Brüssel rudert beim Saatgut zurück
Viel Lärm um nichts? Oder wirksamer Protest? Man kann darüber streiten, ob die riesige Aufregung im Vorfeld Wirkung gezeigt hat. Faktum ist: Der am Montag präsentierte Entwurf der EU-Kommission zur neuen Saatgutverordnung ist nicht so „schlimm“ ausgefallen, wie viele befürchtet hatten.
Es habe wohl „Missverständnisse“ gegeben, sagte Gesundheits- und Konsumentenschutz-Kommissar Tonio Borg: „Wir wollen eine Vereinfachung, kein Mehr an Bürokratie.“ Ziel sei es , das Flickwerk aus vielen und teilweise recht alten Gesetzen zusammenzufassen und zu modernisieren.
Dazu gehört auch die Registrierung von Saatgut und die Reglementierung der Weitergabe. Laut Kommission sollen die neuen Vorschriften nur „professionelle Anbieter“ betreffen. Und für die solle das Leben dadurch einfacher werden. Etwa durch die Möglichkeit, Saatgut EU-weit registrieren zu lassen – anstatt dies in jedem Staat einzeln tun zu müssen.
Ausnahmen für Kleine
Für Hobby-Gärtner soll sich nichts ändern: Sie dürfen laut Kommission weiter „jede Art von Pflanzenvermehrungsmaterial“ kaufen und – in kleinen Mengen – anderen weitergeben. Für kleine Betriebe soll es zudem Ausnahmen geben: Unternehmen mit bis zu zehn Angestellten und einem Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro könnten „für Nischenmärkte bestimmtes Material“ (z. B. „alte Sorten“) ohne Registrierung auf den Markt bringen. In einem früheren Entwurf lag die Grenze bei vier Vollzeitbeschäftigten und einem Umsatz von 75.000 Euro. Für Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich eine wichtige Änderung „im Sinne und auf Druck Österreichs“. Auch für die ÖVP-EU-Abgeordnete Elisabeth Köstinger ist das ein Knackpunkt: „Hier gab es die große Befürchtung, dass mit der Verordnung kleinen Unternehmern die Lebensader abgeschnitten wird. Das dürfte mit der neuen Grenze jetzt entschärft sein.“
Keine Entwarnung
Es gibt aber noch Kritik – und einige heikle Punkte. So sei „das Recht der Bauern, ihr Saatgut untereinander zu tauschen, noch nicht gewährleistet“, sagt der Grüne Landwirtschaftssprecher Wolfgang Pirklhuber. Dieser Passus stößt auch auf Kritik von Umweltorganisationen. „Es ist noch nicht klar, ob der Austausch zwischen Hobby-Gärtnern nur als Geschenk erfolgen darf oder ob man auch eine Aufwandsentschädigung bekommen kann“, heißt es von Global 2000 auf Anfrage des KURIER. Dies würde auch gemeinnützige Organisationen wie die Arche Noah betreffen, wo man alte Sorten erwerben kann.
"Der Tausch und Verkauf von alten und seltenen Saatgutsorten an die Endnutzer muss auch weiterhin frei erfolgen können", forderten die ÖVP-Parlamentarier Elisabeth Köstinger und Richard Seeber.
Die SPÖ-Europaabgeordnete Karin Kadenbach betonte, biologische Artenvielfalt sichere Konsumenten eine Vielfalt an Lebensmitteln und schaffe auch die Voraussetzung zum Überleben der Bestäuberinsekten.
Die Abgeordneten betonten, der Gesetzgebungsprozess stehe mit dem Entwurf der EU-Kommission erst am Anfang. Die Verordnung muss vom EU-Ministerrat und dem EU-Parlament gemeinsam beschlossen werden, damit sie in Kraft treten kann.
Der FPÖ-Europaabgeordnete Andreas Mölzer beklagte vor Veröffentlichung des Entwurfs, die internationalen Agrarriesen wären die Profiteure der geplanten Neuregelung. "Sie sollen den Markt völlig beherrschen, und Kleinbauern, wie sie in Österreich häufig anzutreffen sind, sollen in eine Abhängigkeit getrieben werden. Außerdem zeigt die Saatgut-Verordnung, dass sich Brüssel in immer mehr Lebensbereiche der Menschen einmischen will", kritisierte Mölzer.
"Entwurf besser als erwartet"
„Üblicherweise beginnt die Hagelsaison in Österreich Mitte Mai, heuer setzte der schwere Hagel schon am vergangenen Wochenende ein.“ Für Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung, sind die frühen Unwetter ein Alarmsignal für die Folgen des Klimawandels. 1500 Hektar landwirtschaftliche Fläche wurden in Niederösterreich, dem Burgenland und der Steiermark verwüstet, der Schaden beläuft sich auf mehr als 700.000 Euro. Ab Donnerstag sind schon wieder schwere Gewitter prognostiziert.
Die heimische Landwirtschaft war im Vorjahr besonders stark von Wetter-Extremen betroffen. Bei der Hagelversicherung gingen 30.558 Schadensmeldungen ein, 94,5 Millionen Euro wurden an die Bauern ausbezahlt. Das ist fast doppelt so viel wie 2011 und der höchste Stand im 65-jährigen Bestehen des landwirtschaftlichen Versicherers.
Der Alpenraum und damit Österreich zählt weltweit zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen, erklärt Reinhard Mechler, Co-Autor des Sonderberichtes des Weltklimarates IPCC. Die Sommer in Österreich würden immer trockener, die extrem starken Niederschläge häufiger.
80 Prozent des landwirtschaftlichen Ertrags sind vom Wetter abhängig, rechnet Weinberger vor. Um das Risiko breiter zu streuen, hat die Hagelversicherung mittlerweile auch Ereignisse wie Frost, Dürre, Sturm und Überschwemmungen in ihren Versicherungsschutz aufgenommen. Neben etlichen Klimaschutz-Aktivitäten unterstützt Weinberger außerdem die Forschung für Sorten, die resistenter gegen Dürre und Frost sind.