Wirtschaft

Bargeld-Aus: "Würde Sturm dagegen laufen"

Kaum ein anderes Thema löst derzeit so viele Emotionen aus wie die von einzelnen Ökonomen losgetretene Debatte um eine Bargeld-Abschaffung. Der KURIER sprach mit Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny und Wirtschafts-Staatssekretär Harald Mahrer über die Hintergründe der Debatte.

KURIER: Herr Staatssekretär, wann hatten Sie zuletzt eine 500-Euro-Banknote in der Hand?

Harald Mahrer: Vor einigen Monaten. Ich habe 700 Euro abgehoben und wollte möglichst wenig Scheine haben. Das kommt aber fast nie vor.

Eben. Der Normalverbraucher bekommt den Schein nie zu Gesicht. Wo ist das viele Geld?

Nowotny: Diese Scheine dienen vor allem zur Wertaufbewahrung, der Euro ist eine gefragte Reservewährung. Auch 25 Prozent der Dollar werden außerhalb der USA gehalten, ebenso ist es beim Euro, ganz besonders in Zentral- und Südosteuropa.

Brauchen diese Euro-Scheine nicht vor allem Mafiosi, Drogenhändler und Schmuggler?

Mahrer: Das ist ein Totschlagargument. Das größte Volumen machen die Fünfziger aus, das ganz normale Bargeld, das jeder täglich verwendet. Zum Thema Kriminalität: Ohne Bargeld fänden sich andere Parallelwährungen für illegale Geschäfte.

Nowotny: Es gibt Kritik, dass der Euro so eine hohe Denomination (Stückelung, Anm.) hat. Aber Bargeld als solches ist völlig unbestritten. Österreich ist ganz besonders bargeldaffin: 83 Prozent aller Käufe werden bar getätigt, 14 Prozent mit Bankomat, zwei Prozent mit Kreditkarte.

Warum ist Bargeld so wichtig?

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Mahrer:Bargeld ist ein Stück geprägte oder gedruckte Freiheit, weil es ein gewisses Maß an Anonymität garantiert. Für mich ist es eine Grundfreiheit, dass nicht digital erfasst wird, was ich einkaufe und konsumiere, wenn ich das nicht will. Mir wird unwohl, welche Personenprofile Datenkraken damit erstellen könnten. Das finde ich bedrohlich.

Nowotny: Bargeld hat den Vorteil der Anonymität, aber es ist wichtig, dass ein Staat für Korrektheit im Wirtschaftsleben sorgt – im Interesse der Bürger. Steuerhinterziehung ist kein Grundrecht.

Werden die neuen elektronischen Zahlungsformen Bargeld nicht ohnehin bald verdrängen?

Nowotny: Interessant ist: Bargeld nimmt trotzdem zu. Ende 2014 hatten wir im Euroraum erstmals Banknoten im Wert von über einer Billion Euro im Umlauf – eine wertmäßige Steigerung von 6,3 Prozent bei Banknoten und 3,2 Prozent bei Münzen. Die OeNB in Wien ist für die Europäische Zentralbank übrigens auch zentrales Bargelddepot für Südosteuropa.

Wo sind diese Depots und wie kommt man hinein?

Nowotny (lacht): Nicht einmal ich komme hinein, das ist ein elektronisch gesicherter Tresor.

Werden da auch andere Währungen gelagert?

Nowotny: Nein, nur Euro-Bestände. Wenn wie in Russland der Bargeldbedarf steigt, wird das von uns dorthin transportiert. Das ist immer recht spektakulär, mit Polizei vorne, Polizei hinten, Hubschrauber oben.

Es gibt das Gerücht, dass Notenbanken Ersatzwährungen für Notfälle vorhalten müssen.

Nowotny: Das ist Unsinn. Wir haben keine Schilling gebunkert, auch keine D-Mark. Die restlichen Schilling-Bestände wurden geschreddert und als Dämmmaterial verkauft.

Wer will das Bargeld denn überhaupt abschaffen?

Mahrer: Gestartet hatte die Kampagne die schwedische Gewerkschaft für Finanzberufe – mit dem Argument des Schutzes vor Überfällen und der Hygiene. Daraus wurde die Kampagne "Bargeld brauchen nur Omas und Bankräuber". Skurril, welche Wellen das geschlagen hat.

Wird auf EU- oder Notenbank-Ebene über das Aus für Bargeld diskutiert?

Mahrer: Ich kenne kein Dokument der Kommission dazu, sonst würde ich Sturm dagegen laufen. Aber Anbieter alternativer Zahlungsformen betreiben gemeinsam mit Datensammlern und einigen Ökonomen Lobbying dafür. Es gibt massive Unternehmensinteressen an der Datennutzung.

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Nowotny: Ich sehe das als Scheindebatte. Der berühmte Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff etwa will Bargeld abschaffen, weil so die Hürde für negative Zinsen wegfiele. Praktisch ist das aber nicht relevant. Ich kenne keine einzige Notenbank, die Bargeld verbieten will. In Dänemark gibt es schon negative Zinsen von 0,75 Prozent für Giralgeld, also Einlagen. Ich habe die Kollegen gefragt, ob die Menschen Geld abheben. Die Antwort war: Nein. Bargeld aufzubewahren ist noch aufwendiger, das schreckt ab.

Sie sehen also keine Gefahr, dass die Menschen bei Negativzinsen ihr Geld vom Konto abheben?

Nowotny: Das kann man nicht ausschließen. Es gibt sicher Grenzen, wo die Sensibilität erreicht wäre, vielleicht bei minus ein Prozent. Ich bin ohnehin kein Freund negativer Zinssätze, diese Situation soll kein Normalzustand werden. Für Notenbanken ist aber nicht das Verhalten ehrenwerter Großmütter entscheidend, sondern das der großen Banken.

Der Bürger soll also seine 10.000 Euro Erspartes auch unters Bett legen dürfen?

Mahrer: Sicher. Warum sollte man ihn dabei in seiner Wahlfreiheit beschränken?

Nowotny: Das Klügste ist es nicht. Aber zum Klugsein kann man niemanden zwingen.

Völlig der Kontrolle entzogen sind elektronische Währungen wie Bitcoin. Bereitet Ihnen das Unbehagen?

Nowotny: Das ist aus Sicht des Konsumentenschutzes sehr sensibel, es hat Zusammenbrüche und Betrugsfälle gegeben. Die makroökonomischen Folgen sind noch nicht groß, aber wir verfolgen das genau. Ich bin extrem skeptisch, würde jeden vor dem Risiko warnen.

Mahrer: Trotzdem: Es ist extrem spannend, was sich gerade bei Fintechs, bei Start-ups im Finanzbereich, tut. Da werden wir noch einiges sehen.

In den USA wird Apple Pay schon von 300 Banken unterstützt ...

Nowotny: Ja, es gibt große Anbieter wie Google, die in den Zahlungsverkehr drängen. Die technischen Möglichkeiten hätten sie. Der Zahlungsverkehr ist aber der wirtschaftliche Blutkreislauf, darüber brauchen wir Kontrolle, auch wegen der Finanzstabilität. Europa steht aber zugleich unter massivem Druck, weil die US-Regierung die Kontrolle der Finanzströme als Instrument gegen Terrorismus und Geldwäsche sieht. Da prallen zwei Rechtssysteme aufeinander.

Welche Spielräume hat ein Staat im Euroraum überhaupt, andere Zahlungsmittel einzuführen?

Nowotny: Es gibt ein Währungsmonopol, offizielles Zahlungsmittel ist der Euro. Zweitwährungen sind gesetzlich verboten. Daneben gibt es nette Dinge wie den "Waldviertler", aber das sind Gutscheine.

In einigen Ländern ist Bargeld schon sehr limitiert – in Italien für Zahlungen über 1000 Euro.

Nowotny: Das ist keine geldpolitische, sondern eine steuer- oder sicherheitspolitische Frage. Da hat jedes Land gewisse Eigenständigkeit.

Mahrer: In Südtirol startet nach massiver Kritik in der Bevölkerung eine Initiative, die das Limit auf 3000 Euro anheben will. Die Dänen hingegen wollen Händlern freistellen, ob sie Bargeld annehmen. Dagegen wehre ich mich total: Das zwingt Kunden, unbar zu zahlen.

Deutschland und Österreich hängen besonders am Bargeld. Haben die Nordeuropäer da mehr Vertrauen in den Staat?

Nowotny: Könnte ich mir gut vorstellen. Ein Land wie Schweden hat zweihundert Jahre keine Kriege geführt, vielleicht gibt das eine engere Verbundenheit mit dem Staat.

Mahrer: Es ist ein Mix. Neue Technologien sind in Skandinavien und am Baltikum weiter verbreitet. Und: Die Transparenz öffentlicher Institutionen ist dramatisch höher als bei uns. Der Staat geht bei der Transparenz als Vorbild voran, deshalb ist das Misstrauen geringer.

Nowotny: Ich habe als Student in Holland gelebt und erfahren, dass es dort als ganz schlechter Stil gesehen wird, wenn man in der Wohnung die Vorhänge zuzieht.

Wie viel Gewinn macht die OeNB eigentlich mit dem Verkauf des Bargeldes, der Seigniorage?

Nowotny: Diese hängt nicht vom Druck der Banknoten ab, sondern ist eine Frage des gesamten Euroraums. Nach unserem Kapitalanteil von 2,8 Prozent an der EZB erhalten wir ungefähr 120 Millionen Euro als Gewinn. Das ist aber nicht an Bargeld gebunden, sondern geschieht auch durch die Schaffung von Giralgeld. Das wohl deutlichste Bekenntnis zum Bargeld ist, dass wir gerade eine neue Euro-Serie herausgeben.

Banknoten-Umlauf- Menge (Angaben in Mio.)

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