Wirtschaft

EZB-Zinsen: Tiefer geht es nimmer

Damit hatte nun wirklich keiner gerechnet: Die Europäische Zentralbank senkt ihren Leitzinssatz überraschend auf das Rekordtief von 0,05 Prozent. Womit das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Tiefer geht es nun nicht mehr, gab EZB-Chef Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt zu.

Dass die Notenbanker so kurz nach Juni 2014 – damals wurde auf 0,15 Prozent gesenkt – wieder aktiv werden, hat die Experten auf dem falschen Fuß erwischt. Draghi erklärte den Schritt damit, dass sich die Wachstumsaussichten für die Eurozone in den letzten Monaten deutlich eingetrübt hätten.

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Große Sorgen macht dem Italiener auch die Preisentwicklung: Die Inflationsrate in der Eurozone betrug im August nur noch 0,3 Prozent – weit entfernt von den angepeilten zwei Prozent und gefährlich nahe der Nulllinie. Mit der Zinssenkung hoffen die Zentralbanker, einen Absturz in die Deflation – fallende Preise, fallende Löhne, stagnierende Wirtschaft – zu verhindern. Dazu müsste aber vor allem das Wirtschaftswachstum wieder in Gang gebracht werden.

Ob das gelingen wird, ist fraglich. Die Zinssenkung sei „wirkungslos“, kritisiert der prominente deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn. „Die EZB hat ihr Pulver viel zu früh verschossen.“ Sie stecke nun in der Liquiditätsfalle fest.

Offenbar gab es auch im EZB-Führungszirkel intensive Diskussionen. Die Entscheidung war laut Draghi nicht einstimmig. Österreichs Vertreter, OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny, sprach sich dafür aus. „Es ist kein Allheilmittel, aber ein wichtiger Bestandteil im Kampf gegen die Krise.“

Schuld an den niedrigen Sparzinsen, die am Markt und nicht von der EZB gemacht würden, sei die Tatsache, dass die Kreditnachfrage geringer sei und es einen "Sparüberschuss" gebe. Ganz extrem mache sich das etwa bei der Rendite von Staatsanleihen solider Staaten wie Deutschland und Österreich von rund einem Prozent bemerkbar, sagte Nowotny dann Donnerstagabend in der ZiB2.

Eurokurs auf Tiefflug

Das Zinstief sorgt dafür, das sich Sparen kaum noch lohnt. Immerhin: Negative Zinsen auf die Einlagen der Bankkunden haben Österreichs Geldhäuser dezidiert ausgeschlossen. Das Ziel, den Konsum und die Kreditvergabe anzukurbeln, hat die EZB mit den vorangegangenen Zinssenkungen verfehlt. Es mangelt nicht an Geld zu günstigen Konditionen, sondern es fehlt das Vertrauen in die Zukunft. Deshalb halten die Konsumenten die Geldbörsen geschlossen und scheuen Unternehmen vor Investitionen zurück.

Positiv reagierten die Börsianer: Die Aktienkurse schossen in die Höhe. Der Wiener Index ATX lag kurz vor Handelsende 0,89 Prozent im Plus. Zufrieden ist auch Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl über den „entscheidenden EZB-Beitrag gegen die Wirtschaftsflaute“. Der Zinsschritt selbst sei nur eine Nuance, wichtiger sei das Signal. Jetzt müssten die Staaten ihren Beitrag zum Wachstum liefern.

Die Gemeinschaftswährung ging zum Tiefflug über. Zeitweilig war ein Euro am Donnerstag weniger als 1,30 Dollar wert. Ein durchaus gewünschter Effekt: Die Exporte der europäischen Unternehmen werden angekurbelt, dafür verteuern sich Importgüter wie Erdöl – das könnte die Inflation zumindest ein wenig anheizen.
Noch sind nicht alle Pfeile verschossen: Draghi kündigte an, dass die EZB ab Oktober – wie seit vielen Monaten angekündigt – Unternehmenskredite und Pfandbriefen aufkaufen wird. Damit soll in den Bankbilanzen mehr Platz für neue Kredite geschafen werden.

Mit der neuerlichen Leitzinssenkung auf 0,05 Prozent hat es die Europäische Zentralbank geschafft, alle Beobachter zu verblüffen. Ob die Wirkung positiv sein wird, ist aber fraglich. Auf den ersten Blick sieht das stark nach einer Panikreaktion angesichts der bedrohlich tief gesunkenen Inflationsrate aus. Denn die bisherigen Zinssenkungen der EZB hatten am Verlauf der Preiskurve in Richtung Deflation aber auch gar nichts verändert. Das Problem ist, dass die Konjunktur in Europa am Boden liegt. Das neue Rekordtief wird daran wenig ändern: „An den Zinsen liegt es nicht mehr, dass die Wirtschaft nicht in Gang kommt“, sagt Raiffeisen-Analyst Valentin Hofstätter.

Das letzte, was die Eurozone in dieser prekären Lage aber brauchen kann ist, dass die EZB ein Signal der Hilfslosigkeit aussendet. Draghis Erklärung wird deshalb wichtig sein. Offenbar ist die EZB noch nicht so weit, Kreditbündel aufkaufen zu können und der Erwerb von Staatsanleihen (Quantitative Easing) wäre politisch heftig umstritten. Bleibt nur eine weitere Zinssenkung. Im Moment sieht es aus, als wären die Notenbanker mit ihrem Latein fast am Ende.

