Ist Wohnraum ein Objekt für Investoren oder ein Menschenrecht, zu dem jeder Zugang haben soll?
Von Ulla Grünbacher
Wohnen ist ein Grundbedürfnis und jeder Mensch hat das Recht auf einen angemessenen Wohnraum. Das hat einerseits mit der Menschenwürde zu tun. Andererseits ist die Wohnung wichtig, um Teil der Gesellschaft zu sein, etwa, weil eine Meldeadresse Voraussetzung für die Arbeitssuche ist. Die Versorgung der Gesellschaft mit ausreichend Wohnraum zählt daher zu den wichtigsten staatlichen Aufgaben. Dieser Aufgabe ist Österreich gut nachgekommen. In den vergangenen Jahren wurden in Österreich viele neue Wohnungen errichtet. Mit 10,6 geplanten Wohneinheiten pro 1.000 Einwohner 2021 darf sich Österreich sogar Europameister im Neubau nennen. Hierzulande wurden zehn Mal so viele Wohnungen errichtet wie in Italien und fast vier Mal so viel wie in Großbritannien, Spanien und Deutschland. In manchen Regionen war bereits von einer Überproduktion die Rede. Dennoch steigen die Wohnungspreise seit vielen Jahren. Ein Widerspruch?
Kapital sucht Anlage am Wohnmarkt
Jein. „Anders als von der Baulobby und den Vermietern suggeriert, ist es nicht der fehlende Neubau, der die Wohnungspreise in die Höhe treibt“, sagt die TU-Professorin Anita Aigner vom Institut für Kunst und Gestaltung im Gespräch mit dem KURIER. „Es ist vielmehr der Umstand, dass Wohnraum zu einem ‘Anlageprodukt’ geworden ist, das immer mehr Kapital – auch aus dem Ausland – auf dem Wohnimmobilienmarkt nach Anlage sucht.“
Gewinnbringend vermieten
Begonnen hat es mit der Finanzkrise im Jahr 2008. Wer es sich leisten konnte, hat sein Geld in vermeintlich sicherem Betongold veranlagt. Und weil die Nachfrage größer war als das Angebot, stiegen auch die Preise unverhältnismäßig stark. Das beschleunigte die Preisspirale erneut und brachte Wohnungssuchende noch stärker unter Druck. Immer mehr Wohnungen werden in erster Linie nicht für die Eigennutzung, sondern schon von vornherein als Wertanlage gebaut – um sie dann gewinnbringend vermieten zu können.
TU-Professorin Aigner
Für Anita Aigner ist klar: Es geht hier um eine Nachfrage, die nichts mit dem Bedürfnis nach Wohnraum zur Eigennutzung zu tun hat, es geht um Anlagebedarf. Wurde früher zu rund 70 Prozent gemeinnütziger Wohnbau errichtet, so hat sich dieses Verhältnis mittlerweile umgekehrt. Heute überwiegt der frei finanzierte Wohnbau. „Diese Entwicklung der fortschreitenden Ökonomisierung von Wohnraum, die in der Forschung mit dem etwas sperrigen Terminus „Finanzialisierung“ gefasst wird, ist eine der wesentlichen Ursachen, dass Wohnungspreise in Österreich in den vergangenen zehn Jahren so stark gestiegen sind“, sagt Aigner.
Anteil, der fürs Wohnen ausgegeben wird, steigt
Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass der Anteil des Haushaltsbudgets, der für das Wohnen ausgegeben wird, steigt. Anita Aigner: „In der internationalen Wohnraumforschung wird die Leistbarkeit von Wohnraum mit 30 Prozent des Haushaltseinkommens angenommen. Alles, was diesen Wert übersteigt, ist zu viel.“ Die Folge sind weltweit massive Widerstände gegen hohe Mieten. Sowohl in Berlin als auch in Spanien gehen die Menschen auf die Straße und protestieren dagegen.
Eingriff in Mietpreise am Markt?
Nun stellt sich aktuell die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Staat in die Gestaltung der Mietpreise am freien Markt eingreifen darf und soll. Worum geht’s: Die Wohnungsmieten, die dem Richtwertsystem unterliegen, sollen ab 1. April an die Inflation angepasst werden. Da die Inflation aktuell so hoch ist wie schon lange nicht mehr mit 11 Prozent im Februar, wirkt sich das auf die Mieten aus. Denn diese sind über Wertsicherungsvereinbarungen an die Teuerung, meist den Verbraucherpreisindex (VPI) gekoppelt. Die Richtwertmieten sollen per 1. April um 8,6 Prozent steigen. Betroffen von dieser Anhebung sind alle Mieter, die in privaten Altbauten leben, die vor 1945 errichtet wurden und deren Mietvertrag nach dem 1. März 1994 abgeschlossen wurde, das sind 755.000 Haushalte. Die Kategoriemieten (sie gelten für Wohnungen in privaten Altbauten, die vor 1945 errichtet wurden und deren Mietvertrag vor dem 1. März 1994 abgeschlossen wurde) werden ab Juli um fünf Prozent erhöht. Für alle Wohnungen, die nach 1945 errichtet wurden und nach wie vor frei finanziert errichtet werden, gibt es keine Mietzinsbegrenzung. Für Nachkriegsbauten bestimmt der Markt die Miethöhe, meist wird in den Verträgen eine Indexierung vereinbart. Rund 856.000 Mieter trifft die Index-Anpassung der Mieten daher ebenfalls. „Für alle Wohnungen, die frei finanziert errichtet werden, ist gesetzlich keine Möglichkeit der Mietzinsbegrenzung vorgesehen. Dort, wo die Mieten nicht reguliert und ohnehin am teuersten sind, schlagen auch an den VPI gekoppelte Mietzinserhöhungen am stärksten durch“, so Aigner.