Wirtschaft

23 Gründe, warum ein "Grexit" katastrophal wäre

Noch ist es nicht zu spät. Noch lebt die Chance, dass ein Politdeal in letzter Minute eine Pleite Griechenlands verhindert. Allerdings war die Bedrohung durch den "Grexit", also ein erzwungenes Ausscheiden aus der Eurozone, noch nie so groß.

Überraschend käme das nicht mehr. Weil sich die Finanzlage in weiten Teilen Europas beruhigt hat, halten viele Beobachter einen Grexit für verkraftbar. Eine Ruhe, die sich als trügerisch erweisen könnte. Der KURIER listet auf, welche Risiken der Euro-Austritt bergen könnte.

1. Es wird teuer. Sicher ist: Scheiden die Griechen aus der Eurozone aus, sind die Kosten beträchtlich. Dazu ein paar Zahlen: Der Rettungsschirm EFSF hatte knapp 144 Milliarden Euro an Krediten zugesagt, die großteils ausbezahlt sind. Dazu kommen bilaterale Kredite von 52,9 Milliarden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat 48,1 Milliarden Euro zugesagt, wovon aber 16 Milliarden erst im März 2016 fließen würden.

Private Investoren und der Finanzsektor, die 2012 rasiert wurden, halten laut Reuters nur noch 39 Milliarden Euro an Anleihen. Fazit: Jetzt würden bei einem Schuldenschnitt nicht mehr Banken und Versicherer draufzahlen, sondern Europas Steuerzahler.

2. Streit um EZB-Forderungen Aber das ist noch längst nicht alles: Die EZB und Euro-Notenbanken halten griechische Anleihen zum Nominalwert von rund 27 Milliarden Euro. Das wären aber nicht die einzigen Belastungen: Die Notliquidität (ELA) für die Banken des Landes, mittlerweile geschätzte 85 Mrd. Euro, würden wohl ebenfalls zu einer uneinbringlichen Forderung gegenüber der griechischen Notenbank. Die Währungsreserven müssten ebenfalls aufgeteilt werden, viele heikle Details wären zu klären.

3. Verarmte Griechen. Aus Mangel an Euro müsste die griechische Regierung ihre Beamten und Pensionisten wohl mit Schuldscheinen bezahlen. Das wäre der erste Schritt in Richtung der Drachme neu. Rasch würde sich zwar dafür ein neuer Wechselkurs zum Euro herausbilden – die griechische Währung wäre aber bestenfalls die Hälfte wert, schätzen Experten. Das heißt: Die Ersparnisse der Griechen verlieren 50 Prozent an Wert, die Einkommen verlieren detto an Kaufkraft (in Euro).

4. Versorgungsengpässe. Griechenland ist massiv auf Importe angewiesen. Etwa die Hälfte der Lebensmittel, mehr als drei Viertel der Energie müssen aus dem Ausland eingeführt werden. Das wäre durch die abgewertete Drachme kaum noch leistbar, besonders bei Sprit und Medikamenten drohen Engpässe.

5. Galoppierende Inflation. Güter, die knapp werden, eine stockende Versorgungslage und obendrein eine Währung, die massiv an Wert verliert (und in großer Zahl neu gedruckt wird): Das ist der ideale Nährboden für rasant steigende Preise.

6. Soziale Not. Besonders hart treffen würde all das die Ärmsten der Gesellschaft, die ihr Geld ohnehin knapp einteilen müssen. Die Gesundheitsversorgung würde sich kurzfristig ebenfalls noch weiter verschlechtern.

7. Tourismus leidet. Stimmt schon: Für ausländische Urlauber wäre der Griechenland-Trip durch die Drachmen-Abwertung billiger. Das drohende Chaos und die Unsicherheit würden Familien aber wohl eher abschrecken und allenfalls Abenteurer anziehen. Damit würde der wichtigste und einzig florierende Wirtschaftszweig wegbrechen.

8. Staatsschulden explodieren. Eine einfache Rechnung: Wenn die Schulden in Euro bleiben, die neue Währung aber nur halb so viel wert ist, muss man doppelt so viel zurückzahlen. Das könnte Griechenland natürlich nicht, somit ist die Staatspleite unausweichlich.

