Die Hölle hinter der Provinzidylle
Von Barbara Beer
Die Mathematiklehrerin Olive Kitteridge ist keine Frau, die unbeschwert den Weg in die Herzen ihrer Mitmenschen findet. Grau ist sie, missmutig, oft lieblos Mann und Sohn gegenüber. Der tatsächlich weiche Kern dieser in der Liebe so unbeholfenen Frau ist sehr tief vergraben. Die bärbeißige Olive Kitteridge ist Hauptdarstellerin des pulitzerpreisgekrönten Erzählbandes "Mit Blick aufs Meer" von Elizabeth Strout – im amerikanischen Original heißt das Buch schlicht: "Olive Kitteridge".
Die lebenskluge Geschichte der scharfzüngigen Mathematiklehrerin beschreibt meisterhaft die Vorhölle Kleinstadt, wo sich hinter den gepflegten Vorgärten Selbstmord, Verrat und Tablettensucht verstecken.
Auch im Vorgängerroman von "Olive Kitteridge" berichtet die 1956 in Maine geborene Schriftstellerin von den Dramen, die sich hinter den Türen der geschniegelten Provinzhaushalte abspielen. Leise, fast unbemerkt kündigen sie sich an und wachsen sich zu Katastrophen aus.
Behutsam, aus scheinbar unwichtigen Vorfällen, baut Strout die Katastrophe auf. Denn der Pastor unterschätzt, wie wichtig dem Frauenbund die neuen Leinentischgedecke für den Kirchenkaffee sind; wie sehr Kirchenorganistin Doris auf eine neue Orgel drängt und wie gekränkt die Volksschullehrerin Mary ist, als er ihre Erziehungsratschläge nicht annimmt. Sie wird ihren Freundinnen davon berichten, dabei nur ein bisschen übertreiben und das Beckmessern der Dorfgemeinschaft des ach so idyllischen Städtchens wird ausufern – und den armen Pastor möglicherweise um seine Existenz bringen.