.

Werden Jugendliche grundsätzlich nicht als vollwertige Gesprächspartner anerkannt?

Mittlerweile fühle ich mich ernst genommen. Man muss halt den Mund aufmachen und darf sich nicht einschüchtern lassen.

Die Ministerin hätte Sie gern auf Ihre Seite gezogen. Wie konnten Sie sich aus dieser ungewollten Umarmung freiboxen?

Indem ich in Sitzungen dagegengeredet und auf unseren Standpunkten beharrt habe . Ich habe mir auch dadurch ein Standing erarbeitet, dass ich ihr mit guten sachlichen Argumenten entgegengetreten bin.

Was war der schlimmste Moment?

An meinem ersten Tag – das werde ich nie vergessen (sie lacht) – komme ich nach der Pressekonferenz und einigen Interviews ins Büro, der Daniel schaut mich an (Daniel Perschy, Pressesprecher der Schülerunion, Anm.) , ich frage: "WAS IST?", und er sagt: "Lies lieber nicht die Postings auf standard.at und presse.at ..." Ich wurde zerrissen in den Online-Foren. Da hab’ ich zum ersten Mal gespürt, wie es ist, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Damit musste ich erst umgehen lernen. Heute denk’ ich mir: Die Leute sollen schreiben, was sie wollen.

Was war der Tiefschlag? – In der Woche Ihres Triumphs können Sie es ja verraten ...

(Sie lacht) Ich habe zwei Lieblingskommentare. Erstens: "Ich bin schon gespannt, wo sie in zehn Jahren ist, ihr Gesicht ist schon dort." Und dann – heute lach’ ich drüber: "Die neue Drogen-Mizzi ist geboren. Tiefe Augenringe, blasses Gesicht, das kann nur eines bedeuten." – Und das am ersten Tag! Es war heftig.

Man hat Sie auch ein bisschen als politische Kompromisskandidatin dargestellt. Waren Sie der "kleinste gemeinsame Nenner" in der Schülervertretung?

Ich würde mich nie als kleinster gemeinsamer Nenner abstempeln lassen. Ich sehe mich eher als die Person, die sich durchgesetzt hat bei all den Burschen – wir sind eine sehr burschenlastige Bundesschülervertretung ( schmunzelt) . Ich würde sagen, dass ich mit meinen Qualitäten überzeugt habe.

Was sind Ihre Top-3-Qualitäten?

Dass ich nicht unterzukriegen bin. Ich habe einen argen Ehrgeiz. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann muss das passieren. Dann ist eine Stärke von mir, dass ich nicht nur auf die Arbeit schaue, sondern auch sehr auf das Zwischenmenschliche. Das versuche ich auch den Schulsprechern mitzugeben: "Schaut, dass es menschlich in den Klassen passt!" Und der dritte Punkt: Ich liebe es, mich inhaltlich mit Themen auseinanderzusetzen, mit Menschen zu diskutieren.

Das klingt alles schon nach Politik. Sie kommen aus der VP-nahen Schülerunion, da fiel auf, dass Ihnen nach der Wahl JVP-Chef Kurz und Parteiobmann Spindelegger öffentlich gratuliert haben. Warum müssen bereits Schülervertreter parteipolitisch punziert sein?

Ich kann mir vorstellen, dass das so wirkt. Aber ich bin in keiner Partei eingetragen und habe umgekehrt keinem schwarzen Politiker je gratuliert. Das ist mir wichtig, weil ich versucht habe, möglichst viele SchülerInnen zu vertreten und mir alle Meinungen einzuholen – was oft nicht leicht war, weil ich die eigenen Meinung dabei oft überdenken musste. Wenn der Großteil der Schüler eine andere Meinung hat als ich, vertrete ich die, unabhängig von jeder Parteipolitik.

Gehen Sie wählen?

Ja, es ist wichtig, dass man wählen geht. Aber ich kenne auch viele Jugendliche, die sagen: "Das ist eh nur ein Kasperltheater, ich weiß nicht, wen ich wählen soll."

Ist die Jugend tatsächlich politikverdrossen?

Ich würde es "parteienverdrossen" nennen. Viele interessieren sich für Politik, sind dann aber schnell enttäuscht, wenn schon wieder ein Korruptionsfall ans Licht kommt.

Worauf freuen Sie sich? Party? Maturareise?

Nein, gar nicht. Ich hab mich entschieden, die Länder bei den Landesschülervertretungswahlen zu unterstützen, die beginnen am 21. Juni. Ich werde durch Österreich touren und helfen. Und ich will inhaltlich noch einige Forderungspunkte ausarbeiten, denn die letzten Monate waren thematisch sehr reifeprüfungslastig. Ich möchte nicht schlafen gehen und bis September nichts tun.

Welche Frage, die ich nicht gestellt habe, würden Sie noch gern beantworten?

Ich würde mich gern bei allen Schülerinnen und Schülern bedanken, die die Bürgerinitiative unterschrieben haben und die uns in dem Jahr unterstützt haben. Darf ich das?

Chronik: Warum die Schule nicht reif für die Zentralmatura ist

Reifeprüfung neu Die "standardisierte, kompetenzorientierte Reifeprüfung" für Mathematik, Deutsch und Fremdsprachen sieht vor, dass alle Maturanten am selben Tag dieselben schriftlichen Aufgaben bekommen. Die Auswertung erfolgt nicht zentral, sondern durch den Klassenlehrer nach einem vorgegebenen Bewertungsschlüssel. Die Maturaaufgaben werden vom Bundesinstitut für Bildungsforschung (Bifie) ausgearbeitet. Start ist – nach der Verschiebung – das Schuljahr 2014/’15 für AHS und 2015/’16 für BHS.

In langer Weg Claudia Schmied wurde 2007 Bildungsministerin. Im Schuljahr 2007/’08 gab es erste Schulversuche einer Englisch-Zentralmatura, z.B. am Amerlinggymnasium in Wien. Im Oktober 2009 beschloss der Nationalrat die Einführung der Zentralmatura per Schuljahr 2013/’14 an AHS und 2014/’15 an BHS. Nach heftiger Kritik von Schüler-, Lehrer- und Elternvertretern an der Vorbereitung sowie einer parlamentarischen Bürgerinitiative durch die Bundesschülervertretung, gab die Ministerin am 4. Juni die Verschiebung bekannt.

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