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Sind wir immer noch Charlie?

Es hat sich zuletzt viel getan in dem kleinen Pariser Redaktionsbüro in der Rue Nicolas-Appert. Zunächst der Streit um Geld und Macht: Charlie Hebdo, bisher ein ständig mit den Finanzen haderndes Blatt, hat nach den Anschlägen vom 7. Jänner 20 Millionen Euro verdient, die Redakteure rebellierten gegen die bestehenden Machtverhältnisse. Am vergangenen Mittwoch teilte dann Renald Luzier, genannt Luz, einer der prominentesten Zeichner des Magazins, mit, er werde künftig keine Karikaturen des Propheten Mohammed mehr anfertigen. Er sei "ihrer überdrüssig". Die Reaktionen auf Lutz’ Erklärung reichten von Empörung ("Wir lassen uns nicht mundtot machen") bis Erleichterung: Endlich habe Charlie begriffen, dass man sich nicht über den Islam lustig machen soll.

Und hier liegt ein Missverständnis, das bereits am ersten Tag der Berichterstattung über die Attentate auftauchte, als manche schrieben, es handle sich bei der Satire-Zeitschrift um ein "islamkritisches" Magazin. Vielmehr ist Charlie Hebdo ein religions-, vor allem aber sozialkritisches Heft, das, recht brachial, in alle Richtungen austeilt.

Weltanschauung

Das ist nun etwas, das besonders in den USA, wie sich eben wieder gezeigt hat, auf Unverständnis stößt. Da treffen Weltanschauungen aufeinander. Hier die Franzosen mit ihrer vehementen Forderung nach Meinungsfreiheit und ihrer im Sinne der Aufklärung traditionellen Trennung von Kirche und Staat. Dort die USA, für die politische Korrektheit höchstes Gut ist und deren (demokratischer) Präsident sich selbstverständlich auf Gott beruft.

Tiefe Gräben

Wie tief diese Gräben sind, zeigte sich gleich nach den Attentaten von Paris, als die meisten europäischen Medien die "Charlie"-Karikaturen abdruckten, in den USA jedoch, wenn überhaupt, verschämt verpixelt wurde. "Bei Gott hört der Spaß auf", ätzte die deutsche TAZ.

Als dieser Tage der Schriftstellerverband PEN die Entscheidung traf, das französische Blatt mit einem US-Preis für Meinungsfreiheit auszuzeichnen, gingen die Wogen hoch. Sechs bekannte Schriftsteller, darunter Michael Ondaatje, Rachel Kushner, Peter Carey und Teju Cole kündigten an, der Preisverleihung kommenden Dienstag fernzubleiben. Kushner etwa begründet das mit Frankreichs angeblicher "kultureller Intoleranz". Der frühere PEN-Präsident Salman Rushdie kritisierte die Bedenken der Schriftsteller als "entsetzlich falsch". "Wenn PEN als Organisation der Meinungsfreiheit nicht die Menschen verteidigen und feiern kann, die dafür getötet worden sind, Bilder zu zeichnen, dann ist die Organisation ihren Namen nicht wert."

Und die Diskussion ist auch nach Österreich übergeschwappt: Der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, der Österreicher Josef Haslinger, kritisierte die Auszeichnung für Charlie. Die Zeitschrift überziehe religiöse Menschen mit Spott, dadurch fühlten sich viele beleidigt, "Das muss man nicht unbedingt mit einem Preis auszeichnen."

Durchwachsen

Die Debatte um das Recht auf Meinungsfreiheit und den respektvollen Umgang mit religiösen Gefühlen wirkt zunehmend, auch in den sozialen Foren, durchwachsen, die "Je suis Charlie"-Bekenntnisse sind spärlicher geworden. Als hätte er die Debatte vorausgesehen, wies der ermordete Karikaturist und Charlie-Chef Stéphane "Charb" Charbonnier in einem kurz vor seinem Tod beendeten Buch den Vorwurf der Islamfeindlichkeit zurück. Unter dem Titel "Charbs Testament" veröffentlichte das Magazin L'Obs nun Auszüge aus dem Buch. Charlie Hebdo gehe es nicht um alle Muslime, sondern um religiöse Extremisten und deren Instrumentalisierung der Religion, schrieb Charb darin.