Chocolatier Zotter: "Tun gern Dinge, die sich nicht gehören"
Von Simone Hoepke
Die Schokoladenfabrik der Familie Zotter ist eines der meistbesuchten Ausflugsziele in der Steiermark. Jährlich kommen mehr als eine Viertel Million Gäste, um zu sehen, wie ausgefallene Sorten produziert werden – und um sie zu verkosten. Nebst der gläsernen Produktion hat Zotter einen Tiergarten eröffnet und einen Friedhof gebaut, auf dem er seinen gescheiterten Ideen Grabsteine gesetzt hat.
Nach außen hin ist Josef Zotter das Gesicht der Firma, hinter den Kulissen arbeiten aber auch seine Frau Ulrike und die Kinder Julia und Michael im Unternehmen. Julia hat zuletzt das Geschäft in Schanghai aufgebaut und ist 2017 wieder zurück nach Riegersburg gekommen. Sie sprudelt genauso vor Ideen wie ihr Vater. Wenn die beiden am Tisch sitzen, haben es andere nicht immer leicht, zu Wort zu kommen.
KURIER: Herr Zotter, Sie kommen gerade aus dem Urlaub. Können Sie überhaupt einmal abschalten?
Josef Zotter: Zwei Wochen Sardinien, jeden Tag super gegessen und zum Strand gegangen. Es war nicht auszuhalten (lacht).
Julia Zotter: Ich war überrascht, dass er mir nicht jeden Tag zehn eMails geschickt hat. Es muss wirklich ein schöner Urlaub gewesen sein.
Josef: Ich bin ja normal ein Mensch ohne Handy, weil ich es nicht aushalte, wenn jedes Gespräch von einem Anruf unterbrochen wird. Nur im Urlaub habe ich ein Handy und brauch’ dann immer drei Tage, bis ich mich damit wieder auskenne. Ich habe von den Jungen, die immer am Handy hängen, gelernt, dass ich genau das nicht will.
Julia: Bei mir ist das etwas anders. Ich kommuniziere mit unseren 15 Mitarbeitern in Schanghai nur über Sprachnachrichten, die wir via WeChat schicken. Das ist praktisch. Ich kann zwar fließend chinesisch sprechen, kann es aber nicht lesen und schreiben (sie spielt eine chinesische Sprachnachricht vor).
War immer klar, dass Sie im Familienbetrieb arbeiten werden?
Julia: Ich bin mit dem Unternehmen aufgewachsen. Mein Kinderzimmer war früher die Umkleide für die Mitarbeiter.
Josef: Das war vor 30 Jahren. Wir haben in einer 40-Quadratmeter-Wohnung gewohnt, in die Kinderzimmer, Elternzimmer, Küche, Dusche, Büro, Lager und alles gepasst haben. Die Kassa hatten wir unter dem Bett stehen und eine kleine Backstube unter der Wohnung. Dort haben wir die handgeschöpfte Schokolade erfunden. Bald waren wir pleite.
Was haben Sie falsch gemacht?
Zu schnell expandiert.
Jetzt haben Sie 200 Mitarbeiter, ein Schokomuseum, einen Tiergarten, eine Außenstelle in Schanghai. Was kommt als nächstes? Josef: Aus meiner Sicht haben wir eine Dimension erreicht, die genau passt. In dieser Größe hat man noch einen Überblick über das Unternehmen. Wir investieren jedes Jahr ein bis zwei Millionen aus dem Cashflow ins Unternehmen. Ich würde mir wünschen, dass das so bleibt. Aber das entscheiden bald die Jungen.
Julia: Ich will keine Struktur, die wir als Familie nicht mehr kontrollieren können.
Josef: Das ist bei uns und unseren Kindern nach dem Konkurs im Jahr 1996 picken geblieben. Wir sind vorsichtiger geworden.
Jetzt sind bereits vier Familienmitglieder im Betrieb (auch Mutter Ulrike und Julias Bruder Michael). Worüber wird am meisten gestritten?
Julia: Beim Diskutieren gibt es zwei Lager.
Josef: Julia und ich sind das Ideenlager. Meine Frau und Michael sind wirtschaftlich, organisiert, die, die einen Plan haben. Sie sorgen für unser Überleben. Was ich schon sehe, ist, dass man mit dem Alter weniger kreativ ist.
Was heißt das in Ihrem Fall?
Josef: Der kreative Teil wandert zu Julia. Klingt leicht, ist es nicht. Weil ich die Erfahrung habe und die Kinder vor falschen Entscheidungen schützen möchte. Meine Belehrungen interessieren sie aber nicht. Ich sag’, das geht nicht, sie probieren es trotzdem. Das ist aber genau das Schöne an der Unerfahrenheit. Jetzt rede ich schon wie mein eigener Vater, als er alt war. Ich habe immer gesagt, so werde ich nie werden. Jetzt bin ich genau so. Ich seh’s in den Blicken der Kinder.
