Wirtschaft

Die wunderbare Welt des Yanis Varoufakis

Die griechische Regierung dürfte am Donnerstag einen Antrag auf Verlängerung des auslaufenden Hilfsprogrammes stellen – zumindest, was die Kredite betrifft. Ob sie sich auch an die alten Auflagen halten will, ist offen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Doch wie tickt Griechenlands Finanzminister, Yanis Varoufakis? Wer die Welt des linken Wirtschaftsprofessors verstehen will, findet reichlich Material vor. Aus seinen Blogs, Interviews, Essays ergibt sich ein stimmiges Bild – das aber 180 Grad konträr zu jener Politik ist, die Europa mittlerweile fünf Jahre lang verfolgt hat.

Irrtum 1: Es hängt an Begriffen Frankreichs Finanzminister Michel Sapin glaubt, ein Kompromiss ist nur eine "Frage der Wortwahl". Wird Syriza also der Verlängerung des Troika-Hilfsprogramms zustimmen, wenn man das eine "Überbrückung durch einen Vertrag mit den Institutionen" nennt? Diese Erwartung ist naiv. Varoufakis hat oftmals klargemacht, dass die Hilfskredite für ihn keine Lösung, sondern Teil des Problems sind. Aus seiner Sicht müssen nicht die Griechen gerettet werden, sondern die Eurozone – vor ihrer fehlgeleiteten Krisenpolitik.

Irrtum 2: Varoufakis blufft Der Professor mag ein Experte für Spieltheorie sein, er pokert aber nicht. Varoufakis meint es ernst. Die Eurozone verglich er mit den USA der 1970er. Man hat erkannt, dass der Krieg in Vietnam nicht zu gewinnen ist, ist aber unfähig, den Kurs zu ändern. Dazu brauche es jemanden wie Syriza, der Nein zur Troika sage und das "Zugsunglück in Zeitlupe" verhindere, sagte er im Juni 2012.

Irrtum 3: Athen wird keine Pleite riskieren Sicher? Anders als praktisch alle Experten ist Varoufakis der Ansicht, Athen könne sehr wohl pleitegehen und in der Währungsunion bleiben, wenn die Europäische Zentralbank mitspielt. Und die werde nicht den Kollaps des Euro riskieren wollen, schrieb er vor drei Jahren.

Irrtum 4: Die Märkte zeigen den Griechen die Grenzen auf Die Reaktion der Finanzwelt ist für Varoufakis irrelevant. Die Börsenkurse in Athen stürzen ab? Entscheidend seien nicht "Blasen, sondern fundamental richtige Preise". Die Banken bluten aus? "Das Geld der großen Investoren hat ohnehin schon im Oktober das Schiff verlassen." Die Zinsen für Staatspapiere schießen hoch? "Umso besser, dann sind Lissabon, Madrid und Rom gezwungen, die Front der Peripherieländer kreativ zu unterstützen." So Varoufakis kurz vor der Wahl im Dezember 2014.

Irrtum 5: Athens Verbündete Die Hoffnung, nach dem Wahlsieg Verbündete in Portugal, Italien und Frankreich zu finden, ist nicht aufgegangen: Die griechische Regierung ist isoliert. Im Rest der Eurozone wird das Ende mit Schrecken – ein "Grexit" – inzwischen weniger gefürchtet als der Schrecken ohne Ende, also immer neue Hilfspakete.

Irrtum 6: Griechenland benötigt keine neuen Kredite Es stimmt: Klammert man die Rückzahlung der Schulden aus, so hat der griechische Staat zuletzt mehr Geld eingenommen als ausgegeben. Könnte Athen also den Alleingang wagen? Eine kühne These. Der Budgetüberschuss war eine Momentaufnahme und ist durch die jüngsten Turbulenzen überholt. Und wie Athen den Bankrott sämtlicher Banken bewältigen würde, hat noch niemand beantwortet.

Auf völliges Unverständnis stößt Griechenlands Haltung bei RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek. "Syriza macht die bisherigen Reformen zunichte." Es sei eine Zumutung und Frechheit, ohne Konzepte um Geld zu bitten und dann noch zu verlangen "mischt euch nicht ein, was wir damit machen". Dies sei auch ungerecht gegenüber jenen Ländern wie Spanien, die die Regeln einhalten und ihre Sparvorlagen erfüllen.

Das Problem sei, dass Athen die Auflagen bisher nur ungenügend umgesetzt habe. So sei bei Pensions- und Gesundheitsreformen noch nichts passiert, die Privatisierungen hätten erst fünf von ursprünglich 50 Milliarden Euro erzielt und es gebe noch immer 120.000 Beamte zu viel.

Die Probleme des Landes liegen laut dem Experten weit in der Vergangenheit. Der Industrieanteil betrage unter zehn Prozent, die Löhne seien nominell um neun Prozent im Jahr gestiegen. "Es gab die höchsten Gehälter bei gleichzeitig niedrigster Produktivität", sagt Brezinschek. Ein Zu-Tode-Sparen erkennt er nicht. "Die Griechen liegen jetzt auf dem Niveau von 2005 und verdienen mit 72 Prozent des EU-Schnitts ungefähr so viel wie die Portugiesen."

Generell sieht Brezinschek in der Haltung der Griechen eine Umkehr der "Täter-Opfer-Rolle", die auch Österreichs Kanzler Faymann beeindruckt habe. Ironisch schlägt er daher vor, auf die Steuerreform zu verzichten, indem Österreich seine direkten Forderungen von rund 5,8 Mrd. Euro abschreibt.

Lob gibt es hingegen für die Deutschen. "Sie sind die einzigen Vernünftigen." Einen Grexit hält er zu 30 Prozent für möglich. "Besser ein Ende mit Schrecken", ist er dem Szenario nicht abgeneigt, sollten die Griechen weiter stur bleiben.

Ähnlich wie Brezinschek schätzt Ulrich Kater, Chefökonom der deutschen Dekabank (Wertpapierhaus der Sparkassen) die Chance für einen Grexit mit 25 bis 30 Prozent ein. Die unmittelbaren Folgen könnte Euroland dank neuer Institutionen jetzt besser in den Griff bekommen als vor vier Jahren. Mittelfristig wäre ein Grexit für den Euro aber negativ. An den Kapitalmärkten wäre dann klar: "Austritte sind möglich." Das schwäche den Euro.