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Der Herr der Duschköpfe

Im Jahr 2003 sagte Stefan Raab in seiner Talkshow Folgendes: "Die ARD kippt die Volksmusik aus dem Programm. Oder man könnte auch gleich sagen: Die ARD stellt den Sendebetrieb ein."

Zwölf Jahre später könnte man das Gleiche über ProSieben sagen: Stefan Raab geht in Pension. Was bleibt dann von ProSieben übrig? Joko und Klaas? Heidi Klum? Klingt ... unerfreulich.

Twitter: So reagiert das Netz auf den "Abschied total"

Oder, wie es der deutsche Moderator und Komödiant Simon Gosejohann auf Twitter formulierte: "Ich habe ein bisschen Sorge, dass Raab das ganze TV abschaltet."

Es erzählt einiges über den kreativen Zustand des deutschsprachigen Fernsehens, dass der Abgang von Raab als Naturkatastrophe angesehen wird – also eines Mannes, der seine besten Zeiten selbst weit hinter sich hatte. Seine Talkshow "TV Total", früher ein verlässlicher Lieferant von bissig-großartigen Pointen, aus gefeilten Tabubrüchen und schrägen Ideen, fuhr seit Langem bestenfalls noch Dienst nach Vorschrift.

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Im Jahr 2000 bekam Raab die KURIER-ROMY für das damals ganz neue "TV Total" (beste Programmidee). In seiner Dankesrede sagte er: "Ich freue mich über diesen Preis, weil er zeigt, dass man auch mit besoffenem Kopf gute Ideen haben kann." Im selben Jahr trat er auch beim ,Musikantenstadl‘ auf – also im Prinzip im Feindesland. Raab dachte nicht im Traum daran, sich brav zu verhalten – und verstörte des Stadl-Publikum in Anspielung auf Drogengerüchte mit dem Song "Der Karl, der Karl, der Moikmoikmoik/der raucht das stärkste Zeugzeugzeug". In einem Statement dazu sagte er: "Der ,Musikantenstadl‘ war ein Traum von mir, denn ich gehe gerne dorthin, wo die Not am größten ist."

Das war typisch für Raab: Er hätte nie einen Auftritt ausgelassen, der sein Publikum vergrößern könnte –hätte sich deshalb aber auch nie zähmen lassen.

Fleischhauer

Raab – der Jus studierte und eine Fleischhauerlehre absolvierte – begann als Produzent von Jingles. Außerdem produzierte er Popmusik, etwa für die Prinzen. Als Moderator fiel er im Musiksender VIVA mit nicht zu bändigender kreativer Energie auf. Die selbe Energie brachte ihn später dazu, Spaß-Sportarten wie Wok-Rodeln, Autoball, Eisfußball zu erfinden. Oder Casting-Shows mit Titeln wie SSDSDSSWEMUGABRTLAD − "Stefan sucht den Superstar, der singen soll, was er möchte und gerne auch bei RTL auftreten darf".

Raab war als Musiker ebenso erfolgreich wie als Showmaster. Er hatte Hits mit "Hier kommt die Maus", "Böörti Böörti Vogts", "Maschendrahtzaun", "Ein Bett im Kornfeld". Für Guildo Horn schrieb er den Song-Contest-Titel "Guildo hat euch lieb" (Platz 7, 1998). Im Jahr 2000 trat er mit "Wadde Hadde Dudde Da" selbst an, wurde Fünfter und bekam zwölf Punkte aus Österreich.

Dass Raab keine Angst vor Schlägen hatte, bewies er, als er in Showkämpfen gegen die Boxweltmeisterin Regina Halmich antrat und dabei ordentlich Prügel bezog.

Sein letzter Geniestreich war die Spielshow "Schlag den Raab": Kandidaten durften gegen den Moderator antreten – und verloren zumeist. Ein legendärer YouTube-Hit wurde das Spiel "Ringing The Bull", das nach über einer Stunde Laufzeit ergebnislos abgebrochen werden musste.

Raab mag tendenziell geschmacklos gewesen sein und zuletzt eher müde. Mit seinem Abschied wird das Fernsehen dennoch weniger charismatisch und weniger gefährlich: Ohne Raab besteht ja nicht einmal die theoretische Chance auf Aufregung.

Raab konzentriert sich jetzt auf seine Rolle als Unternehmer: Er produziert Duschköpfe. Für die muss er nicht witzig sein.

Raabs Showformate

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Harald Schmidt ist von den Bildschirmen verschwunden, Thomas Gottschalk taucht dort nur noch sporadisch auf. Und nun beendet auch noch Stefan Raab seine TV-Karriere. Wie unersetzbar sie sind, zeigte das Drama rund um "Wetten, dass ..?": Der artige, tüchtige Markus Lanz hatte nicht genug Charisma, um die schwächelnde Show zu retten.

Ähnliches droht in Zusammenhang mit der Raab-Nachfolge. Schmidt, Gottschalk und Raab kämpften zuletzt mit Quotenproblemen. Die Zeiten, in denen die Massen regelmäßig begeistert eine Sendung verfolgten, sind vorbei. Im Hauptabendprogramm regieren Berechenbarkeit, Mut- und Fantasielosigkeit: RTL etwa zeigt nächstes Jahr die 13. (!) Staffel "Deutschland sucht den Superstar". Raabs Rückzug ist eine weitere bittere Absage an das Mainstreammedium Fernsehen. Höchste Zeit, in einen Stapel Bücher und einen Video-on-demand-Zugang zu investieren.