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Gratisboulevard: Erbitterter Streit um jeden Quadratmeter

Wer „Heute“ lesen will, greift in der U-Bahnstation zu, wer in „Österreich“ blättern möchte, muss vor die Tür: So sieht die Realität des Wiener Gratiszeitungsmarkts auch im Jahr 2015 weitgehend aus. Warum die Gratiszeitung mit personeller (und hartnäckig kolportierter finanzieller) SPÖ-Nähe in die U-Bahnen darf, während der knallige Konkurrent „Österreich“ draußen bleiben muss, juckte dessen Herausgeber Wolfgang Fellner derart, dass er die Wiener Linien klagte. Vorläufiger Zwischenstand beim OGH: Zurück zum Erstgericht. In der Begründung dieses Zwischenurteils wird eine lange, verworrene Geschichte dargelegt, die die beiden Zeitungen und die Wiener Linien in einer seltsam zerfahrenen Machtbeziehung zeigt.

Die erste Genehmigung

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Aus Fellners Sicht begann alles Übel wohl im Jahr 2004, als der „Heute“-Verlag AHVV gegen ein Entgelt von 80 EUR netto (plus Reinigungskosten) die Genehmigung bekam, in den U-Bahnstationen Entnahmeboxen aufzustellen. Davor war eine Begehung über infrage kommende Standorte erfolgt (rund 280). „Heute“ nutzte mal diesen, mal jenen Standort und stellte nicht in allen Stationen Ständer auf.

2006 gründete Fellner sein Gratisblatt „Österreich“. Dieses trat ebenfalls an die Wiener Linien bezüglich der Verteilerboxen heran – zunächst nur während der Fußballweltmeisterschaft 2006 und ab Herbst 2006 für den Vertrieb von „Österreich“. Die Verkehrsbetriebe zeigten sich wenig aufgeschlossen: Das Unternehmen stellte sich „sich prinzipiell auf den Standpunkt, dass es über die vor Beginn des Vertriebs von „Heute“ festgelegten Stellflächen für Entnahmeboxen in den U-Bahn-Stationen hinaus keine weiteren Flächen gebe, sodass dem ,Österreich´-Konzern nur jene Flächen überlassen werden könnten, die die AHVV nicht für ,Heute´-Boxen beanspruche“. Sprich: 66 Standorte, die „Heute“ wohl für minderwertig befunden haben dürfte, blieben für das Fellner-Blatt übrig. Man lehnte diesen schlechten Deal ab.

Schlichtungsversuch

Vorsichtshalber war auch der Chef des Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien auf den Plan getreten und versuchte zu schlichten. Er brachte die Idee auf, die Boxen doch einfach vor die Türe zu stellen „weil der Bereich unmittelbar außerhalb der Stationen zu ungefähr 85 % öffentlicher Grund der Stadt Wien ist, also nicht im Eigentum der Antragsgegnerin steht“, wie aus dem Akt hervorgeht.

Im Dezember 2006 erhielt "Österreich" die Genehmigung von der MA28, gegen ein Entgelt von 40 Euro pro Standort Entnahmeboxen aufzustellen. Fellner spielte aber offenbar nicht lange fair: „Spätestens 2009 begann die Antragstellerin damit, Boxen auch ohne Genehmigung der MA 46 auf öffentlichem Grund aufzustellen“, vermerkt das Gericht. Auch „Heute“ zog laut Akt nach, wonach die Stadt Wien einen grundsätzlichen Genehmigungsstopp erteilte. „Im Jänner 2013 waren daher 165 derartige Anträge der Antragstellerin offen, über die bis Jänner 2014 nicht entschieden war.“

Handverteiler hinausgeworfen

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Fellner begann parallel dazu, die Zeitung per Handverteilung unter die Leute zu bringen - auch in der U-Bahn. Die Wiener Linien hielten wegen möglicher Behinderungen in den Stationen dagegen: Im Jänner 2013 waren soviele Verteiler in den Stationen unterwegs, dass am 9. des Monats einen Dienstauftrag erging, der den Mitarbeitern vorschrieb, „ausnahmslos alle Personen ohne gültige Genehmigung“ hinauszuwerfen. Im November folgte eine Unterlassungsklage der Wiener Linien.

Verlust: 1.500 Euro pro Tag

Im Akt findet sich auch eine Berechnung, wieviel Österreich verdient: 19 Cent an Netto-Werbeeinnahmen pro vertriebenem Exemplar. Durch die Beschränkungen bei den Aufstellern entgehen der Zeitung laut Gericht rund 1.500 EUR pro Tag und damit rund 1,2 Prozent der gesamten täglichen Nettowerbeeinnahmen. Grundlage der Berechnung: Die Boxen vor den Stationen seien gleichwertig mit denen in der U-Bahn. Lediglich an Orten, wo vor der Station keine Aufsteller angebracht werden dürfen, gebe es eine Ungleichbehandlung. To be continued.