Thema/WM2014

Löw: "Es bleibt keine Zeit sich zu freuen"

Für Joachim Löw ist die Weltmeisterschaft in Brasilien das vierte große Turnier als deutscher Bundestrainer. Nach 18 Jahren ohne Titel werden die Erwartungen der Öffentlichkeit und der Druck auf Löw immer größer. Im KURIER-Gespräch redet der 54-Jährige über ...

... die Aufregung und Vorfreude auf die WM "Vielleicht war bei mir seinerzeit bei der Vorbereitung auf die EM 2008 noch eine Ungewissheit da. Mir hat damals einfach die Turniererfahrung gefehlt: welche Reize müssen gesetzt werden, welche Problematiken können während des Turniers entstehen, und, und, und. Heute gehe ich sicher viel gelassener in so ein Turnier."

... den Druck auf einen Trainer während des Turniers "Richtig genießen kann ich eigentlich nur die Vorbereitung. Denn da habe ich die Gelegenheit, einmal in einer gewissen Ruhe mit der Mannschaft zu arbeiten. Das ist der Trainer in mir – wenn ich auf dem Platz stehen kann, dann bin ich in meinem Element. Ich würde sogar sagen, dass ich während der Vorbereitung auf ein Turnier richtig tiefenentspannt bin. Während einer WM oder EM ist es dann sehr schwierig, richtig Emotionen zu zeigen.Es bleibt ja praktisch keine Zeit, sich zu freuen. Nehmen wir die letzte WM in Südafrika:

Es war toll, dass wir im Viertelfinale 4:0 gegen Argentinien gewonnen haben, aber eine halbe Stunde nach dem Spiel hatte ich mich schon ausgefreut und meine Gedanken drehten sich nur darum: wie besiegen wir jetzt im Semifinale Spanien?" Ich habe während eines Turniers dann so einen Tunnelblick, bin extrem fokussiert und in diesen Wochen für Leute von außen auch kaum ansprechbar."

... das Leben als öffentliche Person "In Deutschland irgendwo in Ruhe essen gehen, das geht eigentlich nicht mehr. Es ist nicht einfach, wenn du weißt, du wirst permanent beobachtet. Auf der Straße, im Cafe, du spürst ja auch, dass die Menschen dich anschauen, beäugen und beobachten. Was macht er, was tut er? Manchmal würde ich mir sicher mehr Privatsphäre wünschen und ein wenig mehr Freiraum. Manchmal wäre es auch schön, wenn nicht so viele Leute mein Gesicht kennen würden. Aber das ist nun einmal nicht mehr möglich, ich kann das Rad nicht zurückdrehen. Menschen, die mir nahestehen, sagen heute manchmal zu mir: ,Du bist distanzierter geworden.‘ Ich ziehe mich heute mehr zurück, als früher.

... den persönlichen Umgang mit den Spielern "Die meisten Spieler sagen: ‚Trainer, Sie!‘ Außer der Lukas, der Poldi spricht mich seit jeher immer nur an mit: ‚Servus Jogi.‘ Ich war vorher ja Co-Trainer, und da waren einige schon dabei, die jetzt noch im Team sind: wie Mertesacker, Schweinsteiger oder Lahm, denen habe ich gesagt: ‚Ihr müsst jetzt nicht Sie zu mir sagen, nur weil ich Bundestrainer bin.‘ Mir ist das auch ehrlich gesagt wurscht."

...Lukas Podolski "Wenn der sein Potenzial immer ausspielen würde, dann wäre er ein Wahnsinn. Körperlich ist er der Stärkste im Team, er ist sauschnell und hat Ausdauer, und sein linker Fuß ist natürlich eine Waffe. Wenn er im 16er eine Schusschance kriegt, dann haut er die Bälle wie kein Zweiter ins Tor. Der Poldi ist vor allem für die Stimmung in der Mannschaft extrem wichtig. Wir sind 65 Leute hier im Camp, der Lukas redet mit allen, vom Busfahrer bis zum Zeugwart, und er ist immer gut drauf. Neulich hat er einen Journalisten einfach so in den Swimming Pool geworfen und dabei gelacht. Aber ihm kann man irgendwie nicht böse sein."

... Musik in der Kabine "Unsere Spieler drehen voll auf, vor dem Spiel muss ich immer aus der Kabine flüchten. Ich kann mir das einfach nicht anhören. Da geht’s immer nur: ‚bumm, bumm, bumm.‘ Das ist nicht meine Musik, aber die Jungen pushen sich heute eben mit diesem Sound. Ich sag’ den Spielern dann immer: ‚Wenn ihr mich sucht, ich bin draußen.‘"

... die Pinkelaffäre von Kevin Großkreutz "Vorweg:Es ist ja nicht hier passiert, sondern bei Dortmund, nach dem Pokalfinale. Das war also nicht unter meiner Verantwortung. Was sollen wir ihn jetzt deswegen raushauen? Wir haben ihm gesagt: ‚Jetzt ist es genug, wenn hier im Ansatz noch was vorfällt, dann bist du aber natürlich nicht mehr dabei.‘"

... der Umgang mit den Medien "In den Medien in Deutschland wird alles wahnsinnig ausgeschlachtet. Das ist ein echter Zirkus da mit 200 Journalisten, einige spielen richtig verrückt. Da kommt mir vor, die sind nervöser als die Beteiligten und die Protagonisten selbst. Ein Spieler ist verletzt?Ja und, ist das jetzt so eine außergewöhnliche Situation für eine Fußballmannschaft? Was sollen wir machen? Sollen wir jetzt vielleicht das Camp abbrechen und heimfahren und die Arbeit einstellen?"

... der Umgang mit den neuen Medien Facebook, Twitter & Co. "Wir haben bei der deutschen Nationalmannschaft einen Verhaltenskodex aufgestellt und die Spieler auch bereits gebrieft. Das sind wir Älteren ja gar nicht gewohnt, dass alles rausgeht. Diese Generation wächst damit auf, das praktisch alles in die Öffentlichkeit gestellt wird. Jedes Detail, jedes private Bild, jedes Essensfoto."

... seinen Führerscheinentzug "Ich bin kein Raser. Manchmal werde ich aufgehalten und die Polizisten sagen dann: ‚Herr Löw, es gibt keinen Promibonus, aber könnten wir danach bitte ein Autogramm haben?‘ Laut meinem Vertrag würde mir eigentlich sogar ein Chauffeur zustehen, aber hinten sitzen ist nichts für mich. Es gibt da nichts schönzureden, natürlich muss ich jetzt mit den Konsequenzen leben und nutze häufig die Bahn "

... seine Zeit in Österreich "Die Zeit in Innsbruck und in Wien war sehr lehrreich für mich, ich war ja damals noch ein relativ junger Trainer und habe viele Erfahrungen sammeln können. Natürlich habe ich bei beiden Vereinen eine persönliche Enttäuschung erlebt. Dass der FC Tirol in Konkurs gegangen ist, hat mich sehr getroffen. Auch das Ende bei der Austria war eine Enttäuschung. Trotzdem würde ich heute sagen: Die Monate in Innsbruck waren für mich mit die schönste Zeit als Trainer."

Joachim Löw versinkt im schweren Ledersessel und genießt seinen zweiten Espresso an diesem Mittag. Mit einer Seelenruhe und einem kecken Grinser schaut er auf den riesigen Monitor über ihm, auf dem unübersehbar sein Name blinkt. In roten Buchstaben, und mit Rufzeichen versehen. "Bundestrainer Löw – Führerscheinentzug" lautet die Eilmeldung, die bei einem Nachrichtensender in Endlosschleife quer über den Bildschirm rast.

Joachim Löw nimmt einen Schluck von seinem Espresso, kurz und stark wie immer, und schüttelt den Kopf. Die kollektive Hysterie in allen Ehren, aber : "Gibt’s wirklich nichts anderes?" Zu diesem Zeitpunkt wusste der deutsche Bundestrainer noch nicht, dass eine Stunde später ohnehin niemand mehr über seine Fahreigenschaften und seinen rosa Schein sprechen sollte, weil da schon wieder eine neue Headline hysterisch über die Bildschirme rannte: "Autounfall bei DFB-Werbeveranstaltung. Zwei Verletzte." In den deutschen Medien ist mittlerweile deshalb schon nur mehr von "Jogis Chaos-Camp" die Rede.

Lokalaugenschein im Hotel Andreus in St. Martin im Passeiertal, einem schicken Haus mit fünf Sternen, 75 Suiten und Hunderten Annehmlichkeiten, in dem sich das deutsche Team auf die WM in Brasilien einstimmt.

Checkpoint Jogi

Das Teamhotel ist hermetisch abgeriegelt. Wer hineinwill, muss ein Mitglied der 65-köpfigen DFB-Delegation sein, oder vom Bundestrainer höchstpersönlich eine Einladung erhalten. Kennwort: Jogi. Der Mann am ersten Sicherheitsposten eskortiert die Gäste erst einmal zum nächsten Checkpoint in die Tiefgarage, wo ein weiterer Security wartet, im Lift in die Lobby gesellt sich der nächste Aufpasser dazu – ins Weiße Haus gelangt man vermutlich einfacher.

Joachim Löw empfängt die ehemaligen Weggefährten aus Tiroler Zeiten in kurzer Hose und Schal und wirkt dabei alles andere als ungeordnet, hektisch oder gar nervös. Von "Jogis Chaos-Camp" ist in der Lobby nichts zu spüren. Das Holzfeuer im Kachelofen erzeugt heimelige Atmosphäre, nebenan vertreiben sich Philipp Lahm, Miroslav Klose und Thomas Müller die Mittagspause am Billardtisch und winken den Gästen freundlich zu, der Bundestrainer ist Ruhe und Gelassenheit in Person. "Wieso soll ich nervös werden", fragt er Roland Kirchler, seinen ehemaligen Spieler in Tirol, "das ist das vierte Turnier. Nervös war ich vor dem ersten Spiel als Tirol-Trainer."
Baldrian Roli

Joachim Löw erzählt diese Anekdote gerne. Damals, im Herbst 2001, waren die Tiroler am Matchtag im Flieger zur Partie gegen die Admira angereist. Der Wind verzögerte erst den Start und dann die Landung in Wien, und Löw wurde im Flieger immer unruhiger. "Da habt ihr Spieler mich beruhigen müssen, gell", schmunzelt Löw, "ich weiß noch, wie der Roli Kirchler mir gesagt hat: ‚Trainer, keine Angst, wir machen das schon.‘ Und dann haben wir 2:0 gewonnen."