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Das System Schmerz besser verstehen

Eineiige Zwillinge haben ein identes Erbgut und dennoch kann ihr Schmerzempfinden komplett unterschiedlich sein. Wie jemand Schmerz empfindet und verarbeitet, hängt von vielen Faktoren ab: seinem sozialen Umfeld, seiner Psyche, der Tagesform und letztlich von der Protein-Zusammensetzung in beteiligten Zellen. Genau diesem Thema widmet sich Univ.-Prof. Manuela Schmidt, PhD, Leiterin der Abteilung Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Wien. Die Wissenschafterin und ihr Team versuchen, Licht in die Komplexität der Schmerzempfindung und -verarbeitung zu bringen.

Höchst individuell

Wie individuell und komplex das System Schmerz bei jedem ist, lässt sich an einem Beispiel erklären. Wenn man in eine Chili beißt, hat nicht nur jeder ein anderes Empfinden über die Schärfe. Der eine spürt beim dritten Biss schon viel weniger Schmerz, der andere hat das Gefühl, es hört gar nicht mehr auf zu brennen. Das hängt mit den sogenannten Transient Receptor Potential (TRP)-Ionenkanälen zusammen. Diese sind Signaldetektoren in unseren Zellen, die an der Schmerzentstehung maßgeblich beteiligt sind. An diese sind wiederum diverse Proteine gebunden. „Die Anzahl der TRP–Ionenkanäle und die damit verbundene Zusammensetzung an Proteinen ist aber höchst individuell reguliert – auch zeitlich. Selbst während eines einzigen Tages kann diese Dynamik, die unser Schmerzempfinden bestimmt, unterschiedlich sein. Hat jemand zum Beispiel eine hohe Konzentration an TRP-Ionenkanälen oder ist deren Aktivität gesteigert, wird Schmerz oft intensiver empfunden“, erklärt Schmidt.

Besseres Verständnis

Forscher*innen haben auch herausgefunden, dass bei Patient*innen mit chronischen Schmerzen diverse Mechanismen in den zellulären Netzwerken abnormal verlaufen. Sie haben noch immer Schmerzen, obwohl z. B. die Verletzung längst verheilt ist. Schmidt: „Ziel unserer Forschung ist es, diese Netzwerke besser zu verstehen, um im Idealfall Vorhersagen treffen zu können. Also dass man idealerweise bereits vor der OP per Blutabnahme feststellen kann, welcher Schmerztyp man ist. Stellt sich heraus, dass man anfällig für chronische Schmerzen ist, würde die Schmerztherapie individuell angepasst werden.“

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