Wirtschaft

Chinas langer Weg zur modernen Wirtschaft

Die jüngsten Abwertungen des Yuan bedeuten mehr Marktwirtschaft in China, sagt Horst Löchel. Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance & Management und ein ausgewiesener China-Experte und Schanghai-Kenner: Er ist Gastprofessor an der China Europe International Business School (CEIBS) in Schanghai. Dort hat er zudem von 2003 bis 2009 das Shanghai International Banking and Finance Institute aufgebaut.

KURIER: Was bedeutet Chinas Währungsabwertung: Hat die Führung noch alles im Griff?

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Horst Löchel: Da gibt es eine gute und eine weniger gute Nachricht. Die gute: Diese Abwertung war nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, ein Staatseingriff im Sinne von mehr Kommando-Wirtschaft, sondern bedeutet tatsächlich mehr Marktwirtschaft. Es gab offenbar längere Zeit einen Abwertungsdruck für den Yuan. Den hatte Chinas Zentralbank aber verhindert: Sie wollte sie sich nicht den US-Vorwürfen aussetzen, dass sie die Währung künstlich abwertet, um sich Vorteile zu verschaffen. Ganz besonders nicht jetzt, wo China über die Aufnahme des Yuan in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds (IWF) verhandelt. Jetzt hat man aber offenbar in enger Absprache mit dem IWF gesagt, dass man den Marktkräften mehr Raum einräumen will. Konkret heißt dies, dass sich die chinesische Zentralbank von nun an am Vortageskurs bei der Festsetzung des Wechselkurses orientiert, was vorher nicht der Fall war.

Und die schlechte Nachricht?

Der Abwertungsdruck auf den Yuan heißt, dass die Marktteilnehmer die Wirtschaftsaussichten mäßiger als früher einschätzen. Seit der Teilfreigabe der chinesischen Währung im Juni 2005 ging es mit dem Wechselkurs praktisch nur aufwärts, um etwa 30 Prozent. Für alle, die Geschäfte in und mit China machen, ist das gar nicht gut. Die Reaktion sehen wir an den Börsen.

Dort zeigt sich der Schock, dass diese Abwertung fundamental gerechtfertigt ist?

Genau. Erst der Börsecrash auf Raten. Dann die schwächelnden Wachstumsraten. Und jetzt wetten die Märkte auf eine Yuan-Abwertung: Das ist ein untrügliches Zeichen, dass es mit der Wirtschaft nicht auf-, sondern abwärts geht. Das schreckt die internationale China-Community auf.

Was heißt das für den großen Umbau der chinesischen Wirtschaft – weg von Exporten, hin zu Konsum? Wird da jetzt wieder zurückgerudert?

Klar ist: Es dauert länger. Meine Meinung war ohnehin, dass das ein 20-Jahres-Projekt ist. Eine Wirtschaft kann man nicht mit einem Schlag herumwerfen: "Konsumiert jetzt mehr, wir exportieren und investieren dafür weniger." Schnelle Erfolge gibt es da nicht, man die Menschen nicht zum Konsum zwingen. Zudem erlebt Chinas Westen erst jetzt die industrielle Revolution: Die Leute kommen aus der Landwirtschaft in die Industrie. Sie brauchen einfache und billige Arbeitsplätze in der Exportindustrie, weil sie nicht gut genug ausgebildet sind.

Also setzt China doch nicht auf Hightech?

Doch. Im Bericht "Made in China 2025" wird ganz klar auf Innovation gesetzt. Das ist gewissermaßen eine Anleihe auf "Made in Germany" und steht für Qualität, Innovation, Produktivität, neue Technologien. Es gibt ja auch große industrielle Erfolge, nehmen sie Jack Ma, den Gründer von Alibaba, oder das Smartphone Xiaomi. Eine ganze Volkswirtschaft so umzustellen ist aber ein Jahrzehnteprojekt. Das hat offenbar die chinesische Führung selbst unterschätzt.

Was macht Ihnen mehr Sorge: Der Einbruch der Wirtschaft oder dass Peking die Steuerung doch nicht so gut im Griff hat?

Wir haben die wirklich heftigen staatlichen Eingriffe in den Aktienmarkt gesehen. Ich hoffe, dass China angesichts der sich abzeichnenden Schwierigkeiten den langen Marsch in die Marktwirtschaft nicht abbricht. Und zwar nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern im Interesse Chinas: Es gibt keine moderne Wirtschaft ohne richtig funktionierende Märkte – nur Wettbewerb kreiert Innovation, sie lässt sich nicht planen, da braucht es Freiheit und Raum für Entdeckungen. Im Herbst, beim nächsten Wirtschaftsplenum der Partei, wird man sehen, ob der 2013 eingeschlagene Kurs der Liberalisierung bestätigt wird.

Warum hat China nach dem Börseneinbruch so heftig eingegriffen?

Das war eine völlig übertriebene Reaktion. Normalerweise neigen die Behörden dazu nicht, und schon gar nicht die Regierung. Das könnte darauf hinweisen, dass die Schwierigkeiten doch größer sind als gedacht und man Angst hat, dass der Aktienmarkt die Schwierigkeiten in der Gesamtwirtschaft noch vergrößert. Wenn die Stabilität und das allgemeine Wohlbefinden abnehmen, wäre das für die Legitimation der Regierung und der Partei schlecht. Vielleicht hat man auch hat die Kräfte unterschätzt, mit denen man es am Aktienmarkt zu tun bekommt. Wir reden hier von Shanghai, dem fünftgrößte Aktienmarkt der Welt nach Marktkapitalisierung. Keine Regierung kann dauerhaft die Kurse eines solchen Marktes manipulieren. Das ist wirtschaftspolitisch naiv.

