Der Pleitegeier findet weniger Futter in Europa
Von Kid Möchel
Erstmals seit der Finanzkrise sind die Firmenpleiten in Europa deutlich zurückgegangen. In der Eurozone sind die Insolvenzen im Vorjahr um 4,6 Prozent, in Westeuropa um 5,4 Prozent gesunken. "Das Insolvenzgeschehen entspannte sich auf breiter Front", sagt Helmut Rödl, Universitätsprofessor und Aufsichtsratschef des deutschen Wirtschaftsinformationsdienstleisters Creditreform. "Nach langer Schwächephase scheint Europa endlich wieder festeren Boden unter die Füße zu bekommen." Nachsatz: "Für heuer rechne ich mit einem Rückgang der Insolvenzen von drei bis fünf Prozent."
Nur zwei Länder tanzten aus der Reihe. In Norwegen nahmen die Pleiten leicht zu, Italien verzeichnete europaweit den größten Zuwachs. "Norwegen geht es aufgrund des niedrigen Erdölpreises und des ungünstigen Kronen-Wechselkurses nicht mehr so gut", weiß Gerhard Weinhofer von Creditreform Österreich. Und Italien sei 2014 in die Rezession zurückgefallen. Die notwendigen Investitionen seien ausgeblieben, der Pleitenanstieg die logische Konsequenz.
Frankreich angezählt
Ein Drittel aller Pleiten in Europa entfällt auf Frankreich. "Frankreich schlitterte in den vergangenen Jahren immer knapp an der Rezession vorbei", sagt der gebürtige Klagenfurter Rödl, der an der Uni Innsbruck Wirtschaftstheorie lehrt. Das Wachstum sei mit 0,5 Prozent zu gering, die Arbeitslosenrate betrage mehr als zehn Prozent.
Die Creditreform-Studie hat aber einen kleinen Haken. In einigen Ländern, darunter in Großbritannien, werden Pleiten von Selbstständigen bzw. Ein-Personen-Unternehmen gar nicht erfasst. "Ein-Mann-Firmen werden oft aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten, aber ohne reguläres Insolvenzverfahren geschlossen", weiß Rödl. So hat sich die Zahl der Unternehmen vor allem in den Mittelmeerländern durch "stille Schließungen" verringert.
Lage in Österreich
Österreich liegt im europäischen Mittelfeld. Die Pleiten sind im Vorjahr um ein halbes Prozent auf 5626 Fälle gesunken. "Die konjunkturellen Impulse waren zu schwach, um einen nennenswerten positiven Einfluss auf die Entwicklung zu ha-ben", sagt der Wirtschaftsprofessor. Im ersten Quartal 2015 wurden 1338 Firmeninsolvenzen gezählt. Das ist ein Minus von elf Prozent. Der Rückgang wird sich erfahrungsgemäß bis zum Jahresende aber noch abflachen. Interessant ist auch, dass vielen angeschlagenen Firmen der Weg zum Konkursgericht erspart bleibt. "Pro Quartal versuchen etwa 5200 österreichische Firmen eine außergerichtliche Sanierung mit ihren Banken zu erreichen", sagt Weinhofer. "Die Verfahren gehen durchwegs positiv aus."
Russland und Ukraine
Während die Wirtschaft in der Eurozone heuer um 1,3 Prozent wachsen wird, wie aus einer Prognose des Kreditversicherers Coface hervorgeht, wird in Russland die Wirtschaft um drei Prozent schrumpfen. In Russland stiegen die Pleiten um zehn Prozent, in der Ukraine haben sie sich sogar verdoppelt. "In Deutschland und vor allem in Österreich wirken sich das Russland-Embargo und die Ukraine-Krise auf die Volkswirtschaft aus", sagt Experte Rödl. "Viele österreichische Unternehmen sind von dieser geopolitischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine betroffen." Nachsatz: "Das Embargo ist eine Zwickmühle, weil es zu wirtschaftlichen Verwerfungen führt."
Die Lage in CEE ist durchmischt
In Tschechien sind die Pleiten um 40,8 Prozent gesunken, in Rumänien um ein Viertel. In beiden Ländern stieg wieder die Wirtschaftsleistung. Tschechien verzeichnet Rekordexporte, in Rumänien stützen Konsum und Export die Wirtschaft. Polen weist ein Pleiten-Minus von 6,7 Prozent aus. Die Ukraine-Krise bringt der Handel Polens aber stark unter Druck. Slowenien und Ungarn sind Ausreißer. Slowenien (+38,4%) leidet unter einer Kreditklemme, in Ungarn (+30,5%) ist der Konsum schwach und der Staatseinfluss zu stark.