Leben/Mode & Beauty

Beauty-Eingriffe: Warum wir unsere Körper korrigieren wollen

Bereits mit 25 Jahren war für Nathalie S. klar: Sie braucht Botox. Beim Blick in den Spiegel hatte sie irgendwann feine Linien auf der Stirn entdeckt. Damit aus diesen keine Falten werden, lässt die heute 28-Jährige seitdem regelmäßig das Nervengift spritzen. Mittlerweile sind auch die Lippen mithilfe von Hyaluronsäure etwas größer geworden. Alles „keine große Sache“, es seien nur „kleine Korrekturen“, sagt die Wienerin.

Die junge Frau gehört zu der seit Jahren stetig wachsenden Gruppe von Österreichern, die sich einem Schönheitseingriff unterziehen. Offizielle Statistiken gibt es hierzulande nicht, jedoch sind es laut Schätzungen der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC) rund 50.000 Frauen und Männer pro Jahr. Besonders häufig entschieden sich diese für minimalinvasive Eingriffe, also jene, die ohne große Schnitte und Narben auskommen. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala: Botox.

Dass ihre Kundinnen tendenziell jünger werden, beobachtet seit einiger Zeit auch Hajnal Kiprov. Die Dermatologin hat sich in ihrer Klinik auf Unterspritzungen spezialisiert und empfängt manchmal auch 25-Jährige wie Nathalie S. Dagmar Millesi, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie, bestätigt ebenfalls: „Das Klientel wird jünger – früher war das nicht der Fall.“ Heute wollen einige möglichst früh mit der Faltenbekämpfung anfangen.

Selbstbespiegelung

Einst verfolgten Patienten mit Eingriffen an ihren Körpern noch ganz andere Ziele. „Die damaligen Verschönerungen waren nicht Verschönerungen im heutigen Sinne“, weiß Soziologin Waltraud Posch. Im 16. Jahrhundert rekonstruierte der italienische Arzt Gaspare Tagliacozzi Nasen, die nach der Syphilis eingefallen waren, mit Haut aus dem Oberarm. „Die ersten Nasenoperationen wurden durchgeführt, weil ein Chirurg die Höker- und Hakennasen von Juden dem westlichen Ideal anpassen wollte“, sagt Posch. „Da ging es nicht um Schönheit, sondern um Assimilation.“ Als vor rund 110 Jahren großflächige Spiegel in Privathaushalten aufkamen, nahmen auch die Verschönerungen zu – und aus der Schönheitschirurgie entwickelte sich schließlich ein Massenphänomen.

Der heutige Druck, möglichst gut auszusehen, sei laut der Expertin vor allem auf die permanente Verfügbarkeit der Kamera zurückzuführen. Posch: „Wir leben in einem Zeitalter der ständigen Selbstbespiegelung – das hat auch mit dem Smartphone zu tun. Früher wurde der Fotoapparat nur zu konkreten Anlässen mitgenommen. Heute müssen wir immer darauf vorbereitet sein, dass ein Foto gemacht wird.“ Mit den sozialen Medien sei auch die Selbstfotografie alltäglicher geworden. „Wir haben das Bedürfnis, uns sehr oft darzustellen.“

Dargestellt wird auf Instagram und anderen sozialen Medien vor allem Makellosigkeit – und es werden neue Schönheitsideale transportiert. Kylie Jenner gehört aktuell zu den größten Beauty-Vorbildern. Und das, obwohl ihre Lippen unnatürlich groß sind (siehe rechts). Die übertriebenen Schmollmünder werden laut Hajnal Kiprov vor allem von jungen Frauen gewünscht. „Das scheint für sie das neue Schönheitsideal zu sein und eine Art Statussymbol.“ Ihr Appell: „Bitte nicht so übertreiben!“

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Anhand von Fotos des Patienten zeige sie, wo sie auffüllt. „Und ich verdeutliche, dass ich darüber hinaus nicht mehr machen werde.“ Jene, die sich wie Nathalie S. bereits mit 25 Jahren Botox spritzen lassen wollen, schickt sie zwar nicht weg, achtet jedoch darauf, keine großen Mengen zu injizieren. „Man soll die Stirn schließlich noch bewegen können. Sie soll nicht erstarren.“ Des Weiteren bestehe das Risiko, dass diese absinkt.

Die potenziell negativen Effekte minimalinvasiver Eingriffe nehmen Patienten oft auf die leichte Schulter, wie Dagmar Millesi auffällt. Gefährlich sei vor allem, wenn Patienten den Bezug zum eigenen Aussehen verlieren. „Sie wollen immer mehr und können das selbst nicht mehr erkennen, wie entstellt sie zum Teil aussehen. Da muss der Arzt Stopp sagen.“

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Soziale Komponente

Doch wer gibt vor, was wir als schön empfinden? „Es gibt nicht die eine Person oder den einen Industriezweig, der das bestimmt“, sagt Waltraud Posch. „Grundsätzlich ist immer das schön, was schwer erreichbar ist.“ Waren in der Nachkriegszeit füllige Körper das Ideal, ist es heute der schlanke Körper und das faltenfreie Gesicht. Verschönerungen erfüllen laut der Soziologin zwei Funktionen: Einerseits schaffen und stabilisieren sie Identität. „Ich drücke durch meinen Körper aus, wie ich sein will“, erklärt Posch. Andererseits gehe es dabei immer auch um soziale Positionierung. „Ich zeige durch Verschönerungen, zu welcher Gruppe ich gehören will.“ Auf die Frage, für wen sie sich schön machen, antworten die meisten: Für mich. „Das stimmt natürlich nicht. Hier gibt es eine ganz starke soziale Komponente.“

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„Ich glaube, die Frau fühlt sich noch immer sehr von ihrem Aussehen abhängig – sowohl beruflich als auch privat“, sagt Hajnal Kiprov. „Früher musste sie möglichst attraktiv sein, um schnell verheiratet zu werden. Vielleicht herrscht immer noch das Gefühl vor, möglichst attraktiv bleiben zu müssen.“ Bei Männern sei der Drang nach Verschönerung nicht so groß, doch auch sie werden „penibler“. Rettungsringen wird mithilfe von Kälte der Garaus gemacht (siehe rechts) und auch Pigmentflecken werden nicht mehr ignoriert.

Ob jung oder alt – mit Individualität haben Beauty-Eingriffe laut Posch letztendlich wenig zu tun: „Menschen wollen einander sehr ähnlich sein. Es geht nicht darum aufzufallen, sondern um die Vermeidung negativen Auffallens. Man will normal sein.“

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