ORF-Direktor Grasl plant Start-up-Campus
Von Christoph Silber
atmedia.at: Herr Direktor, Sie haben bei der Entscheidung für Wien als Song-Contest-Ort ihre Ablehnung auch im Protokoll festschreiben lassen. Nun sagte Generaldirektor Wrabetz, die Unterschiede bei den finanziellen Angeboten seien lediglich im Promillebereich eines ORF-Jahres-Umsatzes gelegen. Haben Sie also nur das Geschäft für Ihre politischen Unterstützer erledigt?
Richard Grasl: Es ist die Aufgabe des Finanzdirektors, das wirtschaftlich beste Angebot zu forcieren. Das hat nichts mit einer Ablehnung Wiens zu tun. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Angebote aus den Bundesländern wirtschaftlich besser waren. Würde ich das nicht getan haben, müsste ich mir zurecht kritische Fragen gegenteiligen Inhalts anhören.
atmedia.at: Wie schaut die Marschroute bei den weiteren Song-Contest-Entscheidungen aus?
Richard Grasl: Wir gehen jetzt in die ganzen operativen Entscheidungen vom Ticketing bis zum Sicherheitskonzept. Auch die Entscheidung zum Slogan steht an. Ich gehe davon aus, dass das in den nächsten vier, fünf Wochen passieren wird. Es müssen im Herbst alle wesentlichen Weichen gestellt sein.
atmedia.at: Von den ORF-Finanzen gab es zuletzt durchwegs positive Meldungen. Haben Sie zuvor zu sehr Schwarzmalerei betrieben?
Richard Grasl: Wir haben in den vergangenen Jahren ein umfangreiches Sanierungspaket umgesetzt, haben 600 Mitarbeiter/innen abgebaut und Kosten flexibilisiert. Wir können heute viel rascher reagieren, wenn zum Beispiel einmal die Werbung nicht so läuft oder wenn plötzlich ein Mega-Projekt wie der Song Contest ansteht. Es hat sich also im Unternehmen eine neue Kultur entwickelt, die sich sehr unterscheidet von früheren Zeiten, als Budgetdisziplin nicht diese Rolle spielte. Aber wir stehen weiter vor großen Herausforderungen: Die Werbeerlöse sind unter Druck, was sehr stark durch die rasant fortschreitende Digitalisierung verursacht ist. Es gibt weiter steigende Kosten. Bei unserer zweiten Finanzierungsäule, den Gebühren, wurde die Refundierung, also das Geld, das uns durch die Gebührenbefreiungen entgeht, nicht verlängert. Das heißt, wir müssen weiter auf der Kostenbremse stehen. Der Unterschied zu früher ist, dass wir jetzt wieder in Neues investieren: HD-Offensive, Online-Plattform oder Modernisierung des Standorts Küniglberg.
atmedia.at: 2016 stehen die nächsten ORF-Wahlen an. Da kann man mitmachen oder auch nicht. Sie sind noch jung, haben Sie schon einmal daran gedacht, den Schritt ins Ausland oder zu einem anderen Medium zu machen?
Richard Grasl: Wir haben hier viel Neues begonnnen, zum Beispiel die Modernisierung des Standortes. Das möchte ich jedenfalls fertig machen. Es wäre logisch, wenn die Geschäftsführung, die dieses Mega-Projekt begonnen hat, die Sache auch zu Ende führt.
atmedia.at: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die im Sommer von Medien-Minister Josef Ostermayer geäußerte Idee eines Zweier-Vorstandes? Das war ja früher mal eine Forderung der ÖVP.
Richard Grasl: Das ist sicher eine interessante Idee, aber spielentscheidend ist für uns ein anderes Thema. Und zwar eines, das nicht nur den ORF betrifft, aber fundamental ist: Wie kann Content, wie kann geistiges Eigentum künftig noch geschützt werden vor Unternehmen, die Wertschöpfung hier abziehen, wie Google, wie Facebook und demnächst auch Video-On-Demand-Plattformen? Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, werden wir egal ob Qualitätsfernsehen oder Print - echte Probleme bekommen, weiterhin Geschäftsmodelle für Medien zu finden. Das hat auch Auswirkungen auf die Demokratie und auf den Journalismus als vierte Gewalt im Staat. Fernsehen und Print sollten deshalb, meine ich, dieses Anliegen gemeinsam an die Politik herantragen. Vielleicht haben neue Verantwortliche in der Politik nun den Willen dazu, zu dieser Problematik in einen Dialog zu treten. Das hat natürlich auch eine starke europäische Komponente, aber der Druck zum Handeln muss aus den Nationalstaaten kommen.
atmedia.at: Apropos Politik: Welche "Klarstellungen" sollte es auf der Gesetzesebene noch geben?
