Wirtschaft

Die Zeit von Plastik ist noch nicht vorbei

Henderson Island liefert Stoff für Tagträume: Weiße Sandstrände, zahlreiche Tierarten und die nächste Zivilisation ist 5000 Kilometer entfernt. Doch die kleine Insel im Südost-Pazifik ist alles andere als ein Paradies: Denn sie hat die höchste Plastikmüll-Dichte der Welt. Pro Quadratmeter fanden Wissenschaftler dort 671 Stück Plastik – insgesamt 17,6 Tonnen. Darunter viel Fischereizubehör wie Leinen, Netze und Bojen, aber auch Zahnbürsten, Strohhalme und Besteck. Bei einigen Teilen konnten die Forscher die Herkunft ausmachen, sie kamen vor allem aus Asien und aus Südamerika.

Bei der Zerstörung des Paradieses steht Österreich zumindest nicht am Pranger. "Der österreichische Beitrag zur Umweltverschmutzung durch Kunststoff ist sicherlich gering", bestätigt auch Brigitte Karigl vom Umweltbundesamt. In anderen Ländern würde der Müll irgendwo hingekippt und mit dem nächsten Regen in die Flüsse und ins Meer gespült. Und auch die Noten für die Abfallwirtschaft fallen für Österreich gut aus. "Wir sind erwiesenermaßen ein Best Performer in Europa", sagt Christian Holzer, Leiter der Sektion Abfallwirtschaft, Chemiepolitik und Umwelttechnologie im Umweltministerium. Doch gebe es immer Potenzial zur Verbesserung.

Erfolgsstory Plastik

59,75 Millionen Tonnen Müll fielen in Österreich laut dem Bundes-Abfallwirtschaftsplan 2017, der noch in Begutachtung ist, 2015 an. Mehr als die Hälfte davon waren Aushubmaterialien, sieben Prozent stammen aus privaten Haushalten. Noch immer sind das vier Millionen Tonnen Müll. Laut Umweltministerium sind davon 300.000 Tonnen Verpackungsmaterial aus Kunststoff.

Die größte Stärke von Kunststoff: Vielfältigkeit. Zwar werden 40 Prozent der Rohkunststoffe in Europa als Verpackungsmaterial verarbeitet, doch dient es auch als Baumaterial, als Faser in der Kleidung, ist in Kosmetikprodukten, in Herzklappen und in Elektrogeräten. Christian Holzer: "Ohne Kunststoff würde eine moderne Gesellschaft nicht auskommen. Wir müssten uns sehr viel überlegen, wenn wir darauf verzichten müssten."

340 Milliarden Euro

Wieso nicht darauf verzichtet wird oder werden kann, hat einen guten Grund: Plastik ist Geld. Es steht eine riesige und gut eingespielte Industrie dahinter. In Österreich zählt alleine die Branche der Kunststoffverarbeiter laut Bank-Austria-Bericht von März 600 Unternehmen, 29.300 Beschäftigte und macht 6,4 Milliarden Euro Umsatz.

Auf europäischer Ebene sind die Zahlen noch eindrucksvoller: Im Jahr 2015 zählte die gesamte Plastikindustrie in Europa 60.000 Firmen, setzte 340 Milliarden Euro um und schaffte 1,5 Millionen Arbeitsplätze.

Willi Haas vom Institut für Soziale Ökologie der Alpe-Adria Universität in Klagenfurt sagt: "Es wäre ein großer Umorientierungsprozess, in den man investieren muss und da gibt es immer Unsicherheiten. Wenn man etwas so Großes verändern will, gibt es immer Gewinner und Verlierer. Und so stellt sich die Branche möglichst positiv dar, sagt, Kunststoff ist nicht so heikel, damit er auch weiterhin als Material der Zukunft gesehen wird." Insgesamt wäre der Ausstieg aus fossilen Materialien jedoch ein wichtiger Schritt.

In Österreich werden von den 300.000 Tonnen Kunststoffverpackungen 160.000 Tonnen getrennt gesammelt. Davon werden 60.000 Tonnen rezykliert. Der Rest wird thermisch verwertet, also verbrannt. Wieso nicht mehr rezykliert wird, erklärt Karigl: "Das Problem beim Recycling von Kunststoff sind die Zusatz- und Farbstoffe, die die Eigenschaften dem Verwendungszweck anpassen. Die Herausforderung ist, das wieder so zu trennen, dass es erneut verarbeitet werden kann." Das ist aufwendig und damit teuer.

Kunststoff aus fossilen Rohstoffen komplett abzuschaffen ist in absehbarer Zeit nicht denkbar. Die Alternative: Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen. Laut Christian Holzer gibt es bereits einige Anbieter, aber nur die wenigsten würden Produkte aus reinen biogenen Materialien anbieten. "Das ist einerseits eine Frage der Technik, andererseits ein Problem der geringen Nachfrage", sagt Christian Holzer. Womit sich die Katze in den Schwanz beißt.

