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140 Tage Großraumbüro - wie es wirklich ist

Soll man sich von 20 zweistelligen Zahlen so viele wie möglich merken, ist man durchschnittlich in der Lage, sieben wiederzugeben. Das sind etwa 40 bit Denkleistung pro Sekunde – so viel kann das Gehirn laut Hirnforschern bewusst verarbeiten. So ist der Mensch programmiert.

Bernd Hufnagl, ein österreichischer Neurobiologe und Managementberater, legt dieses Prinzip auf den Büroalltag um: "Speziell in Büros mit sieben Mitarbeitern sind wir empfänglich für Ablenkungen, da wir in dieser Gruppengröße Gespräche getrennt voneinander wahrnehmen. Diese Bürogröße ist die schlimmste." Und noch größere Großraumbüros? "Sie sind vom Prinzip her dann ein Problem, wenn sie schlecht geplant sind und es keine klare Regeln im Umgang miteinander gibt."

Schenkt man verschiedenen Forschungsergebnissen Glauben, sind viele Großraumbüros schlecht geplant: Mitarbeiter sind dort schneller gestresst, weniger produktiv und öfter krank. Die rund 20 Prozent geringeren Bürokosten wegen großer Flächen würden sich deshalb nicht rechnen, da die Beschäftigten aufgrund der Reizüberflutung, Verlust von Privatsphäre und dem Gefühl der ständigen Überwachung weniger leisten.

Dabei hat sich unsere Arbeitsleistung insgesamt verändert. Wir schaffen nur noch elf Minuten Arbeit ohne Unterbrechung von außen. Das Problem daran: "Nach jeder Ablenkung muss in unserem Gehirn eine neue Entscheidung getroffen werden: Wir müssen uns festlegen, was wir als Nächstes machen, an welcher Stelle ein Weiterarbeiten sinnvoll ist", sagt Hufnagl, der soeben das Buch Besser fix als fertig. Hirngerecht arbeiten in der Welt des Multitaskings veröffentlicht hat. Wegen der Unterbrechungen würde man teilweise die ursprünglichen Intentionen vergessen und Aufgaben nicht fertigstellen. Und das wiederum mache unglücklich. Die Lösung: klare Regeln aufstellen, sich nicht selbst ablenken, ruhig auch mal von zu Hause aus arbeiten.

Büros mit neuem Zweck

Im Großraumbüro wird mehr geredet, dort gibt es mehr Zusammenarbeit und es wird schneller entschieden. Willkommene Begleiterscheinungen des ursprünglichen Zwecks von Großraumbüros: die Kosten- und Platzersparnis. Diese Faktoren treten mittlerweile für Unternehmen oft in den Vordergrund. Das Großraumbüro ist zwar noch immer im Trend, sagt Andreas Ridder, Geschäftsführer CEE des Immobilienspezialisten CBRE, aber "eigentlich redet international niemand mehr über kleine oder große Büros – vielmehr geht es um eine neue Philosophie: ,New Ways of Working‘." Diese neue Philosophie beruht darauf, dass es heute durch die vielen technologischen Lösungen nur noch einen Grund gibt, ins Büro zu gehen: Die Kollegen. "Die ungeplante Kommunikation, die zur Kreativität führt – das ist der neue Zweck des Büros", sagt Ridder.

Die neuen, gut geplanten Büros sind eine Art Spielwiese, locker, mit verschiedenen Zonen und vielen Rückzugs- und Ruhebereichen. Fehlen diese, ist alles umsonst. Oft bleibt von der kreativen Großraum-Idee nur das schnöde Desk-Sharing-Modell über: Es gibt weniger Arbeitsplätze als Mitarbeiter. Kommen sie ins Büro, suchen sie sich einen leeren Schreibtisch – mit einem abschließbaren Rollcontainer im Schlepptau. Und ein neues Problem entsteht: "Meine innere Überzeugung ist, dass es hier zu einer Entsolidarisierung kommt. Jeder kämpft für sich. Dabei arbeiten Menschen doch am besten mit Menschen und für Menschen", so Hufnagl.

Warum wir das schreiben

Der KURIER ist zu Ostern umgezogen. Aus dem lebendigen siebten Bezirk an den Stadtrand. Vom Kleinteiligen in der Lindengasse in das Große in die Muthgasse. Von zwölf Stockwerken auf vier.