Richard Grasl: Der ORF muss bei neuen Technologien freie Hand haben. Wir sehen uns hier als Innovator und setzen an uns selbst den Anspruch Technologieführerschaft zu haben. Bei der Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk soll es um den Inhalt und nicht um die Technologie gehen. Alles andere wäre fatal. Außerdem geht es geht uns um die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für neue Ideen. Wenn die trotz aller Bemühungen monatelang dauern, dann sieht auch die beste Online-Idee auf dem Markt meist alt aus. Da hat der Gesetzgeber, meine ich, den Rahmen zu eng gefasst. Das ist für ein Unternehmen wie dem ORF, das den Anspruch hat, auch bei Innovationen führend zu sein, nicht gut.
atmedia.at: Sie haben von der technologischen Führerschaft gesprochen. Andere Sender machen Start-up-Shows, manche Medien legen Media-for-Equity-Programme auf. Nur beim ORF gab es bislang nichts?
Richard Grasl: Ich meine, dass der ORF-Standort der Zukunft auf dem Küniglberg neben modernen Arbeitswelten auch einen pulsierenden Innovationscluster braucht. Ich stelle mir eine Art Start-up-Campus vor mit jungen Unternehmen, die nicht sofort in den ORF integriert werden sollen. Mit denen wir aber eine Partnerschaft anstreben, mit denen wir diskutieren wollen, von denen wir uns auch inspirieren lassen wollen und mit denen wir dann auch vielleicht etwas gemeinsam entwickeln. Ich glaube, dass das ein Weg ist in dieser multimedialen Welt, um für Weiterentwicklung zu sorgen und auch frischen Wind in den ORF zu bringen. Man muss ja nicht immer gleich wieder neue Abteilungen oder Unternehmensteile gründen. Ich denke aber, dass wir davon gegenseitig sehr profitieren könnten. Es gibt dafür aus unserem Bereich ja viele internationale Beispiele. Ich nenne nur einmal die BBC, die jährlich sechs Start-ups auswählt, Infrastruktur zur Verfügung stellen, mit ihnen kooperiert und diese fallweise integriert. Wenn wir jetzt über den ORF-Standort der Zukunft nachdenken, dann gehört so ein Entwicklungslabor mitgedacht. Ich habe jedenfalls in meiner Direktion den Auftrag gegeben, jetzt Business-Pläne dafür zu erstellen. Die werde ich in der Folge dann der Geschäftsführung vorlegen und, so es die Zustimmung dafür gibt, auch dem Stiftungsrat präsentieren.
Start-up-Pläne zum Jahreswechsel
atmedia.at: Welcher Zeitrahmen schwebt Ihnen vor und wo könnte das jetzt verortet werden?
Richard Grasl: Ich will da keine Zeitvorgaben machen, es könnte aber um den Jahreswechsel herum soweit sein. Es läuft ja jetzt schon die Raumplanung für das ORF-Zentrum neu und auch da muss das mitberücksichtigt werden. In der Zeit bis zum Vollbetrieb des zentralen ORF-Standortes sollte sich im ORF-Umfeld Raum finden lassen.
atmedia.at: Thematisch denken Sie an welche Start-ups?
Richard Grasl: Es gibt dafür zwei Ansätze: Das eine ist der Bereich des Contents. Der zweite Ansatz ist der Bereich der Technik, der meine ich, sogar der spannendere ist. Da sehe ich viele, viele Möglichkeiten. Nur als Beispiel könnte es da etwa um das Zusammenspiel von TV-Geräten mit Mobile Devices gehen und noch vieles mehr.
atmedia.at: Ein Engagement bei Start-ups, gleich ob Geld oder nur Werbeleistung eingebracht wird, beinhaltet aber auch immer die Möglichkeit des Scheiterns. Haben Sie da keine Bedenken, dass den Glorienschein trüben könnte?
Richard Grasl: Wenn man Angst vor dem Scheitern hat, dann macht man am besten gar nichts. Dann aber wird man nie etwas Neues, etwas Positives erreichen können und die Strukturen werden versteinern und verkrusten. Natürlich trägt eine Start-up-Idee immer die Gefahr des Scheitern in sich, ich meine aber auch, dass man das Risiko begrenzen kann. Es ist klar, dass sich von zehn Projekten sechs, sieben nicht durchsetzen werden. Vielleicht ist aber auch das eine oder andere dabei, das abhebt. Das heißt also, wir sollten mutig sein und offensiv an diese Sache herangehen.
atmedia.at: Zurück zum Budget: Sie haben ja auch das Programmbudget unter sich. Jetzt steht eine ORFeins-Reform ins Haus, es soll mehr Österreichisches geben. Woher soll das Geld kommen, wenn, was auch immer wieder zu hören ist, Sie auf dem Geldsack sitzen?
