Wirtschaft

Jungbauer in den USA: Zurück in die Agrar-Zukunft

Geier und Bussarde machen CJ ("Charles Junior") Isbell keine rechte Freude. Wenn aber der Weißkopfseeadler, das Wappentier der USA, eines seiner Hühner reißt, überwiegt bei dem Landwirten die Faszination: "Was für ein Spektakel, ein unglaubliches Tier."

Ungewöhnlich ist auch CJs Weg. 2006 beschloss er mit 20 Jahren, die Ranch zurückzukaufen, die der Großvater 1998 aufgegeben hatte. "Heute bin ich meinem damaligen Businessplan zwanzig Jahre voraus", sagt der Jungbauer. Auf der Keenbell-Farm sind wieder drei Generationen tätig. Sie bewirtschaften 120 Hektor, davon 70 in Familienbesitz. 10 bis 20 kommen jährlich dazu.

Gentechnik vom Nachbarn

Alle Inhalte anzeigen
Für österreichische Verhältnisse wäre das groß, in den USA liegt es unter dem Durchschnitt (siehe Story unten). Die Megalomanie der US-Agrarindustrie sieht CJ kritisch: "Das ist nicht nachhaltig. Unsere Kunden wollen eine Verbindung zu dem, was sie essen." Von Monokulturen und Wachstumshormonen hält er nichts. Auf seiner Farm tummeln sich 90 Weiderinder, 900 Lege- und 1500 Masthühner, 150 Truthähne, 60 Schweine. Dazu viele Getreidesorten, alles gentechnikfrei, eine Rarität in den USA. Das breite Angebot macht viel Arbeit, aber auch unabhängiger von den schwankenden Weltmarktpreisen.

Und die Vielfalt wird gebraucht. "Pflanzen und Tiere sind Hilfsmittel, um die Qualität des Bodens zu steuern", erklärt CJ. Diese steht in seiner Philosophie im Mittelpunkt. Die Fruchtfolge und eine Zwischensaat halten das Unkraut klein. Die Tiere stampfen Samen ein, düngen, picken Schädlinge auf. Alle sind fast durchwegs im Freien und in Bewegung.

Ein Bio-Bauer ist CJ nicht, er verzichtet auf ein Prüfsiegel: "Ich bin mit einigem nicht einverstanden, das erlaubt wäre." Allerdings wäre es wohl auch schwierig, Gentechnik-Schwellenwerte einzuhalten. Der Nachbar baut nämlich auf 2000 Hektar genmanipulierte Pflanzen an. CJ plant zwar Pufferzonen ein, eine Kontamination kann er aber nicht hundertprozentig ausschließen: "Bienen fliegen einige Meilen weit, wie soll ich das verhindern?"

Hightech & Uraltwissen

Alle Inhalte anzeigen
Und was ist mit dem Freihandelsabkommen TTIP, das mehr Bio-Produkte aus Europa in die USA bringen wird: Bereitet ihm das nicht schlaflose Nächte? "Nein", sagt CJ. Ein wenig ist es mit TTIP so wie mit dem Adler: CJ ist ein interessierter Zuseher, verhindern kann er es ohnehin nicht. Angst, dass ihm was weggenommen wird, hat er allerdings auch nicht: "Unsere Kunden leben innerhalb von drei Autostunden. Sie kaufen bei uns, weil sie uns kennen. Und vertrauen." Fleisch und Eier werden im Hofladen, in drei Supermärkten und bei Bauernmärkten vermarktet. Das Getreide geht an Brauereien und Schnapsbrenner. Mehrere Bauern machen gemeinsame Gehversuche mit einer Haus-zu-Haus-Zustellung.

Regionalboom hin oder her, CJ hat keine Illusionen: "Wir sind eine kleine Nische. Aber für mich ist das Wiederaufleben alter Bauernarbeit die Zukunft. So wie mein Opa in den 1950ern die Eier von Tür zu Tür verkauft hat." Nur sind jetzt Twitter, Instagram und Facebook die Türöffner.

Die Keenbell-Farm profitiert freilich auch von einer günstigen Lage. Rockville im Bundesstaat Virginia ist nur etwa zwei Autostunden von Washington DC entfernt. Viele kaufkräftige Menschen übersiedeln hierher, um in die Hauptstadt zu pendeln. Die Bevölkerungszahl steigt dadurch stetig an.

Strikte Kostenkontrolle

Um preislich konkurrenzfähig zu sein, achtet CJ allerdings auch strikt auf die Kosten und Effizienz. Manchmal liege man über, manchmal unter den Supermarktpreisen. "Letztes Jahr konnten wir die Preise für Hühnerfleisch sogar senken. Wir hätten sonst zu viel verdient." Hightech und uraltes Wissen ergänzen sich dabei: Eine halbe Million Dollar will CJ in eine GPS-Steuerung und die Bodenanalyse für effizientes Düngen stecken.

Wachstum, aber ohne Abstriche bei der Qualität und dem Tierwohl, das sei die wahre Herausforderung: "Unsere Tiere sollen stressfrei leben. Wir sagen immer: Sie haben in Wahrheit nur einen einzigen schlechten Tag."

https://images.kurier.at/46-78876700.jpg/189.207.135
/Hermann Sileitsch-Parzer/KURIER
Farmer C. J. Isbell (Charles Junior), Co-Eigentüme…
Farmer C. J. Isbell (Charles Junior), Co-Eigentümer der Keenbell Farm in 18437 Vontay Road, Rockville, Virginia 23146 (USA). Die Farm wurde 1951 vom Großvater gegründet, 1998 verkauft und von Enkelsohn C.J. 2006 zurückgekauft. Weiderinder, Freilandhühner und Schweine werden nach alten landwirtschaftlichen Methoden gentechfrei, aber mit Hightecheinsatz (GPS, Bodenanalyse) aufgezogen.
Der Artikel entstand im Rahmen einer vom US Department of State organisierten USA-Reise.

„Die achtziger Jahre waren für Landwirte in den USA eine extrem harte Zeit“, sagt Jungfarmer CJ Isbell. Das erkläre, warum sein Großvater aufgegeben hatte. Die Zahlen bestätigen den Befund: Zwischen 1982 und 1992 haben in den USA fast 320.000 Betriebe zugesperrt. Seither ist die Zahl wieder leicht gestiegen – auf 2,1 Millionen.
Die durchschnittliche Farmgröße liegt seit damals recht konstant bei rund 180 Hektar.

Zum Vergleich: In Österreich verfügt der durchschnittliche Betrieb laut Grünem Bericht über 44 Hektar, wovon 19 Hektar landwirtschaftlich genutzt werden. Wobei: Die relativ vielen Nebenerwerbslandwirte drücken diesen Wert. In Agrarhochburgen der USA etwa im Mittleren Westen sind allerdings Riesenbetriebe mit einigen Tausend Hektar Fläche keine Seltenheit.

Mehr Bio in Österreich

Unglaublich, aber wahr: In Österreich gibt es in absoluten Zahlen mehr Bio-Bauern als in den gesamten Vereinigten Staaten. Der Grüne Bericht 2015 weist für Österreich 20.887 biologisch wirtschaftende Betriebe aus. US-Agrarminister Tom Vilsack bezifferte die Zahl der zertifizierten Betriebe 2015 mit 19.474 – ein Plus von fünf Prozent zum Jahr davor. Nur in Kalifornien und Wisconsin spielt „organic food“ ansatzweise eine Rolle. Der Anteil gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO) variiert hingegen zwischen 80 Prozent der Anbaufläche bei Getreide und 95 Prozent bei Soja.

Alle Inhalte anzeigen