Wirtschaft

Steuertricks made in Luxemburg

Es läuft nach dem Prinzip „Wünsch dir was“: Du hast ein Steuerproblem, wir haben die Lösung. Luxemburg genehmigte über Jahre hinweg Finanzkonstruktionen, die es Konzernen wie Ikea, Deutsche Bank oder Amazon ermöglichten, ihre Steuerlast „auf bisweilen weniger als ein Prozent“ zu drücken. Die Geheimdokumente, die das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) veröffentlichte, offenbaren, wie einfach Steuervermeidung ist.

Den Berichten zufolge legten die 340 „aufgedeckten“ Konzerne den luxemburgischen Behörden vorab ihre vom Beratungsunternehmen PwC erstellten Steuerpläne vor. Diese wurden fast immer genehmigt.

Umgehungen

Gegründet wurden Niederlassungen, die firmeninterne Kredite vergeben, um so die Steuerlast in anderen Ländern massiv zu drücken. Ebenfalls beliebt: Fondsgesellschaften, damit bei Immobilienprojekten kaum Steuern anfallen. Die Globalisierungskritiker von Attac schätzen, dass bis zu 600 Milliarden Euro allein in luxemburgischen Fonds steuerschonend investiert sind.

Auf der Liste der Steuervermeider befinden sich auch zehn Unternehmen mit Verbindung nach Österreich. Die Signa Holding von Immobilienentwickler René Benko machte sich im Jänner 2010 die Steuervorteile mit einer IZD Beteiligung und IZD Holding zunutze, die in Immobilien in Österreich investiert. Dazu zählt offenbar der IZD Tower, der neben der UNO-City in Wien steht und von Benko 2010 übernommen wurde. Bei Signa war am Donnerstag niemand für ein Statement erreichbar.

Ebenfalls auf der ICIJ-Liste: die Bawag sowie acht Töchter von ausländischen Konzernen wie etwa Mobilfunker Hutchison („3“), Sanierungsspezialist Belfor oder Investor 3i. Bei der Bawag handelt es sich um ein früheres Konstrukt, aktuell würden keine Geschäfte über Luxemburg abgewickelt,heißt es. Hutchison Österreich betont, man habe mit den Steuerdeals des chinesischen Mutterkonzerns nichts zu tun. Das sei ein Gruppenthema.

Die Steuerberater von PwC Austria weisen den Vorwurf, Steuerflüchtlingen zu helfen, zurück. Man agiere stets in Übereinstimmung mit lokalen, europäischen und internationalen Steuergesetzen. Finanzminister Hans Jörg Schelling fordert „eine Einhaltung der Spielregeln“ und will klären, ob es sich um legale Steuergestaltung oder illegale Aktionen handelt. Die EU-Kommission ermittelt schon in zwei Fällen (Amazon, Fiat Finance) gegen Luxemburg und prüft, ob ein Verstoß gegen das EU-Wettbewerbsrecht vorliegt.

Wie kann aus einem Kleinstaat mit 540.000 Einwohnern und einer großen, aber kriselnden Stahlindustrie das reichste Land der Welt werden? Luxemburg fand seinen Stein der Weisen in der Finanzindustrie – die heute fast 40 Prozent der Wirtschaft ausmacht.

Die Basis für den Boom wurde schon im Jahr 1929 gelegt: Ausländische Unternehmen durften Holdings einrichten, die steuerbefreit waren. Offiziell, um eine doppelte Besteuerung zu vermeiden; in der Praxis wurde oft gar nicht besteuert.

Lasche Regulierung und Aufsicht, viel Geheimniskrämerei und weitreichende Steuerzuckerln: Das ist der Mix, auf dem die Erfolgsstory gründet, analysiert das Netzwerk Steuergerechtigkeit. Die NGO führt Luxemburg auf Platz zwei der „Schattenfinanzplätze“ – nach der Schweiz, hinter der das Großherzogtum oft unbemerkt durchschlüpfen konnte.
Fiskus weiß nichtsDie eigentliche Geburt der Finanzindustrie datieren Experten auf Juli 1963: Damals legte die Börse Luxemburg Anleihen für die italienische Autobahngesellschaft Autostrade auf. Eine Premiere: Es war die erste Schuldverschreibung im Ausland in fremder Währung. Der große Vorteil: Wer diese Art von Schuldschein in Händen hält, kann ihn versilbern – ohne seine Identität offenzulegen. Wer es darauf anlegt, konnte so Einnahmen vor den Steuerbehörden verbergen.