EIN AKTIENHÄNDLER: "Das war schon eine heftige Überraschung, mit einer Zinssenkung hat kaum einer gerechnet. Bei der Senkung der Zinsen handelt es sich zwar nur noch um Nuancen, aber das ist ein wichtiges Signal an die Kapitalmärkte, dass die EZB bereit ist, alles zu tun, was nötig ist."

MARCO BARGEL, POSTBANK-CHEFVOLKSWIRT: "Das ist überraschend. Eine Zinssenkung hatte niemand so richtig auf der Agenda - zumal sie konjunkturell nichts bringt und verpuffen wird. Die Deflationsgefahr lässt sich damit nicht vertreiben. Dazu bedarf es eher eines Anleihen-Kaufprogramms. Die EZB signalisiert mit ihrer Maßnahme aber, dass sie sehr weit zu gehen bereit ist. Das ist eher ein symbolischer Schritt. Die realwirtschaftlichen Folgen sind bescheiden."

CARSTEN BRZESKI, ING: "Beginnt jetzt auch EZB-Chef Mario Draghi damit, Geld aus dem Hubschrauber abzuwerfen? Wenn Draghi um 14.30 Uhr mit der Pressekonferenz beginnt, wissen wir mehr. Dann wird sich zeigen, ob die Zinssenkung nur das Vorspiel für weiteres geldpolitisches Feuerwerk sein wird oder er damit den bequemsten Weg wählte, um unkonventionelle Maßnahmen in großem Stil ohne Gesichtsverlust abzuwenden."

EUGEN KELLER, METZLER BANK: "EZB-Chef Mario Draghi hat geliefert, warum auch immer. Für uns ist das nicht gerade eine glückliche Maßnahme. Alle Banken und Vermögensverwalter sind jetzt in noch größerer Not, ihre Liquidität irgendwo zu parken, ohne bestraft zu werden. Auch die Sparer dürften sich verraten fühlen und werden immer mehr ins Risiko gezwungen."

MICHAEL KEMMER, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER BANKENVERBAND BDB: "Die ökonomischen Wirkungen der heutigen Zinssenkung sind vernachlässigbar. Die EZB hat sich im Vorfeld der Zinsentscheidung unnötig unter Zugzwang gesetzt. Die Gefahr, dass der Euroraum in eine gefährliche Deflationsspirale rutscht, ist nach wie vor gering. Auf der anderen Seite wächst mit den Aktivitäten der EZB die Gefahr, dass die in mehreren Euro-Ländern dringend erforderlichen Wirtschaftsreformen weiter verschleppt werden."

Das von Sparern als problematisch empfundene niedrige Zinsniveau für Bankeinlagen wird sich erst bei einer besseren Realwirtschaft lösen lassen, wies der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny, am Donnerstag eine Verantwortung der EZB dafür zurück. Die Euro-Hüter seien nur für die kurzfristigen Zinsen zuständig, meinte Nowotny am Abend im Fernsehen.

Schuld an den niedrigen Sparzinsen, die am Markt und nicht von der EZB gemacht würden, sei die Tatsache, dass die Kreditnachfrage geringer sei und es einen "Sparüberschuss" gebe. Ganz extrem mache sich das etwa bei der Rendite von Staatsanleihen solider Staaten wie Deutschland und Österreich von rund einem Prozent bemerkbar, sagte Nowotny in der ZiB2 des ORF.

Dass der Euro jetzt gegenüber anderen Währungen, etwa dem Dollar, an Wert verliere, sei mit der Leitzins-Senkung von 0,15 auf 0,05 Prozent beabsichtigt gewesen, um den Exporteuren in der Eurozone und damit der Beschäftigung in diesem Bereich zu helfen. Dieser Einfluss auf den Eurokurs werde "dauerhaft" sein, "von da haben wir einen großen Entlastungseffekt auf die Exportwirtschaft", meinte der OeNB-Gouverneur zu den EZB-Beschlüssen von Donnerstag, die die Gemeinschaftswährung umgehend auf unter 1,30 Dollar rasseln ließen. Zum Wall-Street-Schluss stand der Euro bei 1,2939 Dollar. Davor war er zeitweise bis auf 1,2920 Dollar gefallen, den tiefsten Stand seit Juli 2013.

Im Gespräch mit der APA hatte Nowotny davor den Doppelschlag des EZB-Rates aus weiteren Zinssenkungen und einem Startschuss für den Ankauf gebündelter Kredite (ABS) mit dem nur sehr verhaltenen Konjunkturaufschwung und der unter den Erwartungen liegenden Inflation begründet. "Speziell beunruhigt uns, dass wir im letzten Quartal in den drei großen Volkswirtschaften der Eurozone - Deutschland, Frankreich und Italien - eine Stagnation hatten", sagte Nowotny am frühen Abend.

Mit der Verschärfung des "Strafsatzes" für Einlagen von Geschäftsbanken bei der EZB von minus 0,1 auf minus 0,2 Prozent habe man den Anreiz verstärken wollen, damit die Banken die Gelder in die Realwirtschaft vergeben, so der OeNB-Gouverneur.