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Historischer Bann der Politik

Heute vor fünf Jahrzehnten startete in Österreich der bisher größte und erfolgreichste Anlauf für einen politikfreien ORF. Die Vorgeschichte: Das Fernsehen war noch ein relativ junges Medium, als SPÖ und ÖVP versuchten, sich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einem noch nicht dagewesenen Proporz einzuverleiben.

Der KURIER bekam von dem Plan Wind und titelte bereits am 20. März 1963 empört: "Parteien diktieren das Programm".

Bereits drei Tage später hatte die Zeitung, die damals unter der Leitung des legendären Hugo Portisch stand, eine Protest-Aktion in die Wege geleitet, die Geschichte machen sollte: Auf Coupons, die aus der Zeitung ausgeschnitten wurden, unterschrieben die Leser massenhaft gegen das geplante Proporzsystem. Letztlich sollten sich 52 Zeitungen und Zeitschriften an der Initiative beteiligen.

Zunächst musste jedoch die Politik dazu gebracht werden, das damals brandneue Instrument Volksbegehren auch zuzulassen: "Die ÖVP wollte ja das Volksbegehren auch nicht, weil es ein Angriff auf den Parteienproporz, also die Verteilung von Ämtern zwischen SPÖ und ÖVP, war", erzählte Portisch jüngst im Interview mit dem KURIER.

"Aber Klaus (Bundeskanzler Josef Klaus, Anm.) hat bei den Wahlen 1966 versprochen, dass er ein neues ORF-Gesetz gemäß dem Volksbegehren machen würde." Das habe ihm bei den Unterzeichnern des Volksbegehrens geholfen – mehr als 832.000 hatten unterschrieben. Das Rundfunkvolksbegehren vom 5. Oktober 1964 ist heute noch das fünft-erfolgreichste aller Zeiten.

In der Euphorie des Erfolges wurde der Gesetzesentwurf besonders drastisch formuliert, um den Parteieneinfluss zurückzudrängen. Vorgesehen waren Haftstrafen für Politiker, die Einfluss auf den ORF auszuüben versuchten, "aber das hat die Regierung herausgenommen", so Portisch.

Der "Tiger" kam

Die Umsetzung ließ Mitte der 1960er-Jahre auf sich warten: Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis 1966 unter einer ÖVP-Alleinregierung die Reform des Rundfunks Realität wurde. Erster Generalintendant des "neuen" ORF wurde Gerd Bacher. Erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt der ORF auf gesetzlicher Basis einen klaren Programmauftrag.

Der Generalintendant (heute Generaldirektor) war an keinerlei Weisungen gebunden, die ORF-Redakteure wurden zur objektiven Berichterstattung verpflichtet.

"Ich habe die alte Führung noch in der ersten Nacht abgesetzt. Sie waren Auftragnehmer ihrer Parteien", resümierte Bacher im Jahr 1999. "So schön" wie in der ersten Zeit sei es "nie wieder geworden, so unabhängig auch nie wieder". Bacher: "Wir fühlten uns als Hohepriester der Zentralanstalt für österreichische Identität. Die Zentralanstalt war der Grundgedanke meiner gesamten Arbeit im ORF."

Der erste Chef eines unabhängigen ORF bekam starken Gegenwind: "Die Parteien konnten sich nicht vorstellen, dass ein Rundfunk das tut, was er für richtig hält."

Portisch hingegen gratulierte seinem damaligen Konkurrenten am Zeitungsmarkt, Bacher, zu seiner Bestellung zum ORF-Chef sogar via KURIER. Rückblickend beurteilt er die Vorgänge nach wie vor als wichtig für die Republik. "Das Volksbegehren hat nicht nur den ORF aus den Fängen der Parteizentralen befreit und eine Reform des Hörfunks und des Fernsehens ermöglicht, die auch zur Demokratisierung des ganzen Landes beigetragen hat." Ein neuer Zugriff der Parteien habe aber nicht lange auf sich warten lassen, "schon unter Kreisky", so Portisch.1974 wurde auf Initiative der SPÖ und Bruno Kreiskys das ORF-Gesetz erneut geändert. Bacher musste gehen, wurde aber später zwei Mal wiedergewählt.

Chronologie eines Zeitungsprotestes: Der KURIER deckte zunächst die Geheimpläne der Regierung zur Einverleibung des ORF auf und schaffte schließlich gemeinsam mit anderen Zeitungen, ein Volksbegehren durchzusetzen.