Sie machen orange oder dunkelblaue Badeanzüge, genauso wie Bikinis mit Bananen oder mit der New Yorker Skyline. Selten sind recycelte Kleidungsstücke so frisch und modern, wie die Bademode aus dem Haus Margaret and Hermione. Das Label, das für ihre Kreationen Garn aus alten Fischernetzen verwendet, ist noch relativ jung: Gegründet wurde es 2015 von den beiden Angewandten-Absolventinnen Barbara Gölles and Andrea Kollar. Ihr Ansatz: „Die Bekleidungsindustrie ist neben der Ölindustrie jene, die am meisten Einfluss auf unsere Umwelt hat. Dann kommen noch die schlechten Produktionsbedingungen in Asien hinzu. Für uns war von Anfang an klar: Wenn wir Kleidung machen, dann nur nachhaltig“, sagt Kollar. Doch den richtigen Stoff für ihre Kreationen zu finden, war gar nicht so einfach.

Fündig wurden die beiden jungen Frauen in Italien bei der Firma Econyl. Diese Firma säubert die Meere von alten Fischernetzen und verarbeitet sie zu Polyamid-Garn, aus dem dann der hochwertige Stoff hergestellt wird. Das macht eine zweite Firma – deren Namen die Gründerinnen aus Wettbewerbsgründen nicht nennen wollten. „Es war am Anfang wahnsinnig schwierig, dass sie mit uns zusammenarbeiten, weil wir nur kleine Stoffmengen brauchen“, sagt Kollar.

Digitaldruck

Der Weg bis zum fertigen Bikini: Das Design stammt von Barbara Gölles und wird in Deutschland per Digitaldruck auf den Stoff gedruckt. Produziert wird dann in Kroatien. Kollar sagt, dass keine Woche vergeht, in der sie nicht von einem Vertreter einer Produktionsfirma in China angerufen werden. Doch in Asien zu produzieren ist für Margaret und Hermione keine Option – auch wenn es einen Bruchteil kosten würde. „Das würde nicht mit unserer Philosophie zusammenpassen. Man muss langfristig denken. Fast Fashion wird sich nie mit der Umwelt vertragen.“

300 Badeanzüge und Bikinis verkauft das Label jährlich. Einerseits, weil sie ewig halten sollen, andererseits weil sie nicht ganz günstig sind: Ein einfärbiger Badeanzug kostet 139 Euro.

Dass auch der Lebensmittelhandel ohne Verpackungsmaterialien klappen kann, beweist Lunzers Maß-Greißlerei im 2. Bezirk. Hier kann man mit eigenem Geschirr oder Stoffsackerl einkaufen, um Verpackungen zu vermeiden und genau die Menge zu erwerben, die man auch möchte und verwenden kann. Gegründet wurde der Bio-Laden Anfang 2014 von Andrea Lunzer. Ihre Bilanz nach dreieinhalb Jahren: „Ich bin extrem positiv überrascht, wie stark der Anteil der Kunden gewachsen ist, die mit ihren eigenen Gefäßen hierher einkaufen kommen.“ Lunzer hat einen Nerv getroffen.

Plastikverpackungen haben die Burgenländerin, die auf einem Biobauernhof aufgewachsen ist, schon immer gestört: „Wenn man die Verpackung einmal aufgerissen hat, ist sie total unbrauchbar. Aber das ist das Konzept. Die Verpackung ist ja auch ein unglaublich guter Werbeträger, das darf man nicht vergessen.“

Maß-Greislerei

In der Maß-Greißlerei gibt es keine Marken, hingegen zum Beispiel nur eine Sorte Haferflocken oder Zimt und die Menge kann man aus einem Glas abfüllen. „Wenn die Kunden einmal gewechselt haben, gibt es kein zurück mehr“, sagt Andrea Lunzer. Fleisch ohne PlastikProdukte, die ohne Plastikverpackung schwierig zu verkaufen sind, sind laut Lunzer zum Beispiel Tofu und Frischfleisch. Plastikverpackungen würden ja auch die Haltbarkeit verlängern. Gerade bei Obst und Gemüse kann darauf durch die richtige Lagerung aber gut verzichtet werden. Welches Produkt, wonach verlangt, erklären Lunzer und ihre Mitarbeiter nur zu gerne im Geschäft und auch im angrenzenden Café.

Andrea Lunzer achtet auch darauf, dass die Produkte so ressourcenschonend wie möglich zu ihr geliefert werden. Manche kommen auch in Plastikpaletten an. Lunzer: „Es geht bei Plastik auch darum, wie oft ich es verwende. Mehrweg ist der Schlüssel zur Reduzierung des Plastikmülls.“

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