Die ganz normalen Generationenfragen ... Josef: Ein Familienunternehmen ist wie eine Rezeptur. Man muss sie kennen und wissen, wer was kann und machen soll. Ich muss halt auch schauen, wo meine Rolle als Fast-Pensionär ist. So wie es aussieht, werden wir die nächsten Jahre zu viert im Unternehmen sein, dann werden meine Frau und ich langsam aus der Firma rauswachsen.
Julia: Wir werden euch schon nicht auf einer einsamen Insel aussetzen.
Josef: Danke.
Und Sie wollten wirklich nie woanders arbeiten?
Julia: Ich hatte nie den Druck, in den Betrieb zu kommen, hab’ mir viel anschauen können. Ich war in China, ein Jahr Frankreich, drei Monate in Brasilien, war in Peru. Das sind Privilegien. Ich werde nie die Angst haben, etwas versäumt zu haben.
Zotter hat jetzt einen Roboter in der Produktion. Wie passt das zu einer Schoko-Manufaktur?
Josef: Julia und ich tun gern Dinge, die sich nicht gehören. Derzeit tun alle so, als würden uns die Roboter die Arbeit wegnehmen. So ein Blödsinn. Unserer hat sich übrigens gestern den Finger gebrochen, weil er gegen die Kühlschranktür gefahren ist. Natürlich genau in dem Moment, in dem ihm 15 internationale bei der Arbeit zugeschaut haben.
Das heißt, der Schoko-Roboter ist noch nicht ganz ausgereift?
Josef: Er ist ein Prototyp. Für die Maschinenhersteller ist Zotter mit seiner Größe ja eine Puppenstube. Wir testen, experimentieren. Das machen die Industrieunternehmen nicht.
Nur aus Spaß werden Sie das nicht machen. Was ist die Fantasie dahinter?
Josef: Individualisierung. Jedem ein passendes Rezept. Hat jemand einen Magnesiummangel, liefern wir Schoko mit Magnesium. Individualisierung wird ein Riesenthema werden.
Julia: In China ist es das schon viel mehr als bei uns.
Welche Schokoladen verkaufen Sie in Schanghai?
Julia: Wir waren dort der erste Lebensmittelproduzent mit einer Produktion, bei der man zuschauen kann. Während bei uns jeder eine ungefähre Vorstellung hat, was in einer Milchschokolade steckt, muss man das in China vielen noch erklären.
Wie funktioniert der Markt?
Julia: In Schanghai bestellt du online am Vormittag und kannst dir relativ sicher sein, dass es am Nachmittag zugestellt wird. Wir verkaufen Schoko über einen Teleshopping-Sender. Diese sind dort in allen Altersgruppen beliebt.
Welche Sorte?
Julia: Anfangs wollte der Sender eine mit 100 Prozent Kakao-Anteil. Wir haben gedacht, das wird keiner wollen. Dann war das Kontingent von 6000 Stück binnen einer halben Stunde ausverkauft. Unser Bestseller in China war Schokolade mit Fisch.
Die isst in Österreich niemand freiwillig, oder?
Julia: Die Chinesen, die noch keine Erfahrung mit Schokolade haben, glauben, das ist eine normale Kreation und finden sie super. Da sieht man die Schranken, die der Mensch im Kopf hat.
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Vater und Tochter Zotter
Josef Zotter
Der 57-jährige Steirer ist gelernter Koch, Kellner und Konditormeister, war längere Zeit Koch und Küchenchef in verschiedenen Hotels der Luxusklasse, unter anderem auch in New York. Josef Zotter ist verheiratet mit Ulrike Zotter und Vater von drei Kindern. Die jüngste Tochter, Valerie (geboren 2005), ist noch nicht im Unternehmen tätig. Laut Homepage ist sie aber „ehrenamtliche Schokotesterin“ im Betrieb.
Julia Zotter
Julia Zotter (geboren 1987) leitete von Mai 2014 bis August 2017 das Schoko-Laden-Theater in Schanghai/China und kam im Herbst 2017 wieder nach Riegersburg zurück, um in der Produktentwicklung mitzuarbeiten. Sie verbrachte während ihrer Schulzeit ein Jahr in China, teilte sich dort mit der Tochter der Gastfamilie ein Zimmer. Da in der Familie niemand Englisch oder Deutsch sprach, lernte sie rasch Chinesisch. Heute spricht sie laut eigenen Angaben zudem fließend Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch. Studiert hat sie Lebensmittel- und Biotechnologie an der Boku in Wien. 2013 schloss sie die Cordon-Bleu-Akademie in Paris mit dem Grand-Diplome in Pâtisserie und Cuisine ab.