Richard Grasl: Erstens: Man kann nicht mehr Geld ausgeben, als man hat. Das Fernsehbudget ist ein herausforderndes, ganz sicher. Gerade in so einer Situation müssen wir versuchen, mit besonders innovativen Ideen mit den bestehenden Mitteln auszukommen. Wir brauchen Formate, die auch ORFeins einen österreichischen Charakter verleihen, weil - wie das Generaldirektor Alexander Wrabetz jüngst ganz richtig festgestellt hat - bestimmte Programme zu verwechselbar werden. Es ist jetzt an den Programmmachern und Programmentwicklern, darüber nachzudenken. Wir ziehen hier alle in die gleiche Richtung.
Aus für Formel I im ORF?
atmedia.at: Trotzdem wage ich zu behaupten, dass sich junge Leute lieber Big Bang Theory anschauen als die Liebesgschichten. Oder anders formuliert, mit einem größeren Verzicht auf US-Serien droht der ORF sich endgültig von jungen Sehern abzuschneiden, die nicht wiederkommen.
Richard Grasl: Das zeigt unsere Marktforschung nicht.
atmedia.at: Was Geldquellen fürs Programm betrifft, haben Sie einmal die Formel I ins Spiel gebracht. Die kostet ja einen zweistelligen Millionenbetrag jährlich, den man umschichten könnte. Trotz der Rückkehr des Ecclestone-Zirkus nach Österreich, ist das für Sie immer noch eine Option?
Richard Grasl: Ja, ich bleibe dabei, dass wir jenes Geld, das wir derzeit für die Formel I zahlen, für Investitionen in österreichische Produktionen im Film- und Serienbereich aber auch in die Information besser verwenden könnten. Das heißt nicht, dass ich gegen die Formel I bin, sie funktioniert auch sehr gut. Da der ORF aber nicht mehr das Geld für alles hat, muss man Prioritäten setzen und wir mussten nach dem Auslaufen der Refundierung die Mittel für die österreichische Filmwirtschaft erheblich kürzen. Deshalb würde ich das Geld nach Ablauf des Formel-I-Vertrages 2016 lieber in österreichische Produktionen investiert wissen. Wir könnten damit österreichischen Content schaffen, der auch wiederholbar ist, es wäre unverwechselbares Programm und wir würden österreichische Wertschöpfung und Arbeitsplätze schaffen.
atmedia.at: Noch kurz zum neuen Standort: Es läuft der Architekten-Wettbewerb. Wie bewerten Sie die Arbeiten und Ideen bisher?
Richard Grasl: Wir haben sehr strenge Verschwiegenheitsverpflichtigungen bei diesem Wettbewerb. Ich kann nur ganz allgemein sagen, es sind renommierte wie auch junge kreative Architekten dabei. Wichtig ist uns, dass die grundlegende Idee des offenen Arbeitens über Mediengrenzen hinweg auch architektonisch zum Tragen kommt. Alles, was die Kommunikation und den interdisziplären Dialog fördert, ist gefragt. Denn wir erwarten uns schon auch, dass es in einem multimedialen Newsroom nicht nur kostenmäßig Synergien gibt sondern auch einen Fortschritt und eine Weiterentwicklung in der Berichterstattung. Im Augenblick werden bereits die Modelle gefertigt und es soll noch im Oktober den Zuschlag geben. Es ist auch für uns sehr spannend, mit dieser internationalen Jury zusammen zu arbeiten.
atmedia.at: Radiodirektor Karl Amon hat nun erneut das Funkhaus in der Argentinierstraße als Ort eines Stadtstudios, das der ORF brauchen werde, ins Spiel gebracht. Wie stehen Sie zu dieser Option?
Richard Grasl: Dass es ein Stadtstudio geben muss, ist für mich unbestritten. Wo das ist und wie viele Kollegen dort Platz finden, ist noch zu diskutieren, da bin ich auch sehr offen für Gespräche. Dass zum Beispiel auch Journalisten des Landesstudios Wien stadtnah untergebracht sein sollen, ist für mich sehr nachvollziehbar. Es soll aber kein zweiter großer ORF-Standort entstehen, sondern es soll sich einfach um redaktionelle Räumlichkeiten mit einer entsprechenden technischen Ausstattung handeln.