Über den Einfluss der Parteien:
„Die Parteien konnten sich nicht vorstellen, dass ein Rundfunk das tut, was er für richtig hält.“

Über die erste Zeit nach der ORF-Reform, die auf das Volksbegehren folgte:
„Wir fühlten uns als Hohepriester der Zentralanstalt für österreichische Identität. Die Zentralanstalt war der Grundgedanke meiner gesamten Arbeit im ORF.“

Was zu tun war:
„Ich habe die alte Führung noch in der ersten Nacht abgesetzt. Sie waren Auftragnehmer ihrer Parteien.“ „So schön“ wie in der ersten Zeit ist es laut Bacher „nie wieder geworden, so unabhängig auch nie wieder“.

Über das von ihm erbaute ORF-Zentrum in Wien-Hietzing:
„Der Küniglberg ist eine Trademark.“

Über die vom KURIER aufgedeckten Geheimpläne zu einem Parteienübergriff auf den ORF:
"Damit sollte der ORF der totalen Kontrolle der beiden Parteien unterstellt werden."

Über die Folgen des erfolgreichen Rundfunkvolksbegehrens:
"Die Reform hat den ORF selbstbewusster gemacht und die Unabhängigkeit seiner Journalisten nachhaltig gesichert. Ohne diese Reform hätten der Postenschacher und die Parteikontrollen vermutlich noch sehr lange angehalten."

Was von der Aufbruchstimmung blieb:
"Im ORF haben die Parteien zwar ihren Einfluss wieder gefestigt, aber die Journalisten lassen sich ihre kritische und unabhängige Meinung und Berichterstattung nicht verbieten – immer noch im Geiste der Volksbegehrensreform."

Genau vor 50 Jahren hat Hugo Portisch in einem Kommentar die damalige Regierung gegeißelt. Als der KURIER damals Informationen erhielt, dass in Radio und Fernsehen jeder leitende Mitarbeiter einen Aufpasser der jeweils anderen Partei zugeteilt bekommt, platzte dem vornehmen KURIER-Chef der Kragen: Er schrieb von einem "Anschlag auf die Demokratie" und rief die Leserinnen und Leser zu einer Unterschriftenaktion auf. Daraus wurde ein höchst erfolgreiches Volksbegehren und in der Folge entstand ein neuer ORF.

Am Freitag hat der Presseclub Concordia wieder die Entpolitisierung des ORF gefordert. "Nach wie vor erwecken politische Parteien den Eindruck, der ORF gehöre ihnen." Die Medienwelt hat sich in diesen 50 Jahren grundsätzlich geändert, aber der Satz stimmt noch immer. Das sagt Einiges über den ORF, aber noch viel mehr über unsere Politik. Auch in anderen westlichen Ländern greifen Regierungen in unanständiger Absicht auf TV-Sender und Verlage zu, aber in Österreich kommt halt noch dazu, dass die Abhängigkeiten in dem kleinen Land größer und der Wille zu Unabhängigkeit und Freiheit kleiner ist. Und dass Politiker die Volksseele kennen.

Alles eine Frage der Courage – und des Preises

Bundeskanzler Bruno Kreisky prägte den legendären Satz, dass er alle Lebensbereiche mit Demokratie durchfluten wollte. Nur für den ORF, aus dem Gerd Bacher ein unabhängiges Medium gemacht hatte, sollte das nicht gelten. Per Gesetz wurde man Bacher los. Auf eines vergaß der schlaue Kreisky: Er beließ die geheime Wahl des Generalintendanten. Und siehe da, unter dem Schutz des Wahlgeheimnisses wurde Bacher 1978 auch mit den Stimmen von SPÖ-Aufsehern in den ORF zurückgeholt.

Als Wolfgang Schüssel den ihm nicht ergebenen ORF-Chef Gerhard Weis verjagen wollte, bastelte ÖVP-Klubobmann Andreas Khol ein Gesetz. Und er verordnete die öffentliche Wahl im ORF-Aufsichtsgremium. Im Land der fehlenden Zivilcourage wird seither brav nach Partei abgestimmt, wie vor Hugo Portischs historischem Aufschrei. Nun hat der ORF nur mehr 31% Marktanteil, im Zeitalter des Internets kann keine Regierung mehr ein Medium total kontrollieren und viele ORF-Redakteure bemühen sich auch. Aber ORF-Manager, die die Gnade der Politik brauchen, sind zumindest ein schlechtes Vorbild für den journalistischen Nachwuchs.

Eine größere Gefahr für die Demokratie geht heute aber von Verlegern aus, die ihre (Gratis-)Zeitungen als Mitteilungsorgan für Regierungen und Parteien anbieten. Alles nur eine Frage des Preises. Und Betroffene verstehen, was passiert, wenn die Zahlungen zu gering ausfallen – die Drohungen werden nicht immer elegant formuliert. Jeder weiß es, jeder erzählt davon, aber nur hinter vorgehaltener Hand. Ja, auch Mächtige haben Angst. Und der ORF berichtet nicht darüber, sondern macht selbst unanständige Geschäfte. Die lange Tradition des KURIER gebietet es, hier nicht zu schweigen.