Das große Fressen hat begonnen
Von Christine Klafl
Fressen oder gefressen werden. In den Vorstandsetagen rund um den Globus macht sich eine eigenartige Stimmung breit. "In den Management-Teams wird jetzt überlegt, ob sie zu den Käufern oder zu den Gekauften gehören werden. Das erhöht den Druck auf jeden Einzelnen zu überlegen, wo Kaufobjekte sein könnten", beschreibt Michael Shaoul, Anlagestratege von Marketfield Asset Management. Damit sinke die Scheu vor wirklich großen Deals. Jetzt schneller als die Hauptkonkurrenz sein, lautet die Devise.
Hohes Tempo
In den Konzernen grassiert das Fusionsfieber. Diese Woche haben die heurigen Deals einen Gesamtwert von 1000 Milliarden Dollar erreicht. Diese Marke war im Vorjahr erst 54 Tage später erreicht worden. Überhaupt ist das Übernahmetempo derzeit so hoch wie schon seit sieben Jahren nicht mehr. Geht es so rasch weiter wie im April, werden die Fusionen und Übernahmen (Mergers & Akquisitions, M&A) heuer ein Gesamtvolumen von 4000 Milliarden erreichen. Das wäre nach dem Jahr 2007 das zweithöchste Wert (siehe Grafik). Und der Riesenfisch, den Viagra-Hersteller Pfizer in Großbritannien schlucken will, ist da noch gar nicht enthalten (siehe Bericht rechts).
Dass große US-Konzerne in Europa auf Beutefang gehen, ist angesichts des vergleichsweise hohen Euro-Kurses eigentlich verwunderlich. Dafür hat Chefanalystin Rosen-Philipp zwei Erklärungen: Zum einen komme Europa gerade aus der Krise und biete zu vielversprechendere Aufschwungsfantasien als Amerika, wo die Konjunktur schon länger ganz gut läuft. Und zum anderen werden Übernahmen in Europa als sicherer Einstieg Richtung Osteuropa betrachtet, als etwa direkt nach Russland zu gehen. Auch dass die Aktienkurse in den USA und an vielen europäischen Börsen seit dem Krisentief ordentlich zugelegt haben und begehrte Objekte optisch recht teuer sind, sei kein Grund, dass die Übernahmewelle ein abruptes Ende findet, meint Rosen-Philipp. Denn die Unternehmensbewertungen "sind im historischen Vergleich noch nicht am Anschlag".
Rüstung
Auslaufende Patente, die große Konkurrenz durch Nachahmer-Produkte (Generika) sowie der Kostensenkungsdruck in den öffentlichen Budgets sind die Motivationen, warum gerade im Pharma-Bereich die Fusionswoge derzeit gar so hoch schlägt. "Die nächste Welle wird bei den Rüstungskonzernen kommen", sagt Rosen-Philipp voraus. Der Kostendruck der öffentlichen Hand werde auch dort eine massive Neuorientierung auslösen.
Und noch etwas hat sich geändert, nämlich die Richtung, in der sich der Kurs des Käufers bewegt. In den letzten 20 Jahren ist der Aktienkurs des Übernehmers nach Bekanntgabe des Deals mehrheitlich gefallen. Dieser Trend hat sich umgedreht: Heuer legte der Kurs des Käufers in den ersten 24 Stunden nach Bekanntgabe der Übernahme um durchschnittlich 4,4 Prozent zu. Das ist der beste Wert seit Beginn der Datenerhebung 1995.