Wirtschaft

Wie Öl und Gas die Welt verändern

Die neuen Gas- und Ölfunde in den USA haben die Energie- und Finanzmärkte in große Aufregung gestürzt. Während der Gaspreis in den USA drastisch sinkt, steigt der Wert der Firmen, die an der Exploration beteiligt sind. In Texas und North Dakota macht sich Goldgräberstimmung breit, weil Technologien plötzlich den Abbau neuer großer fossiler Rohstoffvorkommen möglich machen. Tausende neue Förderstellen sind entstanden. Doch erst in Ansätzen wird deutlich, wie dramatisch auch die globalen und sicherheitspolitischen Auswirkungen sein können.

USA werden Erdölproduzent Nummer eins

Eine vertraulichen Studie des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) macht dramatische Änderungen aus, die auch die Politik im Nahen und Mittleren Osten sowie das Machtgefüge zwischen den USA und dem aufstrebenden China verändern können. Weil die USA bis 2020 sogar Saudi-Arabien als größten Ölproduzenten einholen könnten, wird aus dem Importeur möglicherweise ein Exporteur. Und die Abhängigkeit von der Golf-Region, so glauben die Autoren der Studie, werde drastisch sinken. Damit werde "die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfreiheit" für die Regierung in Washington erheblich zunehmen. Unter anderem verliere die vom Iran angedrohte Sperrung der Straße von Hormuz deshalb für die Amerikaner an Schrecken, weil die Versorgung des Landes künftig nicht mehr von Lieferungen der arabischen Staaten abhängig sei.

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Mit dieser Einschätzung steht der Geheimdienst nicht alleine. In den USA war in einem Bericht der Rice-University schon 2011 ein dramatischer Umbruch durch den neuen Öl- und Gasreichtum prognostiziert worden, weil die westliche Welt wegen des Schiefergases weniger auf Importe von un- oder halbdemokratischen Ländern wie Saudi-Arabien, Katar, Russland oder Venezuela angewiesen sein werde.

Doch der Amerika-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Josef Braml, hält die Auswirkungen für überbewertet. "Die USA werden nicht unabhängig werden können", sagt er und zweifelt an den hochfliegenden Ausbauplänen der heimischen Öl- und Gasproduktion. Tatsächlich gehen die Prognosen für die Zeit bis 2020 davon aus, dass es keine Rückschläge beim rasanten Ausbau der Fracking-Technologie gibt. Das ist aber angesichts großer Bedenken über die Umweltschäden durch diese Technik durchaus möglich.

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Ohne massiven weiteren Ausbau stimmten aber die Prognosen nicht. "Das einzige, was die USA vor der Preispolitik der OPEC schützt, ist die Sonderbeziehung mit Saudi-Arabien. Sicherheit für Öl - die Amerikaner schützen das nicht so demokratische Königreich, im Gegenzug sorgen die Saudis dafür, dass die Preise moderat bleiben", dämpft Braml Erwartungen eines auch geostrategischen Umbruchs.

Rasante Entwicklung

Das sehen die BND-Experten allerdings für die Zukunft etwas anders. Sie räumen ein, dass etwa das Pipeline-System in den USA Milliardeninvestitionen erfordert, weil die Versorgungswege in den USA neu ausgerichtet werden müssten. Aber dennoch haben sie mit dem Verweis auch auf die Einschätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) keine Zweifel am Aufstieg des Öl- und Gasproduzenten USA. Und die Entwicklung ist aus ihrer Sicht so schnell und unerwartet, dass viele Analysen eben immer noch der alten Sicht der Dinge aufsäßen.

Ein entscheidender Einwand gegen eine Abkopplung der USA von der Golfregion kommt von Stormy-Annika Mildner, einer Energie-Expertin des Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Sowohl Europa als auch Asien werden weiterhin von den Öl produzierenden Ländern des Nahen und Mittleren Ostens abhängig bleiben", meint sie. Damit aber sei die Supermacht USA automatisch weiterhin dort gebunden. "Sie haben keinerlei Interesse daran, dass es in diesen Regionen aufgrund von Lieferunterbrechungen zu wirtschaftlichen Verwerfungen kommt."

Schaden für Russland

Möglicherweise wirken sich die neuen Technologien aber auch ganz anders aus. Denn die "Fracking"-Methode führt auch in anderen Teilen der Welt dazu, dass neue Ressourcen erschlossen werden können. Die Folge: Das Angebot an Gas und Öl könnte insgesamt zunehmen. Geopolitisch dürfte dies vor allem Russland schaden, das sich als sicherer Lieferant Europas und künftig auch Chinas profilieren will. Statt der befürchteten wachsenden Abhängigkeit von russischem Gas könnten die Europäer versuchen, ihren Bedarf stärker aus anderen Quellen zu decken. Hinzu kommt, dass Russland besonders anfällig für Verschiebungen auf den Energiemärkten ist, weil dort die Produktionskosten für Öl und Gas in schwer zugänglichen nördlichen Gebieten sehr viel höher sind als in vielen anderen Teilen der Welt.

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Auch der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, rechnet mit Konsequenzen für Russland. "Ich sehe aber deswegen keine amerikanisch-russischen Spannungen auf uns zu zukommen, sondern eher erhebliche inner-russische Spannungen", sagte der Ex-Diplomat zu Reuters. "Das wird natürlich die Frage aufwerfen: Wie kann Russland dann möglicherweise unter Druck eine Modernisierung und Diversifizierung seiner Wirtschaft weg von der alleinigen Einnahmequelle Öl und Gas nachholen?" Dies setze eine weitere Öffnung der russischen Wirtschaft nach Westen voraus.

Mildner weist aber noch auf eine ganz andere Großdebatte hin, die sich verändern könnte. Denn mit den Funden an fossilen Energie könnte das Interesse von US-Präsident Barack Obama erlahmen, eine ehrgeizige Strategie hin zu erneuerbaren Energien zu verfolgen. "Durch die Renaissance der fossilen Energieträger kommt dem Klimaschutz, der ohnehin ein Schattendasein in den USA fristet, noch weniger Beachtung zu", glaubt sie.