9. Rache der Märkte. Wer Schulden nicht begleicht oder ohne Absprache einen Schuldenschnitt vornimmt, riskiert damit, für viele Jahre vom Kapitalmarkt abgeschnitten zu werden – siehe Argentinien, das mehr als ein Jahrzehnt nach seiner Pleite noch immer mit den Investoren streitet.

10. Klagsflut gegen Athen. Eine weitere absehbare Folge von Staatspleiten: Es finden sich immer streitbare Investoren oder „Geierfonds“, die vor Gericht die volle Rückzahlung ihrer Forderungen erstreiten wollen. Das verwickelt die Regierungen in jahrelange mühsame Prozesse.

11. Private Schulden. Dass sich der Wert der Schulden verdoppelt, würde natürlich auch alle privaten Kreditnehmer betreffen, die in Euro verschuldet sind - das kennen viele Österreicher von Fremdwährungskrediten in Schweizer Franken. Wie sollen die Griechen das jemals zurückzahlen?

12. Pleitewelle. Und auch die Unternehmen, die verschuldet sind, wären betroffen. Somit würde eine Pleitewelle wohl zahlreiche bisher funktionierende Betriebe mitreißen. Diesen Zustand der Wirtschaft nennt man üblicherweise nicht mehr Rezession, sondern Depression.

13. Finanzsektor kaputt. Dass die griechischen Banken ohne EZB-Hilfe kollabieren würden, steht außer Zweifel. Der finanzielle Blutkreislauf der Wirtschaft käme zum Erliegen. Nach und nach würden wohl ausländische Institute die Trümmer aufsammeln und das Ruder bei den Pleiteinstituten übernehmen.

14. Kapitalverkehrskontrollen. Der Bankomat spuckt maximal 100 Euro aus, es gibt strenge Obergrenzen für Banküberweisungen, das Militär überwacht an den Grenzen, dass kein Bargeld außer Landes geschmuggelt wird. Solche oder so ähnliche Maßnahmen machen jeden normalen Geschäftsbetrieb unmöglich.

15. Ansteckungsgefahr. So ruhig die Märkte im Moment auch scheinen – wie rasch sich das ändern und Panik ausbrechen kann, haben wir während dieser Finanzkrise mehrfach erlebt. Somit könnten die Zinsen für die Staatsschulden anderer Peripherieländer wie Portugal, Italien, Spanien, Irland und Zypern auch wieder ansteigen.

16. Gefahr eines Bank-runs. Wenn sich Sparer in anderen Ländern verunsichern ließen und ihr Geld abheben, würde es ungemütlich. Nicht von ungefähr machen sich die Eurostaaten laut Spiegel nun doch wieder Gedanken, wie man die Spareinlagen mit einem europaweiten Einlagensicherungssystem garantieren könnte.

17. Der Präzedenzfall: Wäre es wirklich der Anfang vom Ende der Eurozone, wie Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis düster orakelt? Man weiß es nicht. Manche Ökonomen argumentieren: Wenn ein Euro-Austritt möglich ist, dann handelt es sich um keine Währungsunion mehr, sondern nur noch um ein Wechselkursregime. Das ruft Spekulanten auf den Plan: Aggressive Hedgefonds könnten auf weitere Exit-Kandidaten wetten.

18. Rechtschaos. Ein Euroaustritt ist rechtlich nicht möglich, sondern nur der Austritt aus der EU. Mühsame und aufwendige Verhandlungen über das Prozedere wären jedenfalls garantiert.

19. Kaum ein Weg zurück. Der Weg Griechenlands zurück in den Eurozone wäre vermutlich auf viele Jahre verbaut. Zwar gibt es Ökonomen wie Hans Werner Sinn, die eine Durchlässigkeit der Währungsunion propagieren. Logisch ist aber: Führt der Euro-Ausstieg die Griechen ins Chaos, ist eine Rückkehr von Seiten der Eurozone ausgeschlossen. Geht es wider Erwarten aufwärts, dann hätten die Griechen selbst keinen Anreiz mehr.

