Schlappe für "Österreich"
Von Christoph Silber
Es war ein in der österreichischen Sport-Historie einmaliger Schritt. Am 13. November 2013 veröffentlichten die österreichischen Nationalteam-Kicker einen "Offenen Brief" an die Tageszeitung Österreich. Darin wehrten sie sich gegen "schlecht bis gar nicht recherchierte Artikel" und "die häufig als 'Exklusiv-Interviews' bezeichneten Berichte, für die niemand von uns jemals interviewt worden ist".
Zudem sprangen sie ihrem Teamchef Marcel Koller zur Seite, der von der Fellner-Zeitung auf das heftigste attackiert worden war, weil er nicht sofort einer Verlängerung seines ÖFB-Vertrages zugestimmt hatte. Koller war zum Beispiel als "Verräter" bezeichnet worden, dem es nur um "Silberlinge" gehe sowie als "Söldner, der in die Schweiz geschickt" werden solle. Nach der Unterschrift Kollers legte das Blatt eine 180-Grad-Wende hin und wollte Koller zum "Ehren-Österreicher" machen.
Diesen Angriffen trat KURIER-Herausgeber und -Chefredakteur Helmut Brandstätter in einem Kommentar entgegen. Auf Österreich-Chef Wolfgang Fellner gemünzt sprach er vom "Söldner des Informationshandels" und vertrat im Kern die Meinung, dass dieses Verhalten aus dem Aspekt der Fairness im Sport nicht durchgehen kann. Als Maßnahme hierzu stellte er in den Raum, dass "Sponsor-Firmen des ÖFB Solidarität mit Marcel Koller zeigen und in dem Gratisblatt nicht mehr inserieren [sollten]. Geldentzug ist die einzige Sprache, die man dort versteht...Es liegt jetzt an ihnen [den Sponsoren], ein Zeichen zu setzen. Dann wäre der österreichische Fußball plötzlich richtig vorbildlich." Die Kehrtwende in der Berichterstattung von Österreich nannte Brandstätter "anschleimend".
Nur Anregung
Beim Fellner-Blatt sah man in dem Kommentar einen Boykott-Aufruf und man klagte Brandstätter. Dessen Anwälte argumentierten einerseits mit der Meinungsfreiheit. Anderseits stellten sie fest, dass, sollten Sponsoren tatsächlich auf Inserate in Österreich verzichten, dann wohl deshalb, weil diese sich massiv abschätzend über deren Cheftrainer geäußert hat. Das Erstgericht gab Österreich sogar recht und musste sich nun vom Oberlandesgericht Wien vorhalten lassen, dabei "undifferenziert" vorgegangen zu sein.
Der Berufungssenat stellte nun unter der Überschrift „Willensbeeinflussung oder bloße Anregung?“ fest, dass keine unlautere Willensbeeinflussung zu erkennen ist. Es wertete die Aussagen Brandstätters als bloßen Denkanstoß, wie Österreich für seine gegenüber Marcel Koller als höchst unfair erachtete Berichterstattung „bestraft“ werden könnte. Den Vorwurf des Boykottaufrufs verneinte das Gericht somit.
Es hielt zudem als Kernsatz fest: „Die Klägerin [Österreich] hat ihn [Marcel Koller] deshalb in ihrem Medium vehement angegriffen[..]. Sie muss sich daher grundsätzlich gefallen lassen, dass andere am öffentlichen Meinungsbildungsprozess Teilnehmende [...] sie als Angreiferin gleichermaßen vehement angreifen werden.“
Keine Interviews
Bemerkenswert ist auch ein Detail in der Urteilsbegründung: Das Gericht geht davon aus, dass Interviews tatsächlich erfunden wurden. "Hätte die Klägerin [Österreich] nicht - wie vom Beklagten [Brandstätter] konkret behauptet - lediglich Passagen aus offiziellen Presskonferenzen zitiert, sondern solche individuellen Interviews tatsächlich geführt, müssten ihr diesbzeügliche konkrete Behauptungen leicht möglich sein. Da sie solche unterlassen hat, ist insoweit sogar von einer zugestandenen Tatsache - kein "Vier-Augen-Interview" - auszugehen."
Das Oberlandesgericht wies nunmehr die Klage von Österreich gänzlich ab und sprach Brandstätter vollen Kostenersatz zu. Eine ordentliche Revision ist dagegen nicht zulässig. Österreich bleibt nur noch der Versuch einer außerordentlichen Revision an das Höchstgericht.
Herr Fellner hat also wieder einmal geklagt, und wieder einmal verloren. Das aktuelle Urteil hat aber besondere Bedeutung. Denn hier wird endlich einmal - in 2. Instanz - festgehalten, was ohnehin jeder weiß, was sich bisher aber niemand laut sagen traute: In Fellners Gratiszeitung Österreich erscheinen Interviews, die niemals gegeben wurden. Er fälscht also Interviews oder lässt sie fälschen.
Ja natürlich, überall trifft man Politiker und Manager, die einem davon erzählen. Die sich aber nicht trauen, das offen auszusprechen. Denn Fellners Kampagnen gegen missliebige Personen sind bekannt. Das fürchten die hohen Damen und Herren.
Umso wichtiger, dass ausgerechnet unsere Fußballer den Mut hatten, darauf aufmerksam zu machen. Denn auch von ihnen wurden Interviews ohne jeden Wahrheitsgehalt veröffentlicht.
Wie wäre es, wenn jetzt auch gut bezahlte Manager und mächtige Politiker endlich den Mumm hätten, öffentlich das zu sagen, was sie hinter vorgehaltener Hand beklagen: Dass Dinge berichtet werden, die nicht stimmen und – das nächste Tabu – wie Gratiszeitungen zu Inseraten kommen.
Zwei Formulierungen sind jedenfalls in Wien stadtbekannt: "Heans, Herr Generaldirektor, i kann meine Leute nimma zruckhalten. Wenn wir ka Inserat kriegen, dann muss ich a schiache Gschicht über sie schreiben." Manchmal geht’s noch platter: "I kriag von Ihnen no 100.000 Euro, weil sie bei der anderen Gratiszeitung mehr gebucht haben."
Dann fließen Steuergelder in Millionenhöhe und Werbegelder von Unternehmen, die nur bezahlt werden, um sich das nächste unangenehme Gespräch oder eine üble Kampagne zu ersparen. Jeder weiß, dass es so ist. Und keiner traut sich, etwas zu sagen.
Aber jetzt gibt es dieses Urteil und den Beweis, dass Interviews gefälscht wurden. Und es gibt unsere Fußballer mit Marcel Koller an der Spitze, die gezeigt haben: Man kann sich wehren. Da werden doch unsere Spitzenmanager und Staatenlenker nicht ängstlicher sein, oder?