Wirtschaft

Jedes Jahr suchen 700.000 Österreicher eine neue Bleibe

Mehr als 700.000 Personen sind jährlich in Österreich auf Wohnungssuche. Zwei Drittel davon spitzen auf eine passende Mietwohnung, die anderen wollen eine Wohnung oder ein Haus kaufen. In 68 Prozent der Fälle wird eine Mietwohnung mit einer Nutzfläche von mehr als 100 Quadratmetern gesucht.

Geht es um Eigentumsobjekte, suchen 60 Prozent größere Wohnungen. Jeder Fünfte möchte sogar eine kaufen, die mehr als 200 Quadratmeter Wohnfläche hat. Das geht aus einer Studie des Online-Portals findmyhome.at hervor, das 2014 von 230.000 Besuchern genutzt wurde.

In den vergangenen sieben Jahren sind die Mietpreise in Wien um 18 Prozent gestiegen. Doch 2014 hat sich die Nachfrage verschoben: Während kleine Wohnungen mit weniger als 60 Quadratmetern 15,5 Euro Miete pro Quadratmeter kosten, sind die Kosten bei Wohnungen mit mehr als 120 Quadratmetern auf 13,66 Euro pro Quadratmeter gesunken. Im Durchschnitt werden 14,5 Euro Miete pro Quadratmeter verlangt, das sind um 19 Cent weniger als 2013. Der Quadratmeterpreis bei Eigentumswohnungen ist im Schnitt um 0,7 Prozent auf 4462 Euro gestiegen.

Wien ist weiterhin der beliebteste Wohnort (67 Prozent). Hier nimmt die Nachfrage nach Wohnungen und Häusern am Stadtrand zu. Gefragt sind Lagen im Wienerwald, am Lainzer Tiergarten, in nahen Weinbau- und Heurigen-Gegenden, an der Donau sowie auch im Marchfeld.

Die Lage in der Baubranche ist angespannter denn je. Eineinhalb Jahre nach der Mega-Pleite der Alpine hat sich der Wettbewerb weiter verschärft. Viele Unternehmen stechen ihre Mitbewerber als "Billigstbieter" bei Aufträgen aus, weil sie vor allem durch den Einsatz von ausländischem Personal besonders "kostengünstig" kalkulieren können. Laut Josef Muchitsch, Chef der Gewerkschaft Bau-Holz, haben dadurch in den ersten drei Quartalen 2014 rund 11.900 österreichische Bauarbeiter ihre Vollzeit-Jobs verloren. Im Vorjahr sind 974 Baufirmen mit rund 435 Millionen Euro Schulden in die Pleite geschlittert.

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Konjunkturmotor

Die gesamte Bauleistung in Österreich beträgt laut Muchitsch jährlich rund 36 Milliarden Euro, davon entfallen rund zwei Drittel auf den Hochbau. Die Bauwirtschaft ist laut Nationalbank ein wichtiger Arbeitgeber, die Bauinvestitionen beeinflussen die Konjunktur. Vor allem der Wohnbau kann den Konjunkturmotor auf Touren bringen. Doch es fehlt diesem Motor derzeit der finanzielle Treibstoff. Im Vorjahr wurden Baubewilligungen für 46.600 Wohnungen in neuen Gebäuden erteilt, davon entfallen 29.500 auf mehrgeschoßige Wohnhäuser. Der Rest sind Einfamilienhäuser. Heuer wird mit 45.100 neuen Wohnungen gerechnet, davon 29.600 in mehrgeschoßigen Gebäuden.

Große Nachfrage

"Es fehlen uns jährlich 6000 Wohneinheiten, um vor allem in den Ballungszentren die Nachfrage aufgrund des Bevölkerungszuwachses abzudecken", sagt Muchitsch. "Die Baubewilligungen steigen im Bereich Eigentumswohnungen, aber sie decken damit nicht den Wohnungsbedarf ab, den einkommensschwache Haushalte haben."

Gemeinsam mit der Bauinnung in der Wirtschaftskammer, den Gemeinnützigen Wohnbauträgern und der s-Bausparkasse will die Baugewerkschaft ein 6,5 Milliarden Euro schweres Wohnungspaket schnüren. Demnach sollen in den nächsten fünf Jahren zusätzlich 30.000 Wohnungen samt Infrastruktur (Kosten: 650 bis 750 Millionen Euro) errichtet werden. Dieses Modell soll neben dem geförderten Wohnbau und dem privat finanzierten Wohnbau als neue "dritte Finanzierungssäule" geschaffen werden. "Der bestimmende Faktor im österreichischen Wohnbau ist die Förderung durch die Länder", sagt s-Bausparkassen-Chef Josef Schmidinger zum KURIER. "Wenn man mehr Wohnungen bauen will, muss man mehr Mittel zur Verfügung stellen oder ein anderes Modell wählen." Die s-Bausparkasse hat Finanzierungsmodelle entwickelt, die über die heimischen Wohnbaubanken abgewickelt werden könnten. "Einerseits könnte die Europäische Investitionsbank (EIB) Darlehensgeber sein, wie es schon bei der thermischen Sanierung gemacht wurde", sagt Schmidinger. "Wir haben uns Geld von der EIB geholt und den Bauträgern günstig zur Verfügung gestellt." Anderseits könnte man Pfandrechte begeben und diese beim Bauträger hypothekarisch besichern.

Bis zu 85 Prozent

"Dadurch könnten wir 55 Prozent der Investitionskosten finanzieren", sagt Schmidinger. "Wenn man mehr und längerfristig finanzieren will, dann brauchen wir eine Haftung des Bundes." Durch eine derartige Haftung, so die Rechnung, könnten die Wohnbaubanken rund 85 Prozent der Investitionskosten finanzieren. Im Gegenzug würden dem Bund in fünf Jahren 110 Millionen Euro Haftungsentgelt zufließen. Zugleich könnten bis zu 30.000 neue Jobs geschaffen werden.

"Wir haben den Sozialpartnern, der Baugewerkschaft und der Wirtschaftskammer ein Modell zugeliefert, das heute schon funktioniert", sagt Schmidinger. "Teil des Programmes ist, dass die Wohnbau-Banken auch die Infrastruktur vorfinanzieren dürfen, also Straßen, Beleuchtung und Schulen." Nachsatz: "Wir haben das so in der Seestadt Aspern mit der Stadt Wien gemacht." Aus der Differenz des Preises für die Baugründe, die die Wohnbaubanken aufkauften, und dem Verkaufspreis an die Bauträger wurde laut Schmidinger die Infrastruktur bezahlt. Das Modell ließe sich bundesweit auf Gemeinden umlegen. Nur müsse der politische Wille dafür geweckt werden. Doch das ist laut Schmidinger letztendlich Aufgabe der Sozialpartner.

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