Rigide Regeln legte sich das Großherzogtum dafür in Sachen Bankgeheimnis auf: Verstöße dagegen sind seit 1981 von Haft bedroht. Gemeinsam mit Österreich leistete man am längsten Widerstand gegen die EU-weiten Offenlegungspflichten von Bankdaten. Finanzlobby und Regierung arbeiten Hand in Hand – etwa in der Betriebsansiedelungsagentur „Luxembourg for Finance“. Die rühmt sich des Erfolges: Die Fondsindustrie verwaltet 2615 Mrd. Euro – mehr als ein Viertel des EU-weiten Fondsvermögens. 149 Banken mit 713 Mrd. Euro Bilanzsumme noch gar nicht eingerechnet.

Jetzt kommt das Geschäftsmodell unter Druck. Luxemburg will deshalb mit Logistik punkten. Allzu weit entfernt man sich nicht von der Kernkompetenz: Jüngstes Projekt ist ein diskretes Warenlager (Freeport) für Kunst und Wertgegenstände.

Das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) ist eine Recherche-Gemeinschaft von Medien aus 26 Ländern. Darunter sind die „Süddeutsche Zeitung“, „NDR“ und „WDR“ aus Deutschland, „Le Monde“ aus Frankreich, „The Guardian“ aus Großbritannien. Der Journalistenverein mit Sitz in Washington finanziert sich durch Spenden (unter anderem von Milliardär George Soros) und gehört zum Center for Public Integrity, einer Stiftung, die investigativen Journalismus weltweit unterstützt.

Als hätte er es geahnt: Bei seinem ersten Auftritt in Brüssel als Kommissionschef bedankte sich Jean-Claude Juncker für die Vorschusslorbeeren für sich und sein Team. „Meine große Angst ist jetzt, zu enttäuschen“, sagte Juncker. „Ich habe keine Illusionen, dass die gute Presse lange anhalten wird.“

Das war Mittwochnachmittag. Keine 24 Stunden später sah sich Juncker angesichts der Enthüllungen über die Steueroase Luxemburg mit massiver Kritik konfrontiert.

Die Sozialdemokraten wollen Juncker im EU-Parlament dazu befragen: Er müsse sich „dieser unglaublichen Ungerechtigkeit stellen, dass manche Konzerne weniger als ein Prozent Steuern gezahlt haben“, sagte SPÖ-Mandatarin Evelyn Regner. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) fordert gegenüber der Süddeutschen, der „Luxemburger Steuerspar-Spuk“ müsse aufhören.

Die Grünen fordern Junckers Rücktritt; er sei angesichts der Steuer-Deals als Vertreter von Gemeinschaftsinteressen „völlig unglaubwürdig“.

„Gelassen“ reagiert

Ein Rücktritt Junckers scheint derzeit ausgeschlossen – aber die Enthüllungen könnten seinen Start als Kommissionschef doch massiv beeinträchtigen.

Denn tatsächlich dürfte es für Juncker schwer bis unmöglich sein, sich glaubwürdig von den Vorwürfen zu distanzieren: Als Finanz- und Premierminister hat er die Steuerpolitik Luxemburgs fast 25 Jahre lang geprägt. In dieser Zeit wuchs das Kapital, das in Luxemburg angelegt wurde, massiv.

Juncker selbst äußerte sich am Donnerstag nicht zur Causa; ein geplanter Groß-Auftritt mit Ex-Kommissionschef Jacques Delors wurde kurzfristig abgesagt – offiziell wegen gesundheitlicher Probleme Delors’.

Aus dem, was sein Sprecher gestern vor Journalisten sagte, lässt sich Junckers Verteidigungs- bzw. Distanzierungsstrategie erahnen: Bis das Gegenteil bewiesen ist, müsse man davon ausgehen, dass die Luxemburger Praxis nicht gegen EU-Recht verstoßen hat. Außerdem versuche doch „jedes Land, mit allen Mitteln Investoren anzulocken“. Juncker habe jedenfalls „gelassen“ auf die Vorwürfe reagiert.