Thema/WM2014

Deutsche Erlösung in der Verlängerung

Ein echtes Glückslos. Nicht mehr als ein Jausengegner. Eine sichere Bank. Das war alles zu lesen und zu hören vor dem deutschen Achtelfinale gegen den krassen Außenseiter aus Algerien. Und dann hätte dieser große Underdog den großen Favoriten beinahe gebissen. Die Deutschen mussten eine Zusatzschicht einlegen, um gegen diese ambitionierten Afrikaner in die Runde der letzten acht einzuziehen. Der eingewechselte Schürrle und Özil wurden in der Verlängerung zu den Matchwinnern der deutschen Nationalmannschaft, die nicht im Stile eines künftigen Weltmeister aufgetreten ist. Allerdings befindet sich der dreifache Champion damit in prominenter Gesellschaft: die Hälfte aller bisherigen Achtelfinalpartien wurde nicht in der regulären Spielzeit entschieden. Die Warnungen von Joachim Löw waren bei seinen Spielern auf taube Ohren gestoßen. „Wer glaubt, dass er einen Gegner im Achtelfinale unterschätzen kann, der macht einen riesengroßen Fehler“, hatte der deutsche Bundestrainer vor dem Duell mit Algerien gepredigt und höchste Konzentration eingemahnt. „Jede Nachlässigkeit wird hier bestraft.“

Und dann musste Löw mitansehen, wie seinem Team in der ersten Spielhälfte so viele Fehler unterliefen, wie in all den drei Vorrundenpartien zusammen nicht. Mit ihrem Hurra- und Ho-Ruck-Fußball, der frühe Störmanöver genauso beinhaltete wie schnelle Gegenstöße, brachten die Algerier den großen Favoriten gehörig aus dem Tritt. Schon nach wenigen Minuten musste Goalie Neuer weit aus seinem Tor eilen, um gegen den flinken Slimani zu retten. Es sollte nicht der letzte Ausflug des Torhüters gewesen sein, der gleich mehrmals in höchster Not als Aushilfslibero ausputzen musste.

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Von der energischen Spielweise der Nordafrikaner wurden die Deutschen, bei denen Mustafi den erkrankten Hummels in der Viererkette ersetzte, offenkundig auf dem falschen Fuß erwischt. Der dreifache Weltmeister verschenkte in der Anfangsphase vorne leichtfertig die Bälle, und hinten herrschte praktisch bei jedem weiten Ball Alarmstufe Rot. Feghouli (15.) und Ghoulam (18.) schossen aber übers Ziel hinaus, ein Treffer von Slimani wurde zurecht wegen Abseits aberkannt (17.). In dieser Phase hatten die Deutschen kaum einen Zugriff aufs Spiel, bezeichnend auch, dass die Mannschaft von Löw erst nach einer halben Stunde das erste Foul begingen.

Joker Schürrle

Joachim Löw hatte es da längst schon nicht mehr auf seiner Trainerbank gehalten. Wie ein Derwisch fuchtelte der Bundestrainer in seiner Coaching Zone herum, bereits nach 20 Minuten beorderte er drei Ersatzspieler zum Aufwärmen, und seine Elf auf dem Platz dürfte den Wink verstanden haben. Gegen Ende der ersten Halbzeit wurden die Offensivaktionen sicher und zielstrebiger. Kurz vor der Pause ließ der algerische Schlussmann M'Bolhi, der Distanzschüsse gerne unorthodox bändigt, einen Ball von Kroos direkt vor die Füße von Götze abprallen, bügelte seinen Fehler dann allerdings sofort wieder aus (41.).

Nach der Pause brachte der eingewechselte Schürrle Schwung, und eigentlich hätten sich die Deutschen die Verlängerung gut und gerne ersparen können, wenn sie nur mit ihren Chancen nicht so fahrlässig umgegangen wären. Müller ließ zwei dicke Möglichkeiten, und auch die Gelegenheit aus, an die Spitze der WM-Torschützenliste zu stürmen. Für Müller sprang Andre Schürrle in die Bresche, der ein Zuspiel des Kollegen mit der Ferse ins Tor bugsierte (92.). Özil traf dann in der 119. Minute zum 2:0 für Deutschland. Abdelmoumen Djabou gelang in der 120. Minute noch der Ehrentreffer für Algerien. Auf die Deutschen wartet im Viertelfinale Frankreich.

Bilder zum Spiel:

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Deutschland - Algerien 2:1 n.V. (0:0, 0:0)

Porto Alegre, Beira-Rio-Stadion, 43.000, SR Ricci (BRA).


Torfolge: 1:0 ( 92.) Schürrle
2:0 (119.) Özil
2:1 (121.) Djabou

Deutschland: Neuer - Mustafi (70. Khedira), Mertesacker, Boateng, Höwedes - Schweinsteiger (109. Kramer), Lahm, Kroos - Özil, Müller, Götze (46. Schürrle)

Algerien: M'Bolhi - Mandie, Mostefa, Belkalem, Halliche (97. Bouguerra), Ghoulam - Lacen - Taider (78. Brahimi), Feghouli, Slimani - Soudani (100. Djabou)

Gelbe Karten: Lahm bzw. Halliche

Per Mertesacker (Deutschland-Verteidiger): "Es war doch jedem klar, dass unter den letzten 16 Teams keine Karnevalstruppe ist. Wir haben alles gegeben, sind weitergekommen und sind super happy."

Andre Schürrle (Deutschland-Stürmer, 1 Tor): "Wir hätten das gern ein bisschen anders geregelt. Aber Algerien hat es sehr gut gemacht. Egal wie, Hauptsache wir sind im Viertelfinale. Bei meinem Treffer war ein bisschen Glück dabei. Gegen Frankreich müssen wir eine andere Leistung zeigen."

Philipp Lahm (Deutschland-Kapitän): "Wenn man die Chancen nicht macht, dann muss man in die Verlängerung. In der zweiten Halbzeit hatten wir Riesendinger. Aber wir wussten vorher, dass es sehr schwer wird. Genau das haben wir heute erlebt."

Joachim Löw (Deutschland-Teamchef): "Am Ende war es ein Sieg des Willens. Vor der Pause waren wir schlecht, nach der Pause hätten wir das Spiel aber noch vor der Verlängerung entscheiden müssen. Leider haben wir viele Bälle verloren, wodurch wir den Gegner zu Kontern eingeladen haben. Khedira und Schürrle haben der Mannschaft nach ihren Einwechslungen Schub gegeben."

Madjid Bouguerra (Algerien-Verteidiger): "Wir können stolz sein. Wir haben der ganzen Welt gezeigt, dass wir eine tolle Equipe sind. Zu Beginn des Ramadans haben wir Afrika bestens repräsentiert."