China-Boom flaut ab: "Zollstreit hinterlässt Bremsspuren"
Der Zollstreit mit den USA schlägt zusehends auf Chinas Wirtschaftswachstum durch und macht milliardenschwere Konjunkturprogramme wahrscheinlicher. 2018 legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) so langsam zu wie seit 28 Jahren nicht mehr. Die Wachstumsrate sank auf 6,6 Prozent. Das Wachstum lag damit noch knapp über dem amtlichen Ziel von 6,5 Prozent, fiel aber von 6,8 Prozent im Vorjahr.
So ist die Regierung "besorgt", wie informierte Kreise berichteten, die von höchster Stelle unterrichtet wurden. "Es sind Stimulusmaßnahmen geplant." Im neuen Jahr sollen möglicherweise nur noch 6,0 bis 6,5 Prozent als Wachstumsziel vorgegeben werden. Experten erwarten im Schnitt eine Abschwächung auf 6,3 Prozent. An den Finanzmärkten wird befürchtet, dass die Abkühlung die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnte.
Ifo-Forscher Gabriel Felbermayr sieht dies als "Zeichen der Normalisierung", da sich China weltweit auf Rang zwei der Wirtschaftsmächte nach den USA festgesetzt hat. Zusätzlich sorgt aber der Handelskonflikt mit Washington für "immer deutlichere Bremsspuren", wie Ökonomin Monika Boven von der DZ Bank sagt. Im vierten Quartal fiel das Wachstumstempo mit 6,4 Prozent auf das langsamste Tempo seit der Finanzkrise vor zehn Jahren.
"Wachstum für Stabilität des Regimes"
Damals bewahrte China die Weltwirtschaft mit massiven Konjunkturspritzen vor einer Depression. Ifo-Ökonom Felbermayr hält eine Neuauflage solcher Programme im Volumen von rund 300 Mrd. Dollar (263,1 Mrd. Euro) für realistisch, zumal die nachlassende Wachstumsdynamik die kommunistische Führung unter Zugzwang setze. "Das chinesische Wirtschaftsmodell braucht das Wachstum - auch zur Stabilität des Regimes. Regierung und Zentralbank haben noch gut gefüllte Munitionslager zum Befeuern der Konjunktur", so der Österreicher.
Präsident Xi Jinping lässt sich vorerst nicht in die Karten blicken und betonte am Montag lediglich, die wirtschaftlichen Aktivitäten sollten im "grünen Bereich" gehalten werden. China und die USA hatten in der vergangenen Woche ihre Handelsgespräche wieder aufgenommen. US-Präsident Donald Trump sieht dabei Fortschritte. Ende Jänner soll die nächste Gesprächsrunde folgen. Die beiden größten Volkswirtschaften haben sich in dem Streit mit hohen Strafzöllen überzogen.
"Der Handelskrieg macht sich derzeit vor allem in einer wachsenden Unsicherheit bemerkbar", sagte Max Zenglein, Leiter des Programms Wirtschaft beim China-Institut Merics. Schwächelnde Exporte und Zurückhaltung bei Investitionen wirkten sich bereits auf das Wachstum aus: "Richtig ernst dürfte es aber erst werden, wenn es bis März keine Lösung gibt und es zu weiteren Zollerhöhungen kommt."
Sollte Peking tatsächlich rund 300 Mrd. Dollar zur Stabilisierung der Wirtschaft in die Hand nehmen, könnte dies laut Ifo-Forscher Felbermayr rund einen halben Prozentpunkt Wachstum bringen. Allerdings sei dabei zu bedenken, dass dieser Effekt lediglich dem "Abwärtstrend" beim Wachstum entgegenwirke. "Es wird zusätzliche Impulse geben", sagte auch Analystin Christy Tan von der National Australia Bank in Singapur. "Es ist noch nicht die Zeit sich zurückzulehnen." Alle Augen richten sich nun auf die jährliche Parlamentssitzung im März, wo weitere Konjunkturstützen in Form von größeren Steuersenkungen und weiteren Programmen zum Ausbau der Infrastruktur in dem Riesenreich beschlossen werden könnten.
Rekordsumme in Finanzbranche
Die Zentralbank pumpte unlängst bereits die Rekordsumme von umgerechnet knapp 73 Mrd. Euro in die Finanzbranche. Ökonom Maximilian Kärnfelt vom Mercator Institute for China Studies (Merics) sieht diesen Schritt als Teil einer "sehr klugen Strategie", das Land mit seiner Milliardenbevölkerung von einer eher auf Investitionen ausgerichteten Volkswirtschaft zu einem stärker auf Konsum basierenden Modell umzustellen. Als Triebfeder dienten dabei die Geschäftsbanken, die verstärkt Kredite an Mittelständler vergeben sollen. Die Zentralbank hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach den Mindestreservesatz gesenkt, den Institute bei ihr als Sicherheit hinterlegen müssen. Dadurch sollen Milliardenbeträge freigesetzt werden, die Geldhäuser an Unternehmen weitergeben und so die Konjunktur anschieben können.
Sollte die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werden, wären auch die deutschen Auto-Hersteller betroffen, die zudem befürchten müssen, dass ihnen womöglich in den USA höhere Importzölle aufgebrummt werden. VW-Chef Herbert Diess erwartet, dass sich in China "die Zukunft von Volkswagen" entscheiden wird. Der Wolfsburger Konzern kann darauf bauen, dass Peking nicht tatenlos zusieht, wie der größte Automarkt der Welt weiter schrumpft. Der Neuwagenabsatz in China war im vergangenen Jahr erstmals seit den 90er Jahren gesunken. Vielmehr will die chinesische Regierung der Binnennachfrage weiter auf die Sprünge helfen und dabei insbesondere den Automobilsektor stützen. Doch für die deutschen Konzerne sei "die große Bonanza" in China vorbei, meint Felbermayr. Auch wenn die große konjunkturelle Blütezeit nun der Vergangenheit angehöre, gebe es für viele Firmen geschäftlich keine Alternative zum Reich der Mitte: "Indien, Indochina oder Afrika sind keine Ersatzmärkte."