Wirtschaft

Malmström muss sich Mythen und Fakten stellen

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Während vor dem Parlament Umweltaktivisten gegen TTIP, das umstrittene Freihandelsabkommen der EU mit den USA, protestieren, wirbt drinnen im Hohen Haus Handelskommissarin Cecilia Malmström vor den Abgeordneten des Europa-Ausschusses für den Vertrag. "TTIP ist ein guter Deal für die Menschen, für Österreich und für den Handel", sagt die liberale Schwedin selbstbewusst.

Sie weiß, Österreich ist ein hartnäckiger Ort des Widerstandes gegen TTIP. Die Menschen haben Angst, dass Sozial- und Umweltstandards abgebaut und Konzerne Sondergerichte zur Durchsetzung ihrer Interessen bekommen. Bei einer Online-Konsultation der EU-Kommission zum Investorenschutz kamen 22 Prozent der 150.000 Antworten allein aus Österreich – und davon waren 97 Prozent strikt dagegen.

Neuer Vorstoß

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Die große Skepsis vieler Österreicher, die Kritik der SPÖ sowie der Oppositionsparteien zeigt in Brüssel offenbar Wirkung. Vor Nationalratsabgeordneten in Wien und später bei einer Diskussionsveranstaltung mit VP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner sowie TTIP-Kritikern kündigte Malmström am Dienstag überraschend an, bald einen neuen Vorschlag für den Investorenschutz zu präsentieren. "Ganz ohne wird es nicht gehen, weil die Amerikaner darauf bestehen", sagte Malmström aber gleich dazu.

Ob das die Differenzen zwischen SPÖ und ÖVP in Sachen TTIP abbauen wird, ist freilich offen. Faymann lehnt die Sondergerichte und Sonderklauseln für Unternehmen ab und wähnt sich damit auf einer Linie mit Greenpeace und anderen Organisationen. Demokratische Länder mit funktionierenden Rechtssystemen bräuchten solche Gerichte nicht.

Die ÖVP will das Abkommen, Mitterlehner sagte aber beim Ministerrat, dass ihm "etwas an der qualitativen Annäherung mit der SPÖ liegt". Er will "ein Einvernehmen, weil Österreich von einem guten Abkommen profitiert". Hunderttausende Jobs sind schließlich vom Außenhandel abhängig.

Gemischt waren die Reaktionen der Abgeordneten, sie haben das letzte Wort und müssen am Ende das Freihandelsabkommen ratifizieren.

EU-Ausschussvorsitzender, der Zweite Nationalratspräsident Karlheinz Kopf (ÖVP) hebt "das gesteigerte Problembewusstsein in der Kommission" hervor. Investitionsschutz sei ein Instrument der Vergangenheit, das wurde im Gespräch mit Malmström klar, sagt Kopf.

Der Finanzsprecher der SPÖ, Jan Krainer, freut sich, weil die EU-Kommission zugibt, dass "Sonderschiedsgerichte für Klagen von Investoren die Rechtsstandards nicht erfüllen". Ob dieser Einsicht Taten folgen, wisse er nicht. Krainer betont, dass "die SPÖ für ein Freihandelsabkommen mit den USA ist – unter der Bedingung, dass die Frage der Standards gelöst wird und die Sondergerichte abgeschafft werden".

Wenn es uns gelingt, die Österreicher zu überzeugen, dann können wir ganz Europa überzeugen", sagte EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans vor einigen Wochen. Denn: Nirgendwo sonst in der EU ist die Stimmung gegen das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA (TTIP) schlechter. Wen wundert’s? Die reichweitenstärkste Zeitung des Landes wettert im Verein mit den drei dominierenden Handelskonzernen, befeuert von praktisch allen Nichtregierungsorganisationen, dagegen. Dann ist auch noch der Bundeskanzler auf den fahrenden Zug aufgesprungen. In diesem Klima bedarf es schon einiger Tollkühnheit, um als Politiker dafür zu sein. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström kam am Dienstag zu einem Arbeitsbesuch nach Wien. Wirtschaftsminister Mitterlehner stellte sich der öffentlichen Diskussion mit ihr, ein Treffen mit dem Kanzler war nicht geplant.

Jetzt kann man bei TTIP natürlich einiges hinterfragen – die geplanten Schiedsgerichte ebenso wie die Intransparenz der Verhandlungen. Bei beidem ist die Kommission nun zu Kompromissen bereit. Das ist gut. Es wird mehr veröffentlicht, und der Investorenschutz steht zur Debatte. In Österreich liegt das Problem aber tiefer. Da schwingt ein heftiger antiamerikanischer Impuls mit. Dabei wird übersehen, dass auch Amerika vernünftige Konsumentenstandards hat und man sich dort genauso wie in Europa vor sinkender Lebensmittelqualität fürchtet. Wenn man außerdem bedenkt, dass Wachstum in nächster Zeit wohl eher außerhalb Europas stattfinden wird, dann sind engere Handelsbeziehungen mit dem amerikanischen Markt klarerweise von Vorteil. Könnte man das alles nicht langsam auch bei uns mit kühlerem Kopf diskutieren?

Nach TTIP und CETA geistert bereits das nächste Schreckgespenst durch die sozialen Medien. In Online-Kampagnen warnen Aktivisten vor den bösen Folgen durch das geplante Dienstleistungsabkommen TiSA („Trade in Services Agreement“).

Worum geht es? Anders als bei TTIP und CETA sitzen bei TiSA gleich 23 Staaten und Staatenbünde, darunter die EU und die USA, als Verhandler am Tisch. Sie wollen ihre Märkte viel weiter für Dienstleistungen öffnen, als es die Welthandelsorganisation (WTO) bisher vorsieht. Deren GATS-Abkommen („General Agreement on Trade in Services“) stammt aus dem Jahr 1994 – damals war noch keine Rede von jener Art von Mobilfunk- und Onlinediensten oder Finanzdienstleistungen, wie es sie heute gibt.
TiSA soll einen Teil der bestehenden Hürden abbauen. Das würde es etwa einem Anwalt aus Österreich ermöglichen, Klienten in Kanada zu vertreten und dabei dortigen Kollegen gleichgestellt zu sein. Das Grundprinzip: Lässt ein Staat ausländische Anbieter in einem Wirtschaftsbereich zu, darf er diese nicht diskriminieren. Und er muss dieselben Regeln für andere TiSA-Länder garantieren.

„Wirklich gute Freunde“

Die TiSA-Anfänge waren wenig vertrauenserweckend. Der Auftakt fand 2012 unter strikter Geheimhaltung in einem Kreis mit dem skurrilen Namen „Wirklich gute Freunde“ statt. Seit Jänner 2013 ist TiSA kein Geheimnis mehr; die Verhandlungen – die im Februar 2015 weiterlaufen – sind aber nicht öffentlich. Bis Herbst soll dem EU-Parlament ein Bericht vorliegen. Hauptargument der Befürworter: Fiele die Hälfte der Barrieren, würde das der EU einen Anschub von 15,6 Milliarden Euro und den USA von 10,4 Milliarden bringen.

Aktivisten befürchten wie bei TTIP den Ausverkauf des Wassers und anderer Grunddienste in Bereichen wie Bildung oder Gesundheit. Ob ausländische Anbieter dafür zugelassen werden, ist freilich jedem Staat freigestellt. Die Netzgemeinde sorgt sich primär um den Datenschutz.