Das Konzept: Großraum, schallgedämmt, gut klimatisiert. Seit 140 Tagen arbeiten die KURIER-Mitarbeiter hier. Mit allem, was so ein Büro mit sich bringt. Über ihre persönlichen Erfahrungen schreiben Gabriele Kuhn (Ressortleiterin Lebensart), Georg Leyrer (stv. Kultur-Chef) und Karrieren-Chefin Sandra Baierl.

Um ehrlich zu sein: Ich hielt Großraumbüros für einen Irrweg – auch für Zeitungsredaktionen. Ein Irrweg, der sich mit der Frage Wohl zu viel Lou Grant gesehen? sarkastisch untermauern ließ. Sie wissen, die Serie um den US-Journalisten von Los Angeles Tribune, in der Großraumbüros als Epizentrum publizistischer Hyperaktivität dargestellt wurden. Aufregend, schnell, cool. So, wie es sich Chefredakteure erträumen, wenn sie Boss spielen wollen: Als Kapitäne des News-Flusses hemdsärmelig im „Newsroom“ stehen, um Menschen und Meldungen zu dirigieren. Sandkastenspiele – mit mir nicht, dachte ich. Und zog mich in mein Zimmer zurück.

Kommunikationswege

Dann aber: andere Zeiten, andere Bedürfnisse und folglich: andere Arbeitsplätze. Jedes (Büro)leben unterliegt der Evolution – speziell in Redaktionen, die durch das Dickicht neuer Herausforderungen navigieren müssen. Darauf galt es auch praktisch zu reagieren. Also habe ich mein Extrazimmer verlassen und arbeite seit April dieses Jahres im Großraumbüro des KURIER. Zuvor war ich natürlich skeptisch, zitierte Studien über Lärmbelastung und verminderte Leistungsbereitschaft. Da konnte ich mir nicht vorstellen, dass es möglich ist, durch ein adäquates Raumkonzept Bedingungen zu schaffen, die Großraum erträglich, ja sogar sympathisch machen. Für mich – als Leiterin eines großen Ressorts – überwiegen nun die Vorteile: die Kommunikationswege sind kürzer, die soziale Dynamik hat sich verändert. Weniger Grüppchenbildung, mehr Zusammenhalt und damit eine noch größere Bereitschaft, gemeinsam etwas anzupacken und zu gestalten. Dazu kommt: das Ambiente stimmt. Es ist in unserem Bereich hell, weit, offen, – eine gute Basis für das Zusammenleben. Damit das funktioniert, muss an Mitarbeiterbedürfnisse gedacht werden. Jemand, der sich konzentriert in ein Thema vertieft, soll sich zurückziehen dürfen. Jemandem, der kreative Höchstleistungen produziert, wird Flexibilität gewährt. Dafür braucht es nicht nur passende Räume, sondern vor allem Frei-Räume.

Beim zweiten Mal war es schon weit weniger aufregend, das Umsiedeln vom Klein- ins Großraumbüro. Da hat man nämlich schon einen Vorteil: Man weiß, dass die Welt ohne eigene Bürotür, die man zumachen kann, nicht untergeht.
Meine beiden Übersiedelungen waren eine schöne Kreisbewegung: Mit der APA bin ich von Heiligenstadt (eher kleinteilige Redaktion) in den sechsten Bezirk (Großraum!), mit dem KURIER vom siebenten Bezirk (Büro mit Aussicht!) wieder nach Heiligenstadt (Großraum) gesiedelt.
Auch die begleitende Gefühlswellen waren zum Verwechseln ähnlich: Großraum emotionalisiert. Man muss nicht unbedingt ein Luxusbüro gehabt haben, um den Gedanken an die ungefilterte Nähe zu allen Kollegen, an fehlende Rückzugsmöglichkeiten mal vorweg wenig erbaulich zu finden.
Und jetzt sind’s auch schon wieder 140 Tage, die wir hier sind. Wenig überraschend hat sich herausgestellt, dass man in Newsroom und Großraumbüro arbeiten kann. Dass vieles um vieles besser funktioniert: Eine schnelle Absprache ist nur noch ein paar Schritte entfernt. Und es ist erstaunlich, um wie vieles besser als Telefon und eMail der persönliche Kontakt (oft) funktioniert.

