Wirtschaft

Globalisierung auf dem Rückzug

Die Globalisierung ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Der weltweite Warenhandel wird heuer nur um 2,8 Prozent zulegen, prognostizierte die Welthandelsorganisation (WTO) in Genf am Mittwoch. Damit wurden die mageren Zahlen aus der April-Prognose noch weiter zurückgestutzt. Es wäre das vierte Jahr in Folge, in dem der Handel um weniger als 3 Prozent an Volumen zulegt.

Langfristig betrachtet sind das extrem niedrige Zahlen. Der Handel mit Waren und Dienstleistungen galt als die global treibende Kraft – er wuchs üblicherweise doppelt so rasch wie die Weltwirtschaft. Von Mitte der 1980er bis 2000 betrug das Plus durchschnittlich sieben Prozent (siehe Grafik). Solche Zuwachsraten scheinen jetzt völlig unerreichbar.

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"Momentan ist der Handel weder für die Industrie-, noch für die Schwellenländer ein Wachstumstreiber", analysierte der Ökonom Bernard Hoekman in einem Beitrag für das Portal VoxEU. Nur mit den Nachwehen der Krise lässt sich dieses Schwächeln nicht erklären. Der Einbruch hat nämlich schon davor, um das Jahr 2005, eingesetzt. Einige Ökonomen sprechen bereits vom "peak trade": Die Globalisierung habe also quasi ihren Gipfelpunkt überschritten. Einige Sonderfaktoren hätten den Handel angekurbelt, die so nicht wiederkehren würden.

China

Ab den 1980ern hat sich China für die Weltwirtschaft geöffnet, die Asiaten stiegen zum Exportweltmeister auf. Jetzt findet ein gewaltiger Kurswechsel statt: Die "Werkbank der Welt" wendet sich nach innen.

Osteuropa

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs taten sich neue Absatzmärkte und Produktionsstandorte auf, die davor rigoros abgeschottet waren. Österreichs Exportwirtschaft hat von der Ostöffnung und EU-Erweiterung besonders profitiert.

Arbeitsteilung

An der Fertigung eines Apple-iPhone 6 sind 785 Lieferanten aus 31 Ländern beteiligt. Spätestens seit den 1990ern ist die Welt zu einer einzigen globalen Fabrik geworden. Produziert wird nicht dort, wo der Abnehmer sitzt, sondern wo es am billigsten ist. Diese globalen Wertschöpfungsketten haben aber die Statistiken künstlich aufgebläht, weil Vor- und Endprodukte mehrfach gezählt wurden. Und: Die Arbeitsteilung lässt sich nicht unendlich steigern.

Industrie-Comeback

Mittlerweile zeichnet sich sogar eine Gegenbewegung ab. Produktionsstätten werden nicht mehr nach Fernost ausgelagert, sondern kehren zurück – besonders in die USA, wo die Energiekosten niedrig sind. Dieser Trend könnte sich mit Neuerungen wie der Digitalisierung, Industrie 4.0 und 3D-Druckern noch verstärken.

Warum ist es überhaupt problematisch, wenn der globale Handel schwächelt? Globalisierungskritiker würde eine Rückkehr zu mehr lokaler Produktion eher freuen.

"Mehr Handelswachstum würde die Entwicklungschancen erhöhen und Armut reduzieren", betonte hingegen WTO-Generaldirektor Roberto Azevedo. Entwicklungs- und Schwellenländer konnten bisher nämlich über die Lohnfertigung von Billig-Exporten rascher Anschluss an reiche Ländern finden.

Folgen für Österreich

Gerade Österreich als kleine, stark exportabhängige Volkswirtschaft wäre von einer dauerhaften Handelsschwäche betroffen. Die Exporteure sollten sich auf die schneller wachsenden Märkte in Asien und Lateinamerika umorientieren, rät Fritz Breuss vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Das würde mehr Wachstum bringen als das noch intensivere Beackern etablierter Märkte – die Eintrittshürden sind aber ungleich höher.

Die These vom "peak trade" glaubt Breuss nur bedingt: Er sieht es vielmehr als natürliche Entwicklung an, dass das Wachstum sinkt, wenn ein bestimmtes Entwicklungsniveau oder Sättigungsgrenzen erreicht werden. Das gelte auch für den Welthandel, könne aber "noch sehr lange dauern": Die Entwicklungs- und Schwellenländer hätten schließlich noch einen großen Auf- und Nachholbedarf, bevor es zu einer Stagnation kommen werde.

Alle anderen Einflüsse sind für Breuss eher als kurzfristige Störfaktoren oder Sonderfälle einzuordnen - seien es schwankende Wechselkurse, geopolitische Umbrüche oder Krisen.

Freihandelsabkommen

Einen Anschub für den Welthandel könnten noch die großen, umstrittenen Freihandelsabkommen bringen - wie jenes zwischen der EU und den USA (TTIP), zwischen den USA und Pazifikstaaten (TPP) oder zwischen 16 Staaten von Asien über Ozeanien bis Australien (Regional Comprehensive Economic Partnership, kurz RCEP).

Allerdings seien das nur die "zweitbesten Lösungen, weil die WTO nicht funktioniert", erinnert Breuss. Sollten diese Abkommen jemals in ein multilaterales Rahmenabkommen münden, das für alle WTO-Mitglieder weltweit gilt, wäre das "der letzte Schub, gleichsam das Sahnehäubchen im internationalen Freihandel". Damit wäre wohl wirklich die letzte Stufe der Globalisierung gezündet - dabei spreche man aber über einen Zeitraum von Jahrzehnten.

Lesetipp (zum kostenlosen Download): The Global Trade Slowdown: A New Normal? A VoxEU.org eBook. CEPR Press 2015.