Stellt das nicht die Lenkungsfähigkeit der chinesischen Führung in Frage?

Ja, und das ganz zu Recht. Wieso sollte eine Regierung Verantwortung für Aktienkurse übernehmen? Das ist reine Privatangelegenheit. Wer in den Aktienmarkt investiert, muss wissen, dass das mit Risiken verbunden ist. Eine Regierung macht sich unnötig angreifbar, wenn sie für diese Risiken Verantwortung übernimmt. Außerdem erhöht sie dadurch die Volalität des Marktes noch mehr. Ihr Handeln wird selbst zum Spekulationsobjekt.

Der Wirtschaftseinbruch bereitet Ihnen keine Sorge?

Die Konjunkturprobleme kriegt China in den Griff. Da gibt es noch viele Mittel. Die Mindestreserve für die Banken ist immer noch bei 18 Prozent und die Kreditvergabe ist nach wie vor stärker limitiert als im Westen. Auch sind die Zinsen immer noch höher als bei uns. Last but not least Die Regierung schwimmt die Regierung in gigantisch hohen Währungsreserven. Da ist noch genug Luft, um die Konjunktur anzuschieben. Andererseits sind die goldenen Zeiten natürlich vorbei. Wer aber jetzt erst merkt, dass China nicht mehr zweistellig wächst, kommt drei Jahre zu spät.

Wird die nächste Finanzkrise aus China kommen?

Diese Sorge halte ich für übertrieben. Da hat Peking noch viele Handlungsspielräume. Wenn wir von Finanzkrisen reden, müssen wir in Richtung Westen schauen, nicht in den Osten.

Nach der Abwertung des Yuan an drei aufeinanderfolgenden Tagen ist die chinesische Währung am Freitag minimal aufgewertet worden. Der Referenzkurs zum Dollar sei um 0,05 Prozent angehoben worden, teilte die chinesische Zentralbank mit. Ein Dollar kostete damit 6,3975 Yuan. Am Vortag war der Kurs bei 6,4010 Yuan gelegen.

Am Dienstag hatte die chinesische Notenbank den Referenzkurs der heimischen Währung überraschend um 1,9 Prozent gesenkt - und dieses Vorgehen als "einmalige Aktion" bezeichnet. Am Mittwoch senkte sie den Referenzkurs des Yuan im Vergleich zum Dollar aber ein weiteres Mal um 1,6 Prozent. Dies verunsicherte Anleger in aller Welt. Die Aktienkurse gingen weltweit auf Talfahrt. Eine weitere Abwertung um 1,11 Prozent erfolgte am Donnerstag.

Im Gegensatz zu anderen Währungen wie etwa dem Euro ist der Yuan kein frei schwankendes Zahlungsmittel. Die chinesische Zentralbank legt täglich einen Referenzwert fest, um den sich der Yuan begrenzt auf bis zu zwei Prozent bewegen darf. Bisher wurde der Referenzwert immer auf Grundlage einer Umfrage unter Marktteilnehmern festgelegt. Nun sollen auch der Schlusskurs vom Vortag, die Lage am Devisenmarkt und aktuelle internationale Wechselkurse berücksichtigt werden.

Das Eingreifen der chinesischen Notenbank in den Wechselkurs der Nationalwährung Yuan löste diese Woche einen Schock an den globalen Finanzmärkten aus. Schon im Juli gaben Chinas Börsen stark nach. In Europa wurde das kaum beachtet; zu sehr lag vor wenigen Wochen der Fokus auf Griechenland. Doch schon damals gab es warnende Stimmen: Nicht die Griechen seien das große Problem, sondern China. Selbst ein Grexit wäre leichter zu verdauen als ein scharfer und lang andauernder Wirtschaftseinbruch in China.

In Österreichs Exportstatistik nahm das Land im Vorjahr zwar mit 3,4 Milliarden Euro an ausgeführten Waren nur den zehnten Rang ein. Doch für einzelne Unternehmen hat es sich so sehr zu einer Goldgrube entwickelt, dass die Abhängigkeit inzwischen enorm ist. Viele exportieren nicht nur dorthin, sondern produzieren auch vor Ort. Oder liefern ihre Erzeugnisse ins EU-Ausland, die dann – etwa eingebaut in Autos – ihren Weg nach Asien finden.

Geht China nun die Puste aus, dann werden diese Betriebe leiden. Schon im ersten Quartal dieses Jahres fielen Österreichs Exporte nach China um fast fünf Prozent. Es gilt also, die Abhängigkeit von diesem großen Markt rasch zu reduzieren und sich global breiter aufzustellen. Eine Chance dazu eröffnet sich mit dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und Europa. So umstritten es in Teilbereichen ist: Die Probleme in China könnten helfen, die Vorbehalte dagegen abzubauen und eine baldige Umsetzung zu ermöglichen. Denn anders als China ist die US-Wirtschaft derzeit im Aufwind. Handelserleichterungen können Europas Unternehmen den entscheidenden Wettbewerbsvorsprung bringen.