Wirtschaft

Afrikas digitale Revolution: Die ganze Bank in der Hosentasche

Keine Straßen, kein Stromnetz, kaum Apotheken oder Bankfilialen: Aber braucht Afrika all das überhaupt? Experten meinen, der Kontinent könne das Industrie- und Computerzeitalter überspringen und direkt in der Digitalära landen. Genannt wird das „Leapfrogging“ (Froschhüpfen). Im Zentrum: das Smartphone.

„Von 1,2 Milliarden Menschen haben 60 Prozent ein Mobiltelefon“, sagt Unternehmensberater Hans Stoisser, der „Lernreisen“ für Firmen ins Silicon Savannah in Nairobi organisiert. Das Smartphone diene als Bankkonto, Kreditkarte oder medizinischer Ratgeber. Und es sei ein Werkzeug zum Geldverdienen.

- Hosentaschen-Bank

Vergessen Sie Bitcoin: Eine wirklich praktikable Form virtuellen Geldes wurde 2007 in Kenia entwickelt – vom Mobilfunkanbieter Safaricom. M-Pesa sollte zunächst nur ermöglichen, Gesprächsguthaben in der Familie und mit Freunden auszutauschen. Binnen kürzester Zeit ließ M-Pesa Münzen und Scheine obsolet werden.

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Vom kleinsten Straßenhändler bis zum Google-Play-Store: Alle tragen das grüne Logo und akzeptieren M-Pesa als Bezahlstandard. Inzwischen erhalten die 24 Millionen M-Pesa-Anwender über ihr Handy auch Kredite, legen Sparguthaben an oder schicken Geld um die Welt.

- Transport-Drohnen

Wie können dringend benötigte Medikamente oder Blutkonserven in entlegenste Regionen gebracht werden, wenn Straßen fehlen? Seit 2016 hat das kalifornische Start-up Zipline dafür in Ruanda autonom fliegende Segelflug-Drohnen im Einsatz, die die Fracht per Fallschirm abwerfen.

„Endlich kommt eine technologische Revolution nicht aus den USA in die ärmsten Regionen der Welt, sondern genau umgekehrt“, sagte Zipline-Chef Keller Rinaudo kürzlich. Möglich machen diese Innovationen pragmatische Flugverkehrsbestimmungen: Für Drohnen in niedrigen Flughöhen und mit geringem Gewicht sind die Auflagen minimal.

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- Stecker ohne Netz

Vor allem im ländlichen Raum kann ein Stromanschluss einen großen Entwicklungsschub bedeuten. Dafür braucht man kein Stromnetz oder Großkraftwerke. Dezentrale Solar-, Biogas-, Wasser- oder Windkraftanlagen erfüllen den Zweck auch. „In dieser Sparte haben österreichische Betriebe viele Kompetenzen“, sagt Helmut Bernkopf, bei der Oesterreichischen Kontrollbank für Exportunterstützung zuständig.

Pionier M-Kopa hat nach Eigenangaben 630.000 Anlagen in Kenia, Uganda, Tansania, und Ghana installiert – die Nutzer ersparen sich Geld für Kerosin, zahlen umgerechnet 24 Euro an, stottern 40 Cent pro Tag für das 8-Watt-Panel und die Lithium-Batterie ab. Nach einem Jahr gehört ihnen die Anlage, mit der sich Handys laden und Radio sowie Licht bis zu fünf Stunden betreiben lassen.

- Medikamente-Check

Gefälschte Arzneimittel sind ein großes Gesundheitsrisiko. Der ghanaische Medizinstudent Ashifi Gogo hatte 2009 eine clevere Idee: Bevor ein Anwender ein Medikament verwendet, rubbelt er einen Code frei und schickt ihn per SMS an das Portal Sproxil, das checkt, ob die Arznei wirklich sicher ist.

- Agrarsektor 4.0

Auch in Afrikas Landwirtschaft wird das Handy zum zentralen Tool. Mit eigenen Apps können sich Bauern schulen lassen, über das Wetter informieren oder Preise für Dünger und Futtermittel vergleichen.

Wo entstehen die Jobs?

Aber kann die Technologie wirklich die rückständige Infrastruktur vergessen machen? Davon sind nicht alle überzeugt. „Vergessen Sie Leapfrogging, das ist ein Märchen, ein Witz“, sagte Ntare Karitanyi aus Ruanda am Rande des EU-Afrika-Gipfels in Wien zum KURIER. Sein Unternehmen Hobuka baut Kleinwasserkraftwerke und entwickelt für die Kommunen zudem die Software, um diese zu betreiben.

„Was wir brauchen sind ordentliche Jobs in Fabriken oder in der Logistik. Oder glauben Sie wirklich, dass Millionen ihr Geld mit Programmieren verdienen werden?“ Selbst erfolgreiche IT-Start-ups beschäftigten selten mehr als zehn Mitarbeiter, so Karitanyi: „Wenn überhaupt.“

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Die neue Kluft

Und nicht zuletzt entsteht eine neue Kluft – zwischen jenen, die Zugang zur Technologie haben und jenen, denen er verwehrt bleibt. Südlich der Sahara gibt es aktuell knapp 470 Millionen Mobilfunkteilnehmer, das sind rund 45 Prozent der gesamten Bevölkerung. Die Zahl nimmt zwar weiterhin zu, die doppelstelligen Zuwachsraten von Anfang des Jahrzehntes sind allerdings vorbei, ergab die jüngste Studie des Mobilfunkverbandes GSMA.

Das Erfolgsgeheimnis für Leapfrogging sei ohnehin nicht in den Hosentaschen, sondern in den Köpfen zu finden, glaubt Faith Keza von der eGovernment-Plattform Rwanda Online: „Es ist leider nicht jeder so gut ausgebildet, wie wir das gerne hätten“, sagte sie bei einem Side-Event des EU-Afrika-Gipfels.

Auch Sakhile Xulu, Gründer der Musik-Plattform Qisimah, die Spotify Konkurrenz macht, sieht das als zentral: „Wir müssen für die Bildung der Menschen sorgen. Der Rest geschieht von alleine.“