20. Geopolitische Lücke. Die freundschaftlichen Beziehungen des Syriza-Parteibündnisses mit Russland sehen viele bereits mit Sorge. Wendet sich Griechenland von Europa ab und orientiert sich neu, könnte das zu einer Destabilisierung des Balkans führen.

21. China wittert die Chance. Die Wirtschaftsupermacht aus Asien hat ihre Fühler längst ausgestreckt, der Hafen von Piräus ist bereits als wichtiges Einfalltor nach Europa in chinesischen Händen. Dabei würde es nicht bleiben.

22. Krisengewinnler. Die Immobilienpreise würden verfallen, damit wäre es für reiche Auslandsgriechen interessant, wieder in der Heimat zu investieren, argumentiert Hans Werner Sinn. Das heißt, dass reiche Oligarchen, korrupte Ex-Politiker und andere Krisengewinnler, die ihre Geld rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatten, Profit aus der Not schlagen würden. Gerecht?

23. Politische Radikalisierung. Dass sich Verzweiflung, soziales Elend und gesellschaftlicher Abstieg in radikalem Wahlverhalten äußern, hat man bereits erlebt. Damit ist nicht allein der Wahlsieg des radikalen Linksbündnisses Syriza gemeint, sondern vor allem der besorgniserregende Aufstieg der Neonazipartei Goldene Morgenröte, die bei der EU-Wahl 2014 und der Parlamentswahl 2015 jeweils drittstärkste Kraft wurde. Griechenland ist zwar die Wiege der Demokratie, stand aber noch bis 1974 unter einer Militärdiktatur.

Was doch für den "Grexit" spricht

Nüchtern betrachtet wäre bei einem Euro-Austritt der Griechen also nicht viel zu gewinnen. Es gibt aber natürlich einige Punkte, die dennoch dafür sprechen:

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1. Eine Entscheidung.Das ist das "Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende"– Argument. Die Geduld aller Beteiligten ist mittlerweile überstrapaziert, seit fünf Jahren dreht sich die Debatte im Kreis.

2. Die Signalwirkung. Ein harter Kurs gegenüber Athen würde allen anderen deutlich machen: Die Regeln und Vereinbarungen müssen eingehalten werden. Es kann nicht sein, dass Hilfsmaßnahmen zum Fass ohne Boden werden.

3. Wettbewerbsfähigkeit. Durch die Abwertung der Währung würden griechische Produkte für den Euroraum viel billiger. Das könnte den Exporten einen Schub verleihen. Allerdings gibt es in Griechenland kaum Warenexporte, die davon profitieren könnten. Dem Tourismus könnte es helfen. Dass Importe teurer würden hätte den positiven Nebeneffekt, dass die Griechen mehr regionale Produkte kaufen. Das würde Jobs im Land schaffen.

4. Gut vorbereitet. Keine Frage, die Eurozone ist viel besser aufgestellt, um die erwartbaren Probleme zu bewältigen: Es gibt den Eurorettungsschirm ESM, die EZB stützt die Märkte mit ihrer ultralockeren Geldpolitik und den Anleihenkäufen. Die anderen Krisenländer wie Portugal, Irland, Italien oder besonders Spanien stehen heute viel solider da.

5. Gelassene Märkte. Aus aktueller Sicht ist ein Dominoeffekt, also ein Überspringen des Funkens auf andere Krisenländer, nicht absehbar. Das war vor drei Jahren noch ganz anders.

6. Finanzsektor. Die europäischen Banken haben keine großen direkten Verluste zu befürchten: Sie haben kaum noch griechische Schuldpapiere in den Büchern, der Großteil ist längst auf die öffentlichen Institutionen gewechselt.

7. Schuldenlast abwerfen. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ungeniert: Wenn Griechenland pleite ist, kann es sich seiner Schulden entledigen und zumindest langfristig einen unbelasteten Neustart wagen.

8. Endlich eigenständig. Aus Sicht vieler Griechen die verlockendste Perspektive: Endlich die Fremdbestimmung durch die Troika bzw. die "Institutionen" loswerden und wieder der Herr im eigenen Haus sein. Ob es das aber wert ist, all die anderen Risiken in Kauf zu nehmen?