Für manche belastend

Ebenso wenig überraschend: Es gibt Kollegen, für die der Großraum ein Nachteil bleibt, und auch solche, die in keinen Newsroom passen. Die spezielle Jobs oder Arbeitsweisen haben, für die Absprache unnötig, der Grundlärm hinderlich, die fehlende Tür eine Belastung ist. Journalismus ist oft auch ein sehr individueller Job, bei dem es nicht nur um Geschwindigkeit oder Kommunikation, sondern Reflexion und Einordnung geht. Da hilft Unruhe nicht unbedingt.
Der Großraum nützt den Teilen des Journalismus, die mit interner Kommunikation zu tun haben. Das ist ein zunehmend wichtiger Teil, das journalistische Arbeiten ist anders geworden: Zahlreiche Medienformen wollen koordiniert sein. Dass es für die Produktion von Print, Online, Social Media sinnlos ist, jeder für sich im stillen Kämmerlein zu sitzen, ist keine Frage. Dass man es sich trotzdem manchmal wünscht, auch nicht.

Wir schreiben 140 Tage Großraum. 20 Wochen unendliche Weiten unseres neuen, mauerlosen Büros. Früher war die Lindengasse. Mit meinem kleinen Büro im 7. Stock. Ein Privileg mit Wien-Blick. Zum Kolumne-Schreiben und Recherchieren konnte ich mich zurückziehen. Tür zu. Da hörte mich niemand und das war gut so.
Heute, im neuen Großraumbüro, ist alle Distanz gefallen. Sehen und gesehen werden ist gelebter Alltag. Mithören und gehört werden. Das eigene Büro als Statussymbol gibt es nicht mehr.

Erkenntnisse

Erkenntnis 1: Nach einem Umzug geht man durch Phasen. Zuerst ist alles neu, man orientiert sich, fügt sich in seine sechs Quadratmeter Arbeitsraum ein. Der Entdeckungsphase folgt ein Tief: der Lärm nervt, der dritte Kollege von links ist auch nach Aufforderung immer noch laut, man sehnt sich nach Abgrenzung – wo bitte sind die Mauern? Jetzt: Bewältigungsphase: Man hört nicht mehr alles, sieht nicht mehr hin, kann sich gedanklich abschotten, hat Ohrstöpsel angeschafft. Auch das Raunzen hört schön langsam auf.
Erkenntnis 2: Es gibt zwei Typen von KollegInnen. Sozial kompetente, rücksichtsvolle, die möglichst leise sprechen, das Handy auf Vibrieren schalten, nicht über die Tische rufen, für Interviews ins Kammerl gehen und Privatgespräche dezent führen. Und es gibt die anderen, die anders sind.
Erkenntnis 3: Großraum hat drei vorherrschende Themen: Kommunikation, Lautstärke und Abschottung. Dass im Großraum besser kommuniziert wird, stimmt nicht unbedingt. Die Wege sind kürzer, es gibt mehr Zuruf – das ist zumindest schneller. Dafür ist es lauter und unruhiger, ein Großraum-Faktum, das man nicht wegreden kann. Und es ist das Ende aller Abschottung. Neun Stunden am Tag ohne Rückzug und mit viel Störung sind anstrengend und mitunter unangenehm. Aber man gewöhnt sich daran. Für konzentriertes Arbeiten gibt es das bereits zitierte Kammerl (wenig genützt, übrigens) – oder einen Arbeitsplatz andernorts. Man kann dem Großraum als Journalist gut ausweichen – auf einmal der größte Vorteil des mobilen, flexiblen Arbeitens. Sandra Baierl

Bodenfläche Jedem Arbeitnehmer muss eine zusammenhängende freie Bodenfläche von 2 m² beim Arbeitsplatz zur Verfügung stehen.

Temperatur 19 bis 25 Grad Celsius - das gilt für die Raumtemperatur bei geringer körperlicher Belastung.

Toilette Für 15 Arbeitnehmer muss es mind. eine Toilette geben. Sie sind so anzulegen, dass sie mit Arbeitsräumen, Aufenthalts- und Bereitschaftsräumen oder Umkleideräumen nicht unmittelbar in Verbindung
stehen.

Fensterfläche Arbeitsräume müssen in Summe eine Lichteintrittsfläche von mindestens 10 Prozent aufweisen, die
direkt ins Freie führen.

Lärm Maximale Grenzwerte für Räume: 50 Dezibel bei geistigen Tätigkeiten. 65 Dezibel bei einfachen Bürotätigkeiten.
Zum Vergleich: Eine Nähmaschine erzeugt 60 Dezibel