Wirtschaft/atmedia

Stehlen statt zitieren

Im deutschen Medienmarkt hageln derzeit die Vorwürfe in ungewohnter Dichte. Der Chef von Bild.de, Julian Reichelt, wirft dem Chef von Focus Online vor, Inhalte von Bild zu stehlen. Zwar würden die Geschichten mit Verweis auf das Urhebermedium verbreitet. Es handle sich aber um das Prinzip "Klauen, auseinanderbauen und als vermarktbarte Reichweite weiterverticken", ließ der Bild.de-Chef seinen Konkurrenten jüngst in einem Interview mit dem Branchendienst turi2 ausrichten.

Das Zitieren eines anderen Mediums für eine Exklusivgeschichte galt bisher als noble Tugend, in der Journalisten auch die Konkurrenz mit Anerkennung und ein wenig Werbung bedachten, räumt Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell ein. "Es hat aber auch ganz klare Grenzen gegeben: Aus einem Interview wurden ein paar Sätze zitiert und nicht die halbe Geschichte."

Bei weitergehenden Übernahmen sei vorher angefragt worden und ein Übernahmehonorar an die Urheber gezahlt worden. "Warum sollten die Regeln heute anders sein, nur weil ich mich im Web befinde?" Im Schnellumschlagplatz Internet sind die Grenzen schon recht weit ausgelotet, wie der deutsche Streit zeigt. Der Trend kommt aus den USA: Medien wie Buzzfeed oder die Huffington Post haben sich darauf spezialisiert, ohne großen eigenen Rechercheaufwand relevante Inhalte anderer weiterzuverbreiten. Die teure Redaktion, die für regelmäßiges Erstellen von Exklusivgeschichten notwendig ist, sparen sie damit nobel ein.

"Sinngemäßes Zitat"

Wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema gebe es noch keine, sagt Hausjell, der seinen Diplomanden dies aber nahelegen wird, wie er sagte. Ein Anhaltspunkt wären die Zitier-Regeln in der Literatur: So sei es bei wissenschaftlichen Arbeiten durchaus erlaubt, sehr lange Zitate aus anderen Werken zu verwenden – "so lange, wie es notwendig ist, einen Sachverhalt darzustellen". Beim Abdruck vollständiger Texte, zum Beispiel für Anthologien, sei jedoch völlig klar, dass die Rechteinhaber eine Rechnung stellten. Und wenn die Inhalte nicht wörtlich übernommen, sondern auch neu verpackt würden? "Dann handelt es sich um ein ,sinngemäßes Zitat‘", sagt Hausjell. Das könne bis zu einer "Form des Plagiats" reichen.

Urheberrecht greift

Um sich gegen den Diebstahl von eigenen Inhalten zu wehren, reiche das geltende Urheberrecht aus, meint der Wissenschaftler, der damit auch Chancen für eine grenzüberschreitende Verfolgung solcher Fälle sieht. Die Urheberrechtsregelungen seien auch in anderen Ländern relativ ähnlich.

Angeheizt wird die Debatte in Deutschland auch durch die Einführung einer Bezahlschranke bei Bild.de. Wenn Inhalte, die Bild-Leser nur gegen Geld bekommen, bei anderen Medien über den Umweg des Zitats gratis zu haben sind, sinken die Chancen für das Bezahlmodell erheblich. Die Debatte dürfte also erst begonnen haben.