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Medienzukunft: Print schwebt

Virtuelle Räume sind seit den Neunzigern der Ort der digitalen Sehnsucht: Verkabelte Brille aufsetzen und durch animierte Wunderwelten oder einfach architektonische Entwürfe laufen, hatte den verlockenden Hauch von Zukunft. Aber wer, bitteschön, kann sich die teuren Geräte schon leisten?

Jeder. Heuer sind wir in der Zukunft angelangt, denn die billigste Virtual-Reality-Brille ist aus Karton und kostet 20 Dollar. Das Ding heißt "Cardboard" (Karton) und wurde von Google auf den Markt gebracht. Für das virtuelle Erlebnis braucht man ein aktuelles Smartphone, Kopfhörer und die dazugehörigen Apps.

Das Gerät ist so billig, dass die New York Times ihren Abonnenten gratis eine Cardboard-Brille zuschickte und auf ihr Virtual-Reality-Angebot aufmerksam machte. Neuester Streich ist etwa eine Reportage von den wahlwerbenden Präsidentschaftskandidaten. Mit Kartonbrille und Smartphone lassen sich die Wahlkampfveranstaltungen unmittelbarer erleben, als dies durch Fotos oder normale Videos möglich war. Auch Videos aus Syrien oder eine internationale Liebesgeschichte sind im Angebot. Dieses wird in einer eigenen App ständig erweitert.

Empathie

Das journalistische Versprechen hinter der neuen Technologie ist verlockend: Wer mittendrin im Geschehen steckt, lebt mehr mit dem Gezeigten mit. Soziales Elend, ein Kriegsgebiet mit obdachlosen Kindern, eine Naturkatastrophe ... Der Fantasie für Virtual-Reality-Reportagen sind keine Grenzen gesetzt. Eine Pionierin auf dem Feld ist Nonny de la Peña, ehemals Journalistin bei Newsweek. Sie bezeichnete die Technologie als "Empathie-Maschine". Der Seher rückt näher an die Protagonisten und erlebt so stärker deren Situation mit. De la Peña veröffentlichte 2012 ihren ersten Film und ist so etwas wie ein Star der aufstrebenden Virtual-Reality-Dokufilmerszene.

Während sich 3-D-Fernsehen nie wirklich aus der "Teures-Spielzeug"-Ecke befreien konnte, prophezeien Marktbeobachter den diversen Brillen goldene Zeiten. 2016 wird dazu ein entscheidendes Jahr sein. Mehrere Hersteller haben angekündigt, im ersten Quartal ihre Geräte auf den Markt zu bringen. Andere sind bereits auf dem Markt, aber eigentlich erst wenige Wochen.

Virtuelle Lufthoheit

Neben Google strebt auch Facebook nach der Lufthoheit im virtuellen Raum. Der Social-Media-Riese kaufte sich bei dem Unternehmen Oculus Rift ein, das eine teure, aber technologisch hervorragende Apparatur für virtuelle Räume entwickelte und demnächst auf den Markt bringen will. Auch der Smartphonekönig Apple will sich den Hype offenkundig nicht entgehen lassen und hat eine geheime Unternehmensabteilung für virtuelle Angelegenheiten ins Leben gerufen, berichtete jüngst die Financial Times.

Der Journalismus betritt damit neue Räume – und die gute alte Zeitung lernt einen neuen Trick: Schweben. Mit Virtual Reality.

Was die Brillen kosten und was sie können

Die günstigste Brille kann naturgemäß am wenigsten, gibt aber für Interessierte einen Vorgeschmack auf die neuen Welten: Google Cardboard ist eine Smartphone-Halterung aus Karton mit zwei Linsen (20 Dollar). Über die Sensoren des Telefons merkt das System, in welche Richtung der Kopf bewegt wird. Nachteil: Optik und Haptik lassen Wünsche offen.

Dasselbe Prinzip verfolgt Samsung mit seiner Gear VR (99 Dollar). Auch hier wird das Handy eingesteckt (nur Premiumgeräte von Samsung finden Platz), dazu gibt es zusätzliche Sensoren und ein Bedienfeld. Die Brille entspringt einer Kooperation mit Oculus Rift, dem sagenumwobenen Gerät, das Facebook als Investor hinter sich hat und angeblich alle Virtual-Reality-Brillen in den Schatten stellen wird. Allerdings auch beim Preis: 741 Euro soll das Full-HD-Wunderding im Handel kosten.

HTC baut eine noch teurere Brille namens Vive, deren Preis jenseits der 900 Dollar liegen soll. Auch Sony (Morpheus) und Microsoft (HoloLens) sind